Der Familienentlastende Dienst des BHZ Stuttgart zählt zu den Gewinnern des neuen Sozialpreises der Berthold-Leibinger-Stiftung. Das ausgezeichnete Projektvorhaben soll geflüchtete Familien mit behindertem Kind unterstützen. Der Bedarf ist groß.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Alia und Rosa (Namen geändert) sind beide alleinerziehend und Anfang 30, beide wohnen in der gleichen Flüchtlingsunterkunft im Stuttgarter Norden. Beide haben sie Kinder mit geistiger, zum Teil auch körperlicher Behinderung. Doch die Art der Hilfen, die sie bekommen, sind unterschiedlich. Alia, eine Frau aus dem arabischen Raum, habe keinen Aufenthaltstitel, entsprechend könne sie nicht auf die Leistungen der Pflegeversicherung zurückgreifen. Dabei bestehe „sehr, sehr hoher Bedarf an Unterstützung“, berichtet ihre Sozialarbeiterin Mirjam Zellhuber von der Arbeitsgemeinschaft für die eine Welt (AGDW). Beide Kinder seien sehr fordernd. Die Unterstützung, die die Mutter bekomme, „reicht bei Weitem nicht aus“, sagt Zellhuber.

 

Bei Rosa, die aus Westafrika geflüchtet ist, läuft es anders. Ihr knapp vier Jahre alter Sohn kann immer noch nicht laufen, ist geistig behindert und hat eine chronische Bronchitis. Weil sie einen Aufenthaltstitel hat, kann die Mutter die Leistungen des Familienentlastenden Dienstes viel umfangreicher in Anspruch nehmen. Sie kann ihren Sohn zum Beispiel bei Freizeiten des Behindertenzentrums Stuttgart anmelden, ohne sich Gedanken um die Finanzierung machen zu müssen. „Die Pflegekasse übernimmt die Kosten“, sagt Jasmin Kilian, ebenfalls Sozialarbeiterin bei der AGDW. Alia hat dagegen keinen Anspruch auf Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege. Das Sozialamt gewährt ihr immerhin 125 Euro Entlastungsbetrag im Monat – das Geld darf in ihrem Fall aber nicht übertragen werden auf andere Monate. Das ist bei Rosa beziehungsweise bei Kindern mit Pflegegrad ebenfalls anders.

Sozialpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung gewonnen

Doch nicht nur vom Aufenthaltstitel hängt ab, wie viel Hilfe eine geflüchtete Familie mit behindertem Kind gewährt wird – oft spiele Zufall beziehungsweise Glück eine Rolle, berichten die Sozialarbeiterinnen. Wird überhaupt jemand aufmerksam, dass eine Entwicklungsverzögerung oder Behinderung vorliegt – wie Erzieherinnen oder Lehrer, teils auch die Kinderärzte? Wer vermittelt anschließend im Hilfe-Dschungel und weiß auch noch Bescheid über mögliche Finanzierungsprobleme? Die Fachkräfte vom Sozialdienst in den Gemeinschaftsunterkünften hätten hierfür nicht die Kapazitäten, betonen Zellhuber und Kilian. Benötigt werde ein niedrigschwelliges Angebot mit entsprechender Expertise.

Genau da setzt auch ein neues Projekt an, das das BHZ Stuttgart in Kooperation mit der AGDW konzipiert – und das bereits als preiswürdig befunden wurde. Der Familienentlastende Service (FELS) des BHZ ist Ende Januar von der Initiative „Nur: Mut“ der Berthold-Leibinger-Stiftung ausgezeichnet worden – als eines von drei sozialen Projekten. Der Sozialpreis wurde zum ersten Mal verliehen. Das Geld der Stiftung ermögliche ihnen, so Simone Benz von FELS, das Projekt in Ruhe zu entwickeln.

Die Idee: FELS will Engagierte mit Fluchterfahrung oder mit Migrationshintergrund gewinnen, die – entsprechend geschult – als Vermittler fungieren. Darauf gekommen seien sie nicht nur wegen des hohen Bedarfs bei den Familien, sondern auch, weil sich in den vergangenen Jahren vermehrt Interessenten mit Migrations- oder Fluchthintergrund für ein FSJ, eine freie Mitarbeit oder Hilfe bei den Ferienangeboten gemeldet hätten. Die Vielfalt bei den Bewerbern sei deutlich gestiegen, sagt Benz. Ihr Ansatz, auf geflüchtete Engagierte zu setzen, die geflüchteten Familien mit behinderten Kindern helfen, sei neu für Baden-Württemberg.

Thema Behinderung ist oft mit großer Scham besetzt

Das Projekt steckt noch in der Anfangsphase. Ende dieses, Anfang nächsten Jahres solle es an die Umsetzung gehen, so Benz. Beim BHZ hat man die Hoffnung, dass die neu gewonnenen Engagierten nicht nur ihre Sprachkenntnisse einbringen können, sondern eine Sensibilität für die kulturellen Hintergründe mitbringen.

Das Thema Behinderung sei in den Familien oft mit großer Scham besetzt, sagt Mirjam Zellhuber. In der Unterkunft im Stuttgarter Norden, in der sie und Jasmin Kilian arbeiten, sind überdurchschnittlich viele Familien mit behinderten Kindern untergebracht: zehn allein im Haus, zwei weitere in von der AGDW betreuten Außenwohnungen. Insgesamt leben in der Unterkunft 29 Familien beziehungsweise 147 Personen. „Bei uns ist das ein Thema, das gehäuft auftritt, deshalb hatten wir die Möglichkeit, uns gezielter zu informieren“, sagt sie. Aber in anderen Unterkünften sei das für die Sozialdienste nicht möglich, stellt auch sie klar. Mehr „Kulturdolmetscher“, wie sie das Projekt gewinnen will, wären hilfreich, meint auch Kilian.