Der CDU-Sozialexperte Peter Weiß versucht als Bundeswahlbeauftragter ein wenig Aufmerksamkeit auf die Sozialversicherungswahlen zu lenken. Diesmal gebe es besondere Gründe, daran teilzunehmen, meint der Emmendinger.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Keine andere Wahl dieses Jahres tangiert bundesweit mehr Menschen: etwa 52 Millionen. Zugleich erscheint keine andere Wahl für die Masse weniger relevant. Die Sozialversicherungswahlen, die nur alle sechs Jahre stattfinden, fristen ein Schattendasein. 2017 stagnierte die Beteiligung bei 30,4 Prozent. Ein Baden-Württemberger bemüht sich, ein wenig Aufmerksamkeit auf das Großvorhaben zu lenken: Der Bundeswahlbeauftragte Peter Weiß aus Emmendingen, der 23 Jahre für die CDU im Bundestag gesessen hat, schildert, warum sich eine Teilnahme trotz allem lohnt. Ein Überblick.

 

Wie läuft die Wahl ab? Zur Wahl stehen Listen – etwa der Gewerkschaften oder Kirchen – für die Verwaltungsräte von gesetzlichen Kassen und Vertreterversammlungen von Unfall- und Rentenversicherungen. In diesen Tagen erhalten etwa 52 Millionen Bundesbürger ihre Unterlagen mit der Post. Darin enthalten ist ein roter Umschlag, der bis zum 31. Mai zurückgesandt werden muss. 30 Millionen Versicherte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund haben zudem schon eine Vorankündigung erhalten.

Die Wähler der fünf großen Ersatzkassen – Techniker, Barmer, DAK, die Kaufmännische Krankenkasse KKH und die Handelskrankenkasse HKK – erleben eine Premiere: Erstmals können sie ihre Stimme entweder per Brief oder online abgeben – ein Modellversuch und eine „Revolution im Wahlrecht“, wie Weiß meint. Er hofft, dass dadurch mehr junge Menschen mitmachen. Im Anschluss sollen die Erfahrungen ausgewertet werden, um zu prüfen, „ob sich Onlinewahlen auch bei anderen Wahlen alternativ zur Briefwahl anbieten“. Auch dadurch „bietet die Sozialwahl – so wenig prominent sie im Bewusstsein der Bevölkerung auch ist – die Möglichkeit, ein bisschen aus ihrem Schattendasein herauszutreten“.

Was spricht für die Teilnahme? „Die Sozialversicherungen gehören den Versicherten und nicht dem Staat, obwohl die Leistungen der Rentenversicherung und der Krankenversicherung weitestgehend gesetzlich festgelegt sind“, sagt Weiß. „Die Selbstverwalter haben doch entscheidend mitzubestimmen.“ Deswegen sollte man die Interessenvertreter wählen. Konkret werde es, wenn jemand mit der Entscheidung seiner Renten- oder Krankenversicherung nicht einig sei und Widerspruch einlege – dann lande sein Anliegen im Widerspruchsausschuss. „Dort sitzen genau die Leute, die er gewählt hat oder auch nicht gewählt hat.“

Für einen jungen Menschen seien Leistungen der Krankenkasse und Rentenversicherung noch fern. Wie sich an Long Covid zeige, könne das Leben kann aber auch anders spielen – Erkrankte könnten Bedarf an einer längeren Rehamaßnahme haben. „Deswegen sollte man das Thema nicht weit von sich schieben.“ Sodann argumentiert der CDU-Sozialexperte mit dem Fortschritt bei der Gleichstellung: „Es ist die erste Wahl in Deutschland mit einer verpflichtenden Geschlechterquote.“ Mindestens 40 Prozent Frauen seien vorgeschrieben. „Trotz der vielen Einwände, die es gab, wirkt diese Quote sagenhaft.“ Bis auf zwei kleine Betriebskrankenkassen, die nachbessern mussten, hätten es alle hingekriegt.

Wie werden junge Wähler angesprochen? Peter Weiß ist mit seinen 67 Jahren nicht gerade eine Identifikationsfigur für junge Wähler. Also braucht es für diese andere Zugpferde und moderne Hilfsmittel. Abgesehen von Werbespots mit dem Bundeskanzler oder Ministerpräsidenten werden die Social-Media-Aktivitäten verstärkt. Aufgeboten werden Influencerinnen und Slam-Poeten. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung versucht, junge Menschen breiter über Sozialversicherungen zu informieren.

Wie könnte in der Zukunft mehr Aufmerksamkeit erzeugt werden? Zu den Aufgaben des Bundeswahlbeauftragten gehört auch die Vorbereitung der nächsten Sozialwahl. Daher hat sich Peter Weiß vorgenommen, in seinem Abschlussbericht Vorschläge zu verankern, wie man das Sozialrecht in Zukunft verändern könnte. Vor allem dass es sich um eine reine Listenwahl und nicht um eine Persönlichkeitswahl handelt, lässt das Ganze ziemlich abstrakt erscheinen. Das Wählen sei in Deutschland mittlerweile sehr auf Spitzenkandidaten ausgerichtet, befindet er. Auch sei er schon öfter von Bürgern gefragt worden, worin eigentlich der Unterschied zwischen den Listen liege. Bei den Europawahlen seien immerhin die ersten fünf Kandidaten einer Parteiliste namentlich aufgeführt. So zeigt er sich überzeugt von der Idee: Etwas mehr Personalisierung würde der Sozialwahl helfen.

Außerdem meint der Bundeswahlbeauftragte, dass die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zur sozialen Selbstverwaltung intensiviert werden müsse. Mitunter würden junge Menschen die Schule verlassen, hätten dort über die Funktion der Sozialwahlen aber nie etwas gehört. „Da muss man sich nicht wundern, warum sie sich nicht damit auseinandersetzen.“

Das Generalsekretariat der Kultusministerkonferenz habe sich kooperationswillig gezeigt und will für die Zukunft entsprechende Projekte auflegen. „Sonst wird es auch ein Problem für die Sozialversicherung, wenn die Versicherten nicht mehr wissen, für wen sie eigentlich da ist“, mahnt Weiß.

Was kostet die Wahl? Die Deutsche Rentenversicherung veranschlagt die Gesamtkosten mit 60 Millionen Euro – also in ähnlicher Höhe wie 2017. Das wäre dann etwas mehr als ein Euro pro Versicherten. Das Modellprojekt Onlinewahlen werde etwa 8,5 Millionen Euro kosten und durch eine Umlage auf alle gesetzlichen Krankenkassen finanziert. „Im Vergleich zu den Haushalten der Kassen ist das ein Nasenwasser“, versichert Weiß.

Der größte Kostenblock sei die kostenfreie Rücksendung des Wahlscheins. Wenn sich die digitalen Wahlen als echte Alternative zur Briefwahl erweisen, liege darin ein Einsparpotenzial, hoffen die Organisatoren.