Aufgrund der Dominanz von Mercedes droht der Formel 1 eine Krise. Die Fans und die Fernsehsender leiden unter der fehlenden Spannung.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Wenn Lewis Hamilton etwas sagt, sollte man die Worte nicht unbedingt auf eine Goldwaage legen, mitunter haut der Bursche Sätze raus wie: „Ich strebe nicht danach, so zu sein wie die anderen Fahrer – ich strebe danach, auf meine Art einzigartig zu sein.“ Gelegentlich neigt der fünfmalige Formel-1-Champion zur Selbstüberhöhung, manche würde es Arroganz nennen. Nach dem Rennen in Barcelona hat der souveräne Sieger des Großen Preises von Spanien gleich zwei Superlative zusammen gepackt. „Es ist das stärkste Auto, das wir je gebaut haben. Es ist das stärkste Team, das es je gegeben hat“, schwärmte Lewis Hamilton – und er meinte jedes Wort exakt so. In diesem speziellen Fall dürfte der Primus der Formel-1-Gesellschaft wahrscheinlich unwidersprochen bleiben. In fünf Saisonrennen feierte Mercedes fünf Doppelsiege, dreimal triumphierte Hamilton, zweimal sein finnischer Teamkollege Valtteri Bottas.

 

Erdrückende Dominanz der Silberpfeile

Diese erdrückende Dominanz der Silberpfeile zwingt sogar ein Selbstbewusstseins-Monster wie Hamilton in eine kleine Sinnkrise. „Nur in einem Team um die WM zu fahren, das sollte in der Formel 1 nicht sein“, sagte der 34-Jährige, „wenn der Kampf mit anderen Teams nicht da ist, ist es weniger aufregend.“ Es ist der Fluch der guten Tat, der die Menschen bei Mercedes umtreibt. Da liefern die Angestellten vom Hausmeister in Brackley bis hin zu Teamchef Toto Wolff am Kommandostand eine außerordentlich meisterhafte Arbeit ab, dass die Auswirkungen ins Negative umschlagen. Nach dem Grand Prix in Barcelona wurde Wolff gefragt, ob die Unbesiegbarkeit nicht ein Nachteil fürs Heimspiel beim Großen Preis von Deutschland in Hockenheim am 28. Juli sei – dort ist Mercedes Titelsponsor, doch die Niedrigspannung auf der Piste könnte viele Formel-1-Sympathisanten davon abhalten, ein Ticket zu kaufen. Der Vorverkauf für das Rennen hinkt derzeit den Zahlen des Vorjahren ohnehin um 5000 hinterher. Wolff wusste nicht genau, wie er antworten sollte, schließlich meinte er: „Ich hoffe, dass wir die Fans mobilisieren können, nach Hockenheim zu kommen.“

Spektakel Fehlanzeige

Mercedes ist dabei der falsche Ansprechpartner, geschweige denn der Schuldige für das Spannungsloch – eigentlich müssten die Kritiker Ferrari und Red Bull an die Karren fahren, weil es ihnen nicht gelingt, den Silberpfeilen Paroli zu bieten. „Wir wollen so schnell sein, wie wir können. Keine Ahnung, warum die anderen zurückgefallen sind“, meinte Hamilton und machte große Augen. Die Scuderia aus Maranello und die PS-Abteilung des Brause-Imperiums erfüllen ihre Pflichten unzureichend, die Formel 1 in das spektakuläre Spektakel zu verwandeln, das sich die Sportfans rund um den Globus von der Serie versprechen, ja von ihr erwarten.

Zuschauer-Interesse sinkt

Das hat auch Fernsehsender RTL zu spüren bekommen. Am Sonntag saßen im Durchschnitt 3,68 Millionen Motorsportfreunde vor dem Bildschirm und verfolgten die Mercedes-Prozession, die Fernbedienungstaste von Bezahlsender Sky hatten 330 000 Menschen gedrückt – macht insgesamt knapp über vier Millionen Formel-1-Gucker. Im vergangenen Jahr, damals war RTL noch Monopolist, hatten sich 4,73 Millionen Zuschauer den Großen Preis von Spanien gegönnt. Langeweile tötet Neugier. Der These kann Matthias Bolhöfer nicht widersprechen. „So sehr wir dem Mercedes-Team unsere Hochachtung zollen“, sagt der RTL-Sprecher, „so sehr leiden wir wie die Fans unter der fehlenden Spannung. Dass sich diese Dominanz auf das Zuschauer-Interesse auswirkt, ist eine logische Konsequenz.“ Lediglich in Bahrain drückten dieses Jahr mehr Fans die RTL-Taste (4,82 Millionen) als im Jahr zuvor (4,72) – bei allen anderen Rennen sanken die Quote als auch die Marktanteile. Nach den Wintertests hatten sie beim Sender noch vorsichtig auf einen brisanten Zweikampf gehofft, nachdem Ferrari die besten Zeiten hingelegt hatte. Doch die Realität wurde eine andere. Nun bleibt den RTL-Machern nur die Hoffnung, dass die Roten bald die Kurve kriegen. „Ferrari und Co. werden sich sicher nicht mit dieser Situation abfinden“, sagt Bolhöfer. Auch bei Sky ist niemand rundum glücklich. „Natürlich erhoffen wir uns, dass Ferrari schnell zu Mercedes aufschließt“, lässt die Kommunkations-Abteilung wissen, „wir stellen insgesamt aber ein starkes Interesse fest. Bislang liegen unsere Quoten auf Sky um sieben Prozent über denen von vor zwei Jahren.“

Wolff kann alle Zuschauer nur um Verständnis bitten. „Als Fan möchtest du natürlich Abwechslung und Unvorhersehbarkeit, für uns kann das aber kein Ziel sein“, sagt der Mercedes-Mann. Und damit hat er Recht.