Aus sieben Innenstadt-Gemeinden wurde jetzt die größte Kirchengemeinde in Württemberg. Die Mitglieder sorgen sich: „Wo kann ich da noch mitreden oder mitentscheiden?“

Die evangelische Kirchengemeinde von Heilbronn wird demnächst, sicher auch für eine gewisse Zeit lang, mit ihren 15 000 bis 16 00 Mitgliedern die größte Kirchengemeinde innerhalb der württembergischen Landeskirche sein. Hier hat man, wieder einmal, in einer Tradition die bis zur Vorreformation zurückreicht, eine Vorreiterrolle eingenommen.

 

So wie schon in vorreformatischen und dann auch späteren Zeiten der Prediger Johannes Lachman und der Bürgermeister Hans Riesser damit abrechneten, was vorher war und die sich „reformierten“ – so will man sich auch jetzt für die Zukunft neu aufstellen. Damals ersetzte man die Messe durch den Predigtgottesdienst und führte das evangelische Abendmahl ein, änderte 1627 „in gefährlichen läuffen und bösen zeiten“ die Kirchenordnung. Heute sind die Zeiten, auch für die Kirchen, nicht erbaulich, mit den Austritten geht auch die Reduzierung der Pfarrstellen einher, bei gleichzeitigem Nachwuchsmangel. Darauf reagiert man jetzt im Dekanat Heilbronn mit einer neuen Kirchenordnung.

„Fast ein Wunder“

Sieben Gemeinden werden in Heilbronn künftig durch fünfeinhalb Pfarrstellen betreut, einer der spürbarsten Punkte, die sich aus ihrer Zusammenlegung zu einer Großgemeinde ergeben. Ein erster Schritt war im Frühjahr der Beschluss zum Zusammengehen der Dekanate Heilbronn und Brackenheim, nun ging es an die inneren Strukturen. Es sei „fast ein Wunder“, dass diese, offenbar ohne tiefere Verwerfungen und basisdemokratisch gestaltete Heilbronner Strukturreform, inzwischen von allen „abgesegnet“, werden konnte. So sehen es Dekan Christoph Baisch und Michael Kannenberg, Vorsitzender des Kirchengemeinderates.

Die Überlegungen dazu reichen etliche Jahre zurück, in Angriff genommen hat man die Neuaufstellung vor anderthalb Jahren. Zentrales Anliegen und zugleich schwierigster Prozess war es, eine Lösung zu schaffen, nach der die bisherigen Einzelgemeinden in der Großgemeinde aufgehen, sich aber nicht auflösen sollen. Für ein solches Vorhaben in dieser Größenordnung gab es kein Muster, aber nun kann Heilbronn dafür ein Muster werden. Hier handelte es sich nicht einfach um die Fusion von zwei kleinen Gemeinden und auch nicht um Verschlankungen, wie man sie von der öffentlichen Verwaltungen fordert, es ging um sehr viel mehr, wie Baisch und Kannenberg betonen: um den Erhalt der geistigen und emotionalen Heimat, die den Gläubigen und Mitgliedern „ihre Kirche“ bedeutet und bietet.

Künftig sind Pop-up-Trauungen möglich

Hilfe erhielten die „Reformer“ in Form von Moderation und kirchenrechtlicher Betreuung. Jede Beschluss-Stufe begleiteten die von der Landeskirche dafür vermittelten Fachfrauen, Pfarrerin Gisela Dehlinger und Stefanie Schumann. Im Endergebnis bedeutet es für alle Gemeindemitglieder dies: Nicht jeden Sonntag wird in „ihrer Kirche“ von „ihrem Pfarrer“ oder „ihrer Pfarrerin“ ein Gottesdienst gehalten, dafür lernen sie andere Seelsorger kennen, andere Töne in der Kirchenmusik und andere, neue Formate. Michael Kannenberg kann sich da auch „Pop-up-Trauungen“ vorstellen.

Gespannt ist man auch darauf, wie sich etwa 170 „Konfis“ im gemeinsamen Konfirmationsunterricht finden. Zu den weiteren Synergien gehören auch die Finanzen. Der Vorteil: Großprojekte, die eine kleine Gemeinde allein nicht stemmen könnte, werden machbar, andere müssen auch mal warten, je nachdem wie der Kirchengemeinderat abstimmt. Ihm gehören derzeit 19 Mitglieder wie bisher an, plus vier neue Ausgleichsmandate und als „geborene Mitglieder“ die Pfarrschaft und der Dekan.

Im Organigramm, das die neue Struktur abbildet und jetzt für alle Gemeindemitglieder veröffentlicht wurde, stehen unterhalb des Kirchengemeinderates sechs Parochien (abgegrenzte Pfarrbezirke innerhalb einer Kirchengemeinde), aufgeteilt auf die früheren Kirchengemeinden. In der Untergliederung folgen Themen-Teams für Veranstaltungen, Gottesdienste, Kirchenmusik Familienarbeit Diakonie, Ökumene, Kultur und weitere Felder. Dekan Baisch sagt, eine der entscheidendsten Fragen sei diese gewesen: „Wo kann ich da noch mitreden oder mitentscheiden?“Die Voraussetzungen dafür geben die in vielen Sitzungen erreichte Gliederung und Kompetenzzuweisung.

Eine erste, harte Bewährungsprobe steht wohl bald an. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: der Verkauf des Hans-Riesser-Hauses aus den 60er Jahren, als Gemeindehaus in bester City-Lage, mit einem Saal, der unter Denkmalschutz gehört, einst der ganze Stolz, jetzt ein schwerer Sanierungsfall, für den die Mittel nicht reichen. Als vor einigen Jahren das Thema ein erstes Mal aufkam, gab es heftige Proteste. Doch zuvor wird am 12. Januar 2025 in der Kilianskirche in einem Festgottesdienst das Ergebnis der Mühen aus fast unzähligen Sitzungen gefeiert.