Nach dem Urteil des Tübinger Landgerichts sollen die Verwahrentgelte im Privatkundengeschäft eine Ausnahme bleiben, kündigen Bankverbände an.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Tübingen - Das Landgericht Tübingen hat der Erhebung von Strafzinsen bei Privatkunden Grenzen gesetzt: Sie dürfen für bestehende Konten nicht einfach per Preisaushang eingeführt werden. Bei einer entsprechenden vertraglichen Regelung sind Minuszinsen nach dem Urteil vom Freitag aber durchaus möglich – jedenfalls bei variabel verzinsten Geldanlagen. Dazu zählen beispielsweise Tagesgeld- und Festgeldkonten, aber auch viele Banksparpläne.

 

Vertragsänderungen sind im Prinzip auch nach der Kontoeröffnung noch möglich – dann aber nur mit Zustimmung des Kunden. Auf dieser Basis haben in den vergangenen Jahren viele Geldhäuser Strafzinsen für Unternehmen eingeführt, einige auch für reiche Privatkunden. Die Volksbank Baden-Baden Rastatt beispielsweise verlangt von Unternehmen und Großanlegern mit mehr als einer Million Euro auf dem Tagesgeldkonto einen Zinssatz von 0,4 Prozent. Grundlage seien individuelle Einzelvereinbarungen, erklärte das Institut auf Anfrage: „Vor der Einführung hat die Volksbank Baden-Baden Rastatt mit jedem einzelnen Großanleger persönlich über alternative Anlagemöglichkeiten gesprochen“, heißt es aus der Bank.

Nur ein einziger Privatanleger bezahlt tatsächlich Strafzinsen

Die wenigen betroffenen Privatanleger griffen daraufhin tatsächlich zu Alternativen, um die Summe auf ihrem Tagesgeldkonto unter die kritische Schwelle zu drücken. Ergebnis: Unter den 96 000 Kunden der Volksbank Baden-Baden Rastatt gibt es derzeit nur einen einzigen Privatanleger, der tatsächlich Strafzinsen bezahlt.Laut dem Online-Portal tagesgeldvergleich.net gibt es derzeit in Baden-Württemberg nur ein weiteres Institut, das Strafzinsen von Privatkunden verlangt: die Volksbank Ermstal-Alb. Diese teilte auf Anfrage jedoch mit, dies sei nicht der Fall. Bundesweit liegt die Zahl der Banken und Sparkassen mit einer entsprechenden Geschäftspolitik laut verschiedenen Vergleichsportalen unter 20. Der Online-Broker Flatex fordert sogar unabhängig von der Höhe des Guthabens einen Minuszins von 0,4 Prozent – allerdings auf Aktiendepots, nicht klassische Konten.

Die Volksbank Reutlingen behält sich vor, Negativzinsen auch für Kleinsparer einzuführen

Die Volksbank Reutlingen allerdings behält sich trotz des gegen sie ergangenen Urteils weiterhin vor, Negativzinsen künftig auch für Kleinsparer einzuführen. Der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) äußerte aber die Erwartung, dass „wir im deutschen Privatkundengeschäft in der Breite keine Negativzinsen sehen werden“. Auch der Sparkassenverband Baden-Württemberg betonte, „dass wir für das Geschäft mit den durchschnittlichen Privatkunden so lange wie möglich auf Negativzinsen verzichten möchten. Die Frage stellt sich nur bei großen Sparguthaben, etwa 500 000 Euro oder mehr.“ Hier sähen sich „manche Sparkassen gezwungen, die Beträge, die sie an die Europäische Zentralbank zahlen müssen, zum Teil an die Kunden weiterzugeben“.Der Hintergrund: Die EZB verlangt seit Sommer 2014 Strafzinsen von den Geschäftsbanken, die überschüssige Mittel bei der Zentralbank parken. Die Verwahrgebühr von derzeit 0,4 Prozent soll die Geldhäuser dazu anregen, ihr Geld in Kredite oder Kapitalanlagen zu stecken und damit die Wirtschaft anzukurbeln. Da viele deutsche Unternehmen aber selbst über reichlich flüssige Mittel verfügen, die sie bei den Banken parken, stehen diese vor einem Problem.

Die Unternehmenskunden waren daher die ersten, von denen Banken eine Beteiligung an den Verwahrkosten verlangten: Laut einer im Sommer veröffentlichten Umfrage des ifo-Instituts ist jede fünfte Firma hierzulande schon mit der Forderung nach Strafzinsen behelligt worden. Allerdings gaben nur acht Prozent der betroffenen Betriebe an, die Zinsen tatsächlich zu zahlen. Die meisten schichteten Geld in andere Anlagen um oder wechselten die Bank.