Seit dem Sonntag warnte der Meteorologische Dienst vor möglichen Unwettern an der spanischen Mittelmeerküste. Für viele kamen die Fluten dennoch wie aus heiterem Himmel.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Die Bewohner des Altenheims von Paiporta saßen zum Abendessen im Speisesaal im Erdgeschoss, als das Wasser einbrach. Es war eine biblische Flut. Nach wenigen Minuten saßen die Alten in ihren Rollstühlen bis zur Brust im Wasser, wovon es erschreckende Bilder gibt. Die Pflegekräfte, die Leute aus der Küche und aus der Verwaltung eilten herbei und trugen diejenigen, die sich nicht selbst bewegen konnten, hinauf zu den Zimmern im ersten Stock. „Dann wurde nachgezählt“, berichtet ein Zeuge der Zeitung El Confidencial. „Es fehlten zehn.“

 

Paiporta ist ein Vorort von Valencia. Gut 25000 Menschen sind hier gemeldet. Von ihnen starben am Abend, als die Flut kam, mindestens 62, so viele wie in keinem anderen Ort bei dieser Überschwemmungskatastrophe im Osten und im Süden Spaniens. In Paiporta hatte es kaum geregnet, als am frühen Dienstagabend ein Nachbar dem anderen riet, sein Auto aus der tief gelegenen Garage zu holen, weil vom Westen her eine Flut heranrollte. Für manche war der gut gemeinte Rat ein Todesurteil. Die Flut kam schneller als erwartet.


Eine Mutter ertrinkt mit ihrem Säugling

In Chiva, 30 Kilometer westlich von Paiporta in den Bergen gelegen, hatte es geregnet, wie es nie regnet. Die Himmel hatten ihre Schleusen geöffnet, und nun stürzte das Wasser von Chiva die Rambla del Poyo hinab, ein meistens trockenes Bachbett, um sich über Paiporta zu wälzen. Eine Mutter rettete sich mit ihrem drei Monate alten Säugling auf das Dach ihres Autos. Sie rief eine Freundin an: Kümmere dich um meine anderen Kinder, wenn mir etwas zustößt. Später fanden die Rettungskräfte die Leichen von Mutter und Säugling. „Der Himmel hat zwei Engel mehr“, schrieb eine Freundin. „Vielen Dank für alles.“

Vielen ist zu danken in Katastrophen wie dieser, den professionellen und den freiwilligen Helfern, den Feuerwehrleuten und den Hubschrauberpiloten, den Suchtrupps und den neun Teams von Gerichtsmedizinern, die in Valencia in einer freigeräumten Parkgarage die Toten identifizieren. 158 wurden bis zum Donnerstagabend gezählt.

Politische Debatte über Spanien-Unwetter

Wieso mussten so viele Menschen sterben? „Heute ist nicht der Tag dafür“, sagte Borja Sanjuán, ein Valencianer Lokalpolitiker, am Mittwoch, „aber schließlich wird man die Gründe für die fehlende Voraussicht herausfinden müssen.“ Das ist wahr. Unglücklicherweise suchen Politiker selten nach Gründen und meistens nach Schuldigen, möglichst im gegnerischen Lager. Noch ist Spanien in Trauer geeint, aber erste unwirsche Töne lassen nichts Gutes für die Debatten der kommenden Wochen ahnen.

An Voraussicht hat es in Wirklichkeit nicht gefehlt. Die spanische Staatliche Agentur für Meteorologie (AEMET) gab am Sonntag um 13.50 Uhr, zwei Tage vor der Katastrophe, eine erste Warnung heraus: Für den Osten Spaniens erwarte man am Dienstag „sehr starke Schauer, ohne örtliche sintflutartige Regenfälle auszuschließen“. Am Dienstagmorgen um 9.41 Uhr rief die AEMET Warnstufe Rot für die gesamte Provinz Valencia aus. Das haben die Spanier schon oft gehört. Starkregen, DANA (das ist die spanische Abkürzung für diese Art extremer Wetterphänomene), Warnstufe Rot. Aber die Unwetter sind immer woanders. Was soll man tun, wenn das Unwetter fern zu sein scheint, wenn es kaum regnet, wenn einem der Nachbar rät, das Auto aus der Garage zu holen?

Manchen stand das Wasser bis zum Hals, als die Wetterwarnung kam

Um 20.11 Uhr, als die Tragödie schon im Gange war, gab der Valencianer Katastrophenschutz eine Warnbotschaft an alle Mobiltelefone in der Provinz heraus. Man solle jetzt möglichst nicht unterwegs sein. Kurz darauf eine zweite, deutlichere Botschaft: Zuhause bleiben! Bei manchen kam die Nachricht an, als ihnen das Wasser schon zum Halse stand. Es gibt Analysebedarf.

Spanien erinnert sich jetzt an frühere Flutkatastrophen in dieser Gegend: 1987, 1982, 1957. Die von 1957 überschwemmte die halbe Stadt Valencia. Das damals regierende Franco-Regime ließ Staudämme und ein neues Bett für den Fluss Turia bauen, an der Stadt vorbei statt durch sie hindurch. Das hat diesmal größere Schäden in der Provinz- und Regionalhauptstadt verhindert. Die Katastrophe hat gerade eben vor Valencia, der drittgrößten Stadt Spaniens, haltgemacht. Betroffen ist sie trotzdem: Die Zuglinien hinaus in den Rest des Landes sind unterbrochen und werden es wohl noch zwei Wochen bleiben. Auch die Autobahnen sind blockiert: Am Donnerstagnachmittag standen sie noch voller Autos, die zwei Tage zuvor von den Wassermassen überrascht wurden waren. Selbst die Hilfsmannschaften hatten Schwierigkeiten, zu den gestrandeten Autos und ihren Passagieren vorzudringen. Manche verbrachten zwei Nächten in ihren Wagen, abgeschnitten von der Welt.

Spanien-Unwetter noch nicht vorbei

Und jetzt? Am Donnerstagvormittag gab die AEMET eine neue Warnung heraus. „Wiege dich nicht in Sicherheit. Ein Bachbett verwandelt sich schnell in eine reißende Flut.“ Am Mittwoch war ein Teil der Regenfront Richtung Westen, nach Andalusien und Extremadura, weitergewandert, abgeschwächt, aber immer noch stark und gefährlich. Ein anderer Teil der Unwetterfront bewegte sich am Donnerstag Richtung Nordosten, nach Castellón, nach Katalonien, nach Aragón.