Von der „Internationalen“ bis „I Will Survive“, von Billie Holiday bis Pussy Riot: Es gibt Lieder, die die Welt verändert haben. Die zweiteilige Arte-Dokumentation „Sound of Freedom“ erzählt spannend mit vielen Stars und Zeitzeugen davon.

Stuttgart - Was haben die französische Nationalhymne und der knapp 200 Jahre später entstandene Popsong „I Will survive“ von Gloria Gaynor gemeinsam? Ganz einfach: Beide sind Freiheitslieder. Bei der Marseillaise, zu deren Klängen einst die Bastille gestürmt würde, ist das offensichtlich; beim Disco-Hit muss man allerdings wissen, dass das Lied Ende der Siebziger zur Hymne der Schwulenbewegung wurde.

 

Die Dokumentation „Sound of Freedom“ bietet gewissermaßen ein „Best of“ jener Lieder, welche die unterschiedlichsten Freiheitskämpfe begleitet und auf diese Weise die Welt bewegt haben. Das Potpourri reicht vom Volkslied „Die Gedanken sind frei“ über den antifaschistischen Klassiker „Bella ciao“ bis zum Punkrock von Patti Smith. Der vom ZDF für Arte produzierte Zweiteiler wirkt wie eine Verfilmung des ausgezeichneten Buches „Provokation!“, in dem sich der Musikexperte Michael Behrendt mit siebzig Songs befasst, „die für Zündstoff sorg(t)en“, wie der Titelzusatz lautet. Viele der Lieder, die Chrysanthi Goula, Ulrike Neubecker und Bernard Wedig im Film vorstellen, hat auch Behrendt analysiert.

Im Grunde unterscheiden sich Buch und Film in erster Linie durch die Experten, weil das Autorenteam eine Vielzahl internationaler Musikerinnen und Musiker sowie mehrere Journalisten zu Wort kommen lässt. Das klingt zunächst nach dem Muster jener Musiksendungen („Die größten Hits der Achtziger“), wie sie gern für die dritten Programme oder RTL entstehen; diese Produktionen bewegen sich regelmäßig am Rande der Unerträglichkeit, weil irgendwelche Fernsehvögel den Fluss unterbrechen und ihren uninteressanten Senf dazu geben.

Sookee ist eine ungewöhnliche Rapperin

„Sound of Freedom“ ist zwar deutlich anspruchsvoller, hat dafür aber ein anderes Manko: Während sich das Konzept von Behrendts Buch am Zeitstrahl orientiert, wirken die beiden Filme etwas unstrukturiert. Im ersten Teil geht es eher um weltpolitische Ereignisse wie den Vietnam-Krieg, die Perestroika und den Mauerfall, im zweiten stehen stärker die Menschenrechte im Vordergrund, aber eine Binnendramaturgie ist nicht erkennbar. Auch die Aussagen der Musiker haben nicht immer einen direkten Bezug.

Die Auswahl dieser Experten erschließt sich zwar ebenfalls nicht immer auf Anhieb, ist aber interessant, zumal Goula, Neubecker und Wedig offenkundig wenig Wert auf Weltruhm gelegt haben. Der französische Elektronikpionier Jean-Michel Jarre ist der mit Abstand bekannteste Interviewpartner, aber die deutsche Rapperin Sookee, die sich nicht nur musikalisch gegen Homophobie, Sexismus und Rassismus engagiert, ist als Gesprächspartnerin womöglich noch spannender.

Konstantin Wecker kommt zu kurz

Etwas kurz kommt dagegen der ohnehin nur in Teil zwei mitwirkende Konstantin Wecker; der Liedermacher ist hierzulande immerhin seit vierzig Jahren eine Ikone des Antifaschismus’ und hätte allemal mehr zu sagen als zum Beispiel Klaus Meine von den Scorpions, selbst wenn deren „Wind of Change“ in Rückblicken gern als „Wendehymne“ gefeiert wird. Es fällt ohnehin auf, dass sich die Autoren überwiegend des männlichen Expertenwissens bedient haben; die weiblichen Mitwirkenden kommen vor allem dann zu Wort, wenn zwischendurch Frauenfragen im Mittelpunkt stehen.

Trotzdem ist „Sound of Freedom“ sehenswert, weil es in den beiden Filmen nicht nur um die Musik, sondern auch um die jeweiligen historischen Hintergründe und den Bezug zur Gegenwart geht. So wird zum Beispiel gefragt, ob die „Marseillaise“ mit ihrem martialischen Text heutzutage noch zeitgemäß sei. Serge Gainsbourg, immer für einen Skandal gut, hat seine Landsleute schon vor vierzig Jahren mit einer Reggae-Version des Lieds provoziert. Wissensbissen dieser Art hat die zweiteilige Dokumentation zuhauf zu bieten, und auch dies trägt dazu bei, dass sie so sprunghaft wirkt: Das Stichwort „Nationalhymne“ wird umgehend mit dem legendären Auftritt von Jimi Hendrix beim Woodstock-Festival assoziiert, als er die amerikanische Hymne auf der Gitarre gespielt hat. Von dort ist es nur ein kleiner Schnitt zum schwarzen Football-Star Colin Kaepernick, der 2016 gegen Rassismus und Polizeigewalt protestierte, indem er während der Nationalhymne kniete. Im zweiten Film gelingt das Kunststück, die russischen Aktivistinnen der Punk-Band Pussy Riot mit The Clash (immerhin ebenfalls Punk, aber dreißig Jahre älter) und dem Arbeiterlied „Die Internationale“ unter einen Hut zu bekommen.

Weil sich die Filme zudem des Öfteren im Detail verzetteln, bleibt an anderer Stelle keine Zeit, um Aspekte zu vertiefen; im Sauseschritt geht’s durch die Geschichte der weiblichen Rockmusik. Auch die Verhältnismäßigkeit bleibt auf der Strecke: Als Jazzsängerin Billie Holiday 1939 mit ihrem Lied „Strange Fruit“ die Lynchjustiz an Schwarzen in den Südstaaten angeprangert hat, dürfte das weitaus mehr Mut erfordert haben als das feministische Engagement von Popstar Beyoncé, die zu den reichsten Musikern der Welt gehört.