Bei der spanischen Tageszeitung „El País“ muss fast ein Drittel der Belegschaft gehen.Die Werbeeinnahmen der Blätter des Landes haben sich in den letzten Jahren halbiert.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Der Ton wird schärfer. „Eines Tages, in jedem x-beliebigen Unternehmen, werden die Gehälter der Arbeiter gekürzt, um die Börsenspielsucht ihrer Besitzer zu befriedigen“, schrieb Enric González, einer der besten Autoren der Madrider Tageszeitung „El País“, vor dreieinhalb Jahren in einer Kolumne. Doch der Text erschien nie. Die Herausgeber fühlten sich angesprochen und zogen es vor, Zensur auszuüben.

 

Kürzlich schrieb González einen neuen Text, dieses Mal nicht für „El País“, sondern für das Netzmagazin „Jot Down“. Und dieses Mal nannte González einen Namen: Juan Luis Cebrián, Geschäftsführer des Verlagshauses Prisa, dem Herausgeber von „El País“. „Auch in mir löst er Entsetzen und einen gewissen Widerwillen aus“, schrieb González. „Aber ich denke lieber, dass er krank ist und dass die Heilung seiner Krankheit nicht mit Geld zu bezahlen ist. Es handelt sich wohl nicht, wie ich vor einigen Jahren glaubte, um einen einfachen Fall von Börsenspielsucht. Dann wäre er schon wieder zu Sinnen gekommen. Ich zweifele, dass es für ihn ein Heilmittel gibt. Es ist jammerschade.“

In der Krise

„El País“ steckt in der Krise, die spanischen Tageszeitungen stecken in der Krise, der gesamte spanische Journalismus steckt in der Krise – „in der schlimmsten Krise seiner Geschichte“, schreibt der spanische Journalistenverband Fape in einem Manifest vom Anfang dieses Monats. Die Ursachen dieser Krise ähneln denen in anderen Ländern: Zum einen liegt die Wirtschaft am Boden, weswegen die Werbeeinnahmen der Medien wegbrechen, zum anderen wandern immer mehr Mediennutzer ins Internet ab, ohne dass es die Verlage bisher verstanden hätten, aus ihren Netzauftritten ein gutes Geschäft zu machen.

Am schlimmsten hat die Krise die Tageszeitungen getroffen. Seit 2007 ist die Gesamtauflage aller verkauften Tageszeitungen um ein Sechstel zurückgegangen. Den Auflagenschwund haben die Verlage zum großen Teil mit Preiserhöhungen wettmachen können. Doch viel dramatischer ist der Rückgang der Werbeeinnahmen: Die sind zwischen 2007 und 2011 beinahe um die Hälfte eingebrochen, und nach vorläufigen Zahlen vom ersten Halbjahr dieses Jahres – minus zwanzig Prozent – setzt sich die Tendenz verschärft fort.

Zehn Zeitungen eingestellt

Von ehemals 140 Verkaufszeitungen sind seit 2007 bereits zehn eingestellt worden, unter ihnen die linke Tageszeitung „Público“. Und auch die anderen überregionalen Zeitungen leiden. Die mehr als hundert Jahre alte konservative „ABC“ kündigte im vergangenen Jahr die Entlassung von vierzig Mitarbeitern an, die populistische „El Mundo“, Spaniens zweitgrößte Tageszeitung, setzt dieses Jahr mehr als hundert Leute auf die Straße. Und nun hat es auch „El País“ erwischt.

„El País“ ist eine Institution in der spanischsprachigen Welt. Das liberale Blatt wurde im Frühjahr 1976, kurz nach dem Tod des Diktators Franco, gegründet und hat sich seitdem zur unbestrittenen Nummer eins auf dem spanischen Zeitungsmarkt entwickelt. Im Jahr 2011 verkaufte es durchschnittlich noch täglich 365 000 Exemplare, doch die Tendenz ist wie bei allen anderen spanischen Tageszeitungen fallend. Das Blatt rechnet in diesem Jahr zum ersten Mal in seiner 36-jährigen Geschichte mit einem leichten Verlust in Höhe von zwei Millionen Euro.

Vor zehn Tagen kündigte der Verlag eine Radikalkur an. 128 Beschäftigte sollen entlassen, 21 in Frührente geschickt werden, insgesamt fast ein Drittel der Mitarbeiter. Der Betriebsrat ist fassungslos – und unterstellt dem Prisa-Geschäftsführer Cebrián „fehlende Loyalität gegenüber der Belegschaft und ein verheerendes Management“. Prisa hat sich in den vergangenen Jahren unter Cebriáns Führung in etliche unrentable Fernsehabenteuer gestürzt, die dem Medienkonzern bis zu fünf Milliarden Euro Schulden bescherten. Das ist es, was Enric González die „Börsenspielsucht“ nennt. Profitiert hat davon vor allem Cebrián selbst. Nach Berechnungen des Betriebsrats verdiente er im vergangenen Jahr 13 Millionen Euro.