Die Beiträge zu Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung sollten weniger als 40 Prozent des Bruttolohns betragen. Diese Zeiten sind vorbei.

Jahrelang hatten Bundesregierungen ein Ziel: Die Lohnnebenkosten nicht über die 40-Prozent-Marke steigen zu lassen. Was heißt: Die Beiträge zu Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung übersteigen zusammen nicht 20 Prozent des Bruttolohns der Beschäftigten. Die andere Hälfte zahlt der Arbeitgeber.

 

Diese 40-Prozent-Grenze ist nirgendwo festgeschrieben. Es handelt sich um kein Gesetz. Sie ist eine mündliche Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Politik. Die 40 Prozent markieren die Grenze, an denen die Lohnnebenkosten nicht so belastend sind, dass sie die Produktion am Standort Deutschland zu teuer machen.

Anstieg der Beiträge schmälert die Entlastungen

Die aktuelle Ampelkoalition hingegen scheint von diesem Ziel abzurücken. Schon in diesem Jahr dürfte die Marke überschritten werden. Schlimmer noch. In den kommenden Jahren steigen die Nebenkosten weiter, wenn nichts passiert. Davon sind nicht nur die Arbeitgeber betroffen. Auch die umfangreichen Entlastungen, die FDP, Grüne und SPD für die Bürger beschlossen haben, werden durch den Anstieg geschmälert.

Bei einem Single mit 2000 Euro Monatslohn zum Beispiel schrumpfen die Zahlungen aus dem dritten Entlastungspaket von 176 Euro auf 124 Euro im Jahr. Verdient der Alleinstehende doppelt so viel, erhält er statt 410 Euro noch 313 Euro für 2023. Bei 5000 Euro Lohn schrumpft der Vorteil von 577 Euro auf 344 Euro. Errechnet hat diese Bilanz der Nürnberger Finanzwissenschaftler Frank Hechtner. Sie gilt für 2023.

Krankenkassen sind besonders betroffen

Doch nicht nur Singles leiden unter dem Anstieg der Nebenkosten. Ein Ehepaar mit zwei Kindern und 3000 Euro im Monat muss laut Hechtner für die Sozialversicherung 63 Euro mehr berappen und kommt so noch auf 1107 Euro Entlastung. Und so geht es weiter: Bei einem Familieneinkommen von 4000 Euro im Monat (brutto) verbleiben von 786 Euro Entlastung nur noch 682 Euro. Wer 5000 Euro verdient, hat statt 880 Euro nur 752 Euro zusätzlich in der Tasche und bei 6000 Euro bleiben statt 988 Euro nur 838 Euro übrig.

Der wesentliche Grund für die Belastungen liegen im Ressort von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Wer gesetzlich krankenversichert ist, muss 2023 mehr bezahlen, und zwar im Schnitt 0,3 Prozentpunkte. Der Krankenkassenbeitrag hat zwei Komponenten: den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent und den Zusatzbeitrag. Letzterer wird von jeder der 97 Kassen individuell festgelegt. Im Schnitt beträgt er derzeit 1,3 Prozent. Laut Lauterbach wird er ab 2023 im Schnitt also bei 1,6 Prozent liegen. Daraus ergäbe sich ein Gesamtsatz von 16,2 Prozent. Sicher ist das aber nicht. Einige Kassen glauben, dass es auch um 0,4 oder gar 0,5 Punkte nach oben gehen könnte.

Erst der Beginn weiterer Beitragserhöhungen

Die Zeit danach wird noch ungemütlicher. Der Chef der AOK Baden-Württemberg, Johannes Bauernfeind, verweist auf Berechnungen, nach denen sich das Defizit der Kassen bis 2025 auf 35,6 Milliarden Euro mehr als verdoppeln könnte. Es sei daher „leichtfertig und riskant“, eine Entscheidung über echte Reformen erst 2023 zu treffen, wie es Lauterbach angekündigt habe. „Abwarten und Aufschieben“ können bereits 2024 weitere Beitragserhöhungen notwendig machen. Tatsächlich hat das Gesundheitsministerium bereits eingeräumt, dass es Jahr für Jahr zu einem Anstieg um 0,2 bis 0,3 Punkte kommen dürfte.

Die Pflegekassen haben bereits angekündigt, ihren Beitragssatz 2023 um 0,35 Punkte auf 3,4 Prozent (Kinderlose: 3,75) zu erhöhen. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird 2023 ebenfalls steigen, von 2,4 auf 2,6 Prozent des Bruttoverdienstes.

Damit reißt die Ampelkoalition die 40-Prozent-Grenze deutlich. 40,80 Prozent werden fällig, für Kinderlose sogar 41,05 Prozent. Doch das ist erst der Anfang. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat gerade davor gewarnt, dass sich ohne Reformen der Gesamtbeitrag bis 2040 auf 49 bis 53 Prozent erhöhen würde. Es sei aber zu bezweifeln, dass die Beitragszahler des Jahres 2040 bereit sein werden, so einen Anteil ihres Einkommens abzutreten, heißt es in dem Gutachten.

Untere Einkommen belastet

Durch den Anstieg der Beiträge werden insbesondere die Bezieher unterer Einkommen belastet. Denn im Gegensatz zur Steuer, in der ein Freibetrag gilt, müssen die Sozialbeiträge schon vom ersten verdienten Euro an bezahlt werden. Die proportionale Belastung ist damit höher als bei Gutverdienern.

Damit auch diese angemessen beteiligt werden, steigen jährlich auch die Beitragsbemessungsgrenzen, also die Beträge, bis zu dem der prozentuale Sozialversicherungsbeitrag vollständig abgezogen wird. Wer 7300 Euro brutto im Monat im Westen verdient, muss trotz eines stabilen Beitragssatzes für die Rente mehr zahlen – bisher wurden nämlich die 18,6 Prozent bis zu 7050 Euro berechnet. Im Osten steigt die Bemessungsgrenze von 6750 auf 7100 Euro. Dieselben Grenzen gelten ab 2023 in der Arbeitslosenversicherung. Auf Verdienste darüber hinaus fallen keine Beiträge an, es werden auch keine Ansprüche erworben.