Der neue deutsche Sparkassenpräsident Helmut Schleweis ist seit Jahresbeginn im Amt. Die Sparkassen wollen zwar in der Fläche präsent bleiben, Filialschließungen seien aber unvermeidlich, sagt er im Interview. Schleweis sieht trotz weniger Geldautomaten für die Kunden kein Problem, an Bargeld zu kommen – auch nicht im ländlichen Raum.

Berlin – - Herr Schleweis, viele Bankkunden haben das Gefühl, dass die Preise für das Girokonto steigen, sie aber immer weniger Filialen vorfinden. Geht die Schere zwischen Leistung und Angebot immer weiter auseinander?
Diese beiden Entwicklungen haben unterschiedliche Ursachen. Das Girokonto ist heute ein Powerpaket mit immer mehr Dienstleistungen. Die müssen auch fair bepreist werden. Die Anpassung des Filialnetzes folgt dem sich ändernden Kundenbedarf. Immer mehr Menschen möchten Basisdienstleistungen wie etwa Überweisungen bequem von zu Haus aus erledigen. Für komplexere Beratungsbedarfe, wie eine Baufinanzierung, wünschen sie aber eine kompetente Beratung. Das hat Auswirkungen auf die Filialnetz-Struktur.
Was bedeutet denn das für den ländlichen Raum?
Die Sparkassen sind oft der letzte Dienstleister in einer Ortschaft. Zuvor haben schon die Bäckerei, die Apotheke und der Dorfladen zugemacht. Wo aber kein wirtschaftliches Leben mehr ist, ist es auch schwer, eine Sparkassenfiliale aufrechtzuerhalten. Wir stehen in manchen Regionen Deutschlands vor einem gesamtgesellschaftlichen Problem, für das wir politische Lösungen brauchen. Die Entwicklung des ländlichen Raumes, beispielsweise mit Breitbandverbindungen für schnelles Internet und einem Ausbau der Infrastruktur, ist eine wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre. Die Sparkassen sind bereit, ihren Anteil an der Aufgabe mit zu tragen.
Die Vertreter von Kommunen warnen, dass Sparkassen in ländlichen Gebieten Filialen schließen. Ist eine Bankfiliale nicht wichtig für die Identität in einem Ort?
Wir müssen zwischen Mythen und Fakten unterscheiden. Es stimmt, dass die Zahl der Filialen in den vergangenen fünf Jahren moderat abgenommen hat. Die Anteile der Filialen, die auf Ballungsräume, Mittelstädte und ländliche Räume entfallen, haben sich aber grundsätzlich nicht verändert. Von Filialschließungen aufgrund mangelnder Kundennachfrage ist nicht nur der ländliche Raum betroffen. Dort ist die Sensibilität aber besonders groß. Wir wissen um unsere Verantwortung. Deswegen halten wir dort, wo Filialen geschlossen werden, die Versorgung mit Bankdienstleistungen, beispielsweise durch rollende Geschäftsstellen, aufrecht. Viele Sparkassen bieten außerdem für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, einen Geldbring-Service an. Diese Leistungen werden angenommen.
Heißt das, dass die Menschen in der Großstadt leichter auf eine Bankfiliale verzichten?
Nein, aber in größeren Städten ist die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel in der Regel besser, so dass Kunden leichter zur nächsten Filiale kommen. Wir wollen die Filiale insgesamt stärken und mehr Beratungskompetenz in die einzelnen Geschäftsstellen bringen. Wer in eine Filiale kommt, soll dort sämtliche Beratungsmöglichkeiten haben. Das bedeutet, dass an anderen Stellen eine Kleinstfiliale, in die keiner mehr kommt, auch mal geschlossen wird.
Bedeutet dies, dass es die Kunden verstehen, wenn im Digitalzeitalter weniger Filialen gibt?
Für den Kunden ist jede Filialschließung erst mal ein Verlust. Oft geht es dabei nicht um die tatsächliche Nutzung, sondern um das Gefühl, dass man jederzeit in die Filiale gehen könnte. Ich mache das an einer persönlichen Erfahrung deutlich: Ich wohnte früher in Heidelberg nur 200 Meter entfernt von einem Kino. Meinen Bekannten habe ich immer erzählt, wie toll es ist, dass das Kino so nahe liegt. In vier Jahren habe ich es aber nicht ein einziges Mal geschafft, ins Kino zu gehen. Wenn wir ehrlich sind, geht es uns manchmal so. Sparkasse ist ein Stück Identität. Wenn man durch die Lande fährt, merkt man, die Sparkasse gehört dazu. Das bleibt auch so.
Der Service wird ausgedünnt: Ende 2017 gab es von allen Banken noch 58 400 Geldautomaten in Deutschland. 2015 waren es noch 61 000 Maschinen. Spart die Kreditwirtschaft auf dem Rücken der Kunden?
Dadurch, dass in der ein oder anderen Filiale statt vier nur noch drei Geldautomaten stehen, ist es sicher nicht schwieriger geworden, an Bargeld zu kommen. Auch hier richtet sich das Angebot nach der Nachfrage. Deutschland ist nach wie vor Bargeldland. Wir sehen aber, dass der Anteil der Zahlungen im Handel mit Bargeld kontinuierlich sinkt – er liegt nur noch knapp über 50 Prozent. Gleichzeitig nutzen viele Menschen das Internet für ihre Einkäufe. Die Sparkassen haben mit rund 25 000 Geldautomaten immer noch das dichteste Netz in Deutschland. Das ändert sich auch in Zukunft nicht.
Sie haben zum Jahresbeginn das Amt als oberster Sparkassenpräsident angetreten und eine „nüchterne Bestandsaufnahme“ angekündigt. Wie fällt die aus?
Die „nüchterne Bestandsaufnahme“ werde ich – wenn sie abgeschlossen ist – zuerst intern in unseren Gremien vorstellen. Da bitte ich um Verständnis. Deutschland ist nach wie vor ein Land, das mit die beste Finanzinfrastruktur zu vergleichsweise günstigen Preisen anbietet. Die Sparkassen stehen gut im Wettbewerb, haben ein erfolgreiches Geschäftsmodell, verfügen über genügend Kapital und sind auch technologisch gut aufgestellt. Mit rund 50 Millionen Kunden haben wir allen Grund, selbstbewusst zu sein. Das Vertrauen der Menschen müssen wir uns aber jeden Tag neu verdienen. Und wir dürfen den Respekt vor den Veränderungen in der Zukunft nicht verlieren. Es geht darum, dass Sparkassen in einer Zeit fortschreitender Digitalisierung und anhaltender Niedrigzinsen immer Sparkassen bleiben.
Neue Zahlungsanbieter wie Paypal schnappen Ihnen Geschäfte weg. Haben Sie bei den Zahlungsdiensten im Internet die Entwicklung verschlafen?
Die deutsche Kreditwirtschaft insgesamt hat vor einigen Jahren den Start dieser Entwicklung etwas verschlafen. Wir hätten innovativer sein müssen. Für Paypal ist Deutschland der zweitgrößte Markt nach dem Heimatmarkt USA. In Kanada oder den Niederlanden kommt der US-Konkurrent nur auf einen einstelligen Marktanteil, in Deutschland liegt er fast bei einem Fünftel. Daran sieht man, dass das deutsche Kreditgewerbe aufholen muss. Wir haben diesen Weg alle miteinander eingeschlagen und kommen inzwischen gut voran.
Das Online-Bezahlsystem Paydirekt der deutschen Banken kommt aber nur schwer in Gang.
Paydirekt wird weiter zulegen. Kunden und Händler wollen einfache Bezahlsysteme. Wir müssen sehen, welches System sich auf Dauer durchsetzt. Der Marktanteil von Paypal im E-Commerce-Geschäft mag noch höher sein, bei Käufen im Internet wird aber immer noch mit Abstand am häufigsten per Rechnung bezahlt. Für uns sind nicht Paypal und Paydirekt Konkurrenten, sondern Paypal steht im Wettbewerb mit unserem Girokonto und seiner E-Commerce-Funktion Paydirekt. Ich mache mir da keine Sorgen, unser Girokonto ist hervorragend im Markt verankert – und Paydirekt entwickelt sich langsam, aber stetig nach oben.
Was sind die Ziele, die der DSGV-Präsident in den nächsten zwei Jahren erreicht haben will?
Bis dahin will ich es schaffen, dass der DSGV seine Mitglieder und die Sparkassen noch besser unterstützt, als er das ohnehin schon tut. Auch Verbände müssen ihre Arbeitsabläufe von Zeit zu Zeit anpassen. Wichtig ist mir, dass die Gruppe insgesamt noch schlagkräftiger wird. Ich denke, dass die Verbundunternehmen wie Landesbausparkassen, Sparkassenversicherer und Landesbanken in den nächsten zwei Jahren weitere Schritte zu einer engeren Zusammenarbeit einleiten werden. Wir haben schon einige Fusionen und Kooperationen erlebt. Ich arbeite daran, dass sich diese evolutionäre Entwicklung weiter fortsetzt.