73 Prozent der Kinder aus bedürftigen Familien profitierten inzwischen von ihrem Bildungspaket, verkündet die Ministerin Ursula von der Leyen. Mit dieser Bilanz poliert Merkels unbequemste Ministerin ihre Bilanz.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Im Sport endet der Weg zum Erfolg bestenfalls auf einem Treppchen. In der Politik führt eine Treppe zu dem Ort, an dem Erfolge verkündet werden. Die erklimmt Ursula von der Leyen mit ernster Miene. Sie strebt in Richtung Bundespressekonferenz. Die Journalisten warten im ersten Obergeschoss. Als die Ministerin dort angelangt ist und die Kameras zu klickern beginnen, knipst sie ein Lächeln an, das alle Zweifel überstrahlen soll, die sie zurzeit begleiten. Auch an diesem Freitag, an dem sie sich anschickt, neue Erfolgsmeldungen in eigener Sache kund zu tun.

 

Es geht wieder um eine Quote – in diesem Fall um eine, die von der Leyen keinen Ärger in der Union bereiten dürfte: 73 Prozent der Kinder aus bedürftigen Familien profitierten von ihrem Bildungspaket, verkündet die Ministerin und poliert damit ihre Bilanz. Der Zuschuss, den sie vor zwei Jahren erfunden hat, war auf Skepsis gestoßen. Die ist keineswegs verhallt. Noch bevor von der Leyen zu Wort kommt, liegen die ersten Widerworte von Sozialverbänden bereits schwarz auf weiß vor. Vom Städtetag und anderen kommunalen Organisationen kommt ein positives Echo. Die Ministerin hat Kronzeugen mitgebracht, um sich nicht selbst loben zu müssen.

In der eigenen Partei findet sie kaum noch Fürsprecher. Sie hat der Kanzlerin und der CDU die Frauenquote aufgenötigt. Der Streit darüber wurde auf Drängen der Mächtigen in Partei und Fraktion zum Verstummen gebracht, aber er ist keineswegs aus der Welt geschafft. Er wird spätestens nach der Wahl wieder auflodern. Es ist lange her, dass die populäre Kanzlerin sich von eigenen Leuten derart provozieren lassen musste. Von der Leyen, immerhin stellvertretende Parteivorsitzende, hatte angedroht, mit der Opposition zu stimmen und offenbar schon feste Absprachen getroffen. Fraktionschef Volker Kauder musste sich demütigen lassen, die Kanzlerin darf sich brüskiert fühlen. Kristina Schröder, von der Leyens Nachfolgerin im Familienministerium, bleibt als Opfer zurück. Der vermeintliche Triumph ihrer Erzrivalin ist mit Kollateralschäden erkauft.

Renitenz und Eigensinn markieren ihren Weg

Doch ist es denn wirklich ein Triumph für die Frau, die sich schon einmal fast als Bundespräsidentin wähnte? Noch ist keineswegs ausgemacht, ob die von ihr favorisierte starre Frauenquote jemals Gesetz wird. Und manche Geschlechtsgenossin rechnet es der telegenen Ministerin übel an, dass sie erst einen Aufstand inszeniert, letztlich aber klein beigegeben hat.

Renitenz und Eigensinn markieren ihren Weg in der Politik. Der ist keineswegs nur mit Erfolgen gepflastert. Als „Zensursula“ hat von der Leyen sich mit dem Plan, unliebsame Internetseiten zu sperren, beim netzaffinen Publikum lächerlich gemacht. Von ihrer „Lebensleistungsrente“ ist nur die Überschrift geblieben. Die 54-jährige Ärztin ist mit der CDU wiederholt so umgesprungen, als handle es sich bei der Mehrheit der Partei um uneinsichtige Patienten, die gegen ihren Willen kuriert werden müssen. So hat sie programmatische Kurswechsel in der Familienpolitik erzwungen. Einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegenüber unionsinternen Rivalen, zu denen immer wieder Volker Kauder zählte, verdankt sie ihre wichtigsten Erfolge: den milliardenschweren Kita-Ausbau und das Elterngeld. Sie hat für die CDU dieses Terrain wieder zurück erobert.

Gespür für fernsehtaugliche Auftritte

Das wissen selbst ihre Kritiker und die vielen Gegner im schwarzen Lager zu schätzen. Dennoch gibt es bis hinauf in höchste CDU-Kreise nicht wenige, welche die eigenwillige Ministerin am liebsten loswerden wollen. Die stramm konservative Abgeordnete Erika Steinbach hat sie zu Beginn dieser Woche auch laut zum Rücktritt aufgefordert. Sie hat in der Fraktion dafür viel Beifall bekommen. Von der Leyens Wortbeiträge verhallen hingegen über einem Meer des Schweigens.

Die Rebellin habe ein Gespür für fernsehgerechte Auftritte, aber „einfach kein Gefühl für die Partei“, sagt ein CDU-Mann aus der Fraktion. Sie habe es sich „in den eigenen Reihen mit so ziemlich allen verscherzt“, meint ein anderer. Viele rätseln, was die Ministerin eigentlich antreibt. Machtkalkül kann es kaum sein. Sonst müsste sie sich taktischer verhalten. Sie verfügt nicht einmal im eigenen Landesverband über eine Hausmacht. Falls sie darauf spekulieren sollte, Merkel zu beerben, würde sie verkennen, dass ihr der Rückhalt fehlt. Nach den Scharmützel um die Frauenquote gilt das erst recht. Stimmen aus dem CDU-Präsidium lassen darauf schließen, dass ihre Zukunft als Ministerin selbst im Falle eines Wahlsiegs gefährdet ist.