Die Stuttgarter Soziologin Annette Ohme-Reinicke befasst sich mit Formen des Widerstands gegen technische Großprojekte.
30.08.2010 - 15:06 Uhr
Frau Ohme-Reinicke, immer mehr Stuttgarter gehen auf die Straße. Ist Protest ansteckend?
Ja, sehr. Es bildet sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Die Leute stellen Fragen, fordern Erklärungen und verständigen sich untereinander über ihre Erfahrungen. In einem solchen Lernprozess findet man sich.
Jung, Alt, Arm, Reich, Alteingesessen, Zugezogen: viele marschieren mit. Welche Rolle spielt die Sehnsucht nach Gemeinschaft?
Gemeinschaft kann auch ins Gegenteil kippen und repressiv wirken. Hier geht es zunächst einmal um Widerspruch. Das Gefühl, übergangen worden zu sein, hat etwas Verbindendes. Es vermischt sich mit anderen Erfahrungen, bei denen sich viele Bürger ebenfalls übergangen sahen, etwa bei der Einführung des G8-Zuges. Hier in Stuttgart kommt noch etwas Besonderes hinzu: Die Stadt hat noch keine sozialen Protestbewegungen wie Berlin, Frankfurt oder Hamburg erlebt.
Hat Stuttgart Nachholbedarf in Sachen zivilgesellschaftlicher Emanzipation?
So gesehen ja. Anderswo gingen Runde Tische aus den Protestbewegungen hervor, um die Vertreter des Protests in Planungsprozesse einzubeziehen. Auch das hat es hier noch nicht gegeben.