Spätfolgen durch Corona Erst das Virus, nun die Erschöpfung
Knapp 240 000 Corona-Infizierte sind wieder genesen. Doch sind sie auch gesund? Viele Patienten haben hinterher mit Problemen zu kämpfen, wie das Beispiel einer 26-Jährigen zeigt.
Knapp 240 000 Corona-Infizierte sind wieder genesen. Doch sind sie auch gesund? Viele Patienten haben hinterher mit Problemen zu kämpfen, wie das Beispiel einer 26-Jährigen zeigt.
Stuttgart - Fast sechs Wochen lang hat sich der Sars-CoV-2-Erreger in Lisas Körper ausgetobt, hat sie fiebern lassen und ihr die Luft genommen, so dass sie nachts am Fenster stehen musste, um Atem zu schöpfen. Ein schmerzhaftes Stechen im Rücken und ein kratziges Gefühl in den Augen kamen dazu. „Ich war völlig platt“, schildert die 26-Jährige. „So krank hab ich mich noch nie im Leben zuvor gefühlt.“ Angesteckt hat sich die Physiotherapeutin aus dem Raum Schwäbisch Hall, die eigentlich anders heißt, vermutlich bei einem Patienten Ende März. „Damals gab es noch keine Mundschutzpflicht in der Praxis.“ Erst nach Ostern wird ihr bestätigt: Sie ist wieder frei von Coronaviren. „Ich dachte, nun geht’s stetig aufwärts.“
Jetzt, fünf Monate nach der akuten Infektion, lacht sie bitter, wenn sie daran denkt. Denn seit jenem Tag durchlebt Lisa eine Achterbahnfahrt: Es gibt Tage, an denen sie alte Kräfte spürt, aber auch heftige Rückfälle mit extremer Erschöpfung, nicht enden wollenden Hustenanfällen und Kopfschmerzattacken, die sie dazu zwingen, tagelang das Bett zu hüten. „Die Symptome kommen und gehen, sie nehmen mich und mein Leben gefangen.“
Die junge Frau ist nicht die Einzige, die sich nach einer Ansteckung mit dem Sars-CoV-2-Virus nur schleppend erholt. Es mehren sich Berichte von Patienten mit Langzeitbeschwerden. Häufig sind es neben der typischen Abgeschlagenheit auch Anfälle von Schüttelfrost, Schweißausbrüchen, wandernden Gliederschmerzen, Konzentrationsschwächen und mitunter sogar Angstattacken. Und wie auch bei Lisa heißt es oft, dass diese Krankheitszeichen verschwänden – nur um nach einer gewissen Zeit mit voller Wucht zurückzukehren. „Hauptsächlich dann, nachdem ich mich körperlich angestrengt habe – etwa bei der Arbeit oder beim Sport.“ Zum Beispiel, wenn sie sich mal eine Stunde auf ihr Rennrad geschwungen oder eine Laufrunde absolviert hat. „In der Nacht darauf habe ich heftige Hustenattacken und bin tagelang wie erschlagen.“
Wie viele Patienten mit Covid-19 das gleiche Schicksal trifft, lässt sich noch nicht sagen: In Fachkreisen geht man davon aus, dass rund drei Prozent der Patienten nach überstandener Erkrankung langfristig noch Symptome haben. Auf ganz Deutschland hochgerechnet seien das mehrere Tausend Betroffene. Andere Studien kommen auf höhere Zahlen – allerdings haben sie meist Patienten beobachtet, die im Krankenhaus behandelt wurden. Forscher aus Italien etwa berichteten im Juli in der US-Ärztezeitschrift „Jama“, dass 44 Prozent der von ihnen befragten Corona-Patienten zwei Monate nach der Erkrankung noch immer unter einer Verschlechterung ihrer Lebensqualität litten. 53 Prozent von ihnen klagen demnach über das Ermüdungssyndrom Fatigue, 43 Prozent über Atemnot und 27 Prozent über Gelenkschmerzen. Lediglich knapp 13 Prozent der untersuchten Patienten hatten nach zwei Monaten keine Symptome mehr.
Auch in Deutschland sehen Experten die Entwicklung mit Sorge: „Wir stehen noch ganz am Anfang, schließlich gibt es die Krankheit erst seit ein paar Monaten“, sagt Konrad Schultz, der Medizinische Direktor der Klinik Bad Reichenhall, eines Reha-Zentrums für Lungenkranke. Seit Mai wurden dort mehr als 60 Patienten behandelt, die trotz überstandener Infektion mit Sars-CoV-2 nicht gesund sind. Neben unterschiedlichen körperlichen Problemen eint sie ein gewisses Gefühl der Ohnmacht – als ob sie das Vertrauen in ihren Körper verloren hätten. „Dabei können wir aus unserer jetzigen Erfahrung sagen: Es geht zwar manchmal langsam, aber es verändert sich in der Regel zum Besseren“, sagt Schultz. Wichtig sei aber: „Jeder, der nach Überstehen der Akutphase das Gefühl hat, nicht richtig gesund zu werden, sollte sich dringend untersuchen lassen.“ Ratsam sei mindestens eine Lungenfunktionsuntersuchung.
Warum der Gesundheitscheck nach einer scheinbar überstandenen Corona-Infektion so wichtig ist, hat unlängst auch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) betont. So könnten insbesondere im Bereich der Lunge Schäden auftreten – nicht nur bei denen, die lange an Beatmungsgeräten hingen. „Auch bei Patienten mit einem leichteren Verlauf kann es zu Vernarbungen im Gewebe kommen, die zu langfristigen Atmungsbeschwerden führen“, sagt Claus Neurohr, Chefarzt der Klinik Schillerhöhe des Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhauses. Die Klinik ist auf die Behandlung von Patienten mit Erkrankungen der Atmungsorgane spezialisiert. Eine weitere Gefahr ist, dass sich Blutgerinnsel in der Lunge bilden. Nicht zuletzt leidet auch das Herz unter einer Virusinfektion: „Diese kann leicht auf den Herzmuskel übergehen.“.
Erst Ende Juli hat die Uniklinik Frankfurt eine Studie veröffentlicht, die Herzschäden bei einem Großteil von Corona-Genesenen festgestellt hat. Nachdem die Patienten negativ auf Corona getestet worden waren, fand das Forscherteam bei 78 Prozent der Genesenen noch Auffälligkeiten am Herzen. Bei 60 Prozent wurde sogar eine Herzmuskelentzündung diagnostiziert – die unbehandelt lebensgefährlich werden kann.
Das Virus kann aber auch auf andere Organe übergehen – und auf das zentrale Nervensystem. Manche haben Geschmacks-, Gefühls- und psychische Störungen, von denen keiner weiß, wie lange diese anhalten. Zudem gehen Forscher davon aus, dass Virusinfektionen in Einzelfällen ein chronisches Erschöpfungssyndrom auslösen können, bei dem eine fehlgeleitete Immunantwort unter anderem zu ständiger Abgeschlagenheit führen kann. Doch der Gang zum Arzt nach Quarantäne und einem negativen Testergebnis fällt Betroffenen noch schwer: „Viele, die eine Corona-Infektion zu Hause durchgemacht haben, warten lieber ab, bis es scheinbar ein bisschen besser wird, um dann ihr altes Leben, so gut es geht, wieder aufzunehmen“, sagt der Lungenfacharzt Schultz. Die ständig wiederkehrende Müdigkeit oder die Kurzatmigkeit wird in Kauf genommen. „Ich glaube, dass bei vielen die Hemmschwelle noch zu groß ist.“
Auch Lisa hatte erst gezögert, zum Arzt zu gehen. „Zu der Zeit des Lockdowns hätte ich sowieso keinen Termin bekommen.“ Ihre Zuversicht war groß, dass die Symptome irgendwann verschwinden würden – so wie bei ihrem Freund, einem 800-Meter-Läufer. Er hatte nach seiner überstandenen Covid-19-Erkrankung zwar ebenfalls wochenlang mit Atemproblemen zu kämpfen, kann inzwischen aber wieder sein altes Trainingspensum absolvieren. Als sich Lisa schließlich doch untersuchen ließ, gab es keine auffälligen Befunde. Lungenfunktion, Herztätigkeit – alles im grünen Bereich. „Man sagte mir, ich solle abwarten, die Symptome würden sicher vergehen.“ Das war im Juni.
Inzwischen wird versucht, Anlaufstellen für Post-Covid-Patienten einzurichten: In Jena etwa wurde erst unlängst eine Post-Covid-Ambulanz eröffnet, in der Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen zusammenarbeiten – Neurologen, Kardiologen, Pneumologen, Psychiater und Arbeitsmediziner. An anderen Standorten wie in München, Hannover oder am Uniklinikum Tübingen gibt es ähnliche Einrichtungen. Auch Lungenfachkliniken wie die Klinik Schillerhöhe in Stuttgart behandeln ehemals Infizierte.
„Corona gehörte bis vor einigen Monaten nicht zu den klassischen Erkrankungen, bei denen eine Reha empfohlen wurde, aber das hat sich geändert“, sagt Konrad Schultz aus Bad Reichenhall. Inzwischen gebe es eine Leitlinie der DGP zur Rehabilitation nach Covid-19. Der bisherige Umgang mit den Patienten habe gezeigt: Eine Kombination aus körperlichem Training, Atemphysiotherapie, Aufklärung über die Krankheit und Austausch unter den Betroffenen kann helfen. Es gebe zwar bisher keine groß angelegte Studie, die den Gesundheitszustand der Betroffenen nach einer Rehabilitation mit dem jener vergleicht, die nicht behandelt wurden. Aber in einer laufenden Beobachtungsstudie der Bad Reichenhaller Klinik mit Daten von bislang 50 Patienten hätten fast alle Teilnehmer berichtet, dass die Atemnot sich am Ende der Rehabilitation gebessert habe, ebenso die körperliche Leistungsfähigkeit und die Psyche. „Die Menschen, die während ihrer Akutphase häufig an Albträumen gelitten haben, sagen, sie schlafen ruhiger.“
Lisa hat sich über eine Reha noch keine Gedanken gemacht. Sie versucht zu arbeiten und ihr altes Leben, so gut es geht, wieder aufzunehmen. Wenn sie Patienten behandelt, die sich weigern, ihren Mundschutz zu tragen, hat sie Mühe, ihren Ärger zu unterdrücken. Die Leute tun so, als hätten wir die Pandemie im Griff, sagt sie. „Aber solange wir nicht mehr über die Krankheit und ihre Folgen wissen, sollten wir nicht so tun, als wäre alles wieder normal.“