StZ-Exklusiv Die Wissenschaftsministerin Bauer muss ihre Sparpläne an den Musikhochschulen im Land überarbeiten. Nach Informationen der StZ zeichnet sich in der Debatte eine neue Linie ab.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Alle müssen sparen, aber Stuttgart behält seinen Studiengang Jazz, Mannheim seine Klassik und auch die Trossinger die ganze Breite ihrer Ausbildung – das ist die neue Linie in der Debatte um Kürzungen an den fünf Musikhochschulen in Baden-Württemberg, auf die sich nach Informationen der Stuttgarter Zeitung eine Runde von Spitzenpolitikern der Grünen aus Stadt und Land am Montagabend geeinigt hat. Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekundete diese neue Position bereits am Dienstagabend bei einem Auftritt im Bundestagswahlkampf in Mannheim. Und auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn bestätigte gegenüber der StZ: „Ich bin zuversichtlich, dass der Studiengang Jazz an der Hochschule in Stuttgart erhalten bleibt.“ Nach Gesprächen mit Mitgliedern der Landesregierung sehe er die Möglichkeit, „dass die Vorgabe, in Baden-Württemberg fünfhundert Studienplätze in der Klassik zu streichen, so umgesetzt wird, dass der Jazz in Stuttgart bleibt.“

 

Wie bekannt, geht die aktuelle Kürzungsdebatte auf einen Bericht des Landesrechnungshofes vom 15. Juli zurück, in dem pauschale Einsparungen im Bereich der Musikhochschulen von 5 Millionen Euro pro Jahr angeregt werden. Theresia Bauer, die grüne Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, antwortete darauf mit einem eigenen Reformplan, der immerhin 4 Millionen Euro über neue Schwerpunktbildungen an den Hochschulstandorten erzielen wollte. So sollte die Hochschule in Mannheim künftig nur noch Pop- und Jazzmusiker ausbilden und dafür alle Klassik-Studiengänge schließen. Die Hochschule in Stuttgart hätte dafür den Studiengang Jazz/Pop verloren. Dagegen regte sich starker Widerstand. Künstler und Bürger warnten vor den negativen Folgen, die der Wegzug der Studenten und Hochschullehrer für die gesamte Jazz-Szene der Landeshauptstadt bedeutet hätte.

Am Sparziel bei den Musikhochschulen wird die Landesregierung festhalten, das bestätigte gestern auch OB Kuhn der StZ. „Insofern werden alle Standorte, auch die Musikhochschule Stuttgart, betroffen sein“. Aber die Idee des Wegfalls ganzer Studiengänge an bestimmten Standorten scheint vom Tisch. Kuhn: „Ich halte das für richtig. Die Idee, ein angehender Jazzmusiker müsse sich nur mit Pop und Jazz beschäftigten, ist eigentlich schon lange überwunden. Die Qualität der Musikerausbildung ist auch davon abhängig, die ganze Bandbreite musikalischer Techniken und Traditionen von der Klassik über die Moderne bis zum Pop kennenlernen zu können.“

Kehrtwende auch in der Hochschulleitung

Auch die Stuttgarter Hochschule selbst hatte am Montag eine Wendung ihrer bisherigen Position vorgenommen. Die Rektorin Regula Rapp war gemeinsam mit den vier Kollegen der übrigen Standorte in die internen Beratungen des Ministeriums einbezogen worden. Gemeinsam wiederum mit Freiburg und Karlsruhe hatte sie den Plänen der Ministerin explizit zugestimmt. Während sich die Chefs der Hochschulen von Mannheim und Trossingen in der Öffentlichkeit scharf gegen die Kürzungspläne an ihren Häusern wehrten, bekannten sich Stuttgart, Freiburg und Mannheim in Presseerklärungen mehrfach zur Position Bauers. Darüber war es zu heftigen Irritationen bei den Lehrern und Studierenden am Studiengang Jazz/Pop gekommen, die sich in der Initiative „Stuttgart braucht jungen Jazz“ organisiert haben und der Hochschulleitung vorwarfen, letztlich ohne Legitimation zu agieren.

Auf diesen Druck reagierte der Prorektor Matthias Hermann nun mit der Presseerklärung, die Hochschulleitung fordere „nachdrücklich eine Beibehaltung der Studienfächer im Bereich der aktuellen Musik in Stuttgart“ und erkläre, „dass sie zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Studienfächer zur Verlagerung angeboten habe“. Frühere Presseerklärungen vermittelten allerdings eine andere Linie der Stuttgarter Hochschulchefs. Das wird in den Gremien sicherlich ein Nachspiel haben.

Offen bleibt die Frage, ob es bei den geforderten Kürzungen nun doch zu pauschalen Kürzungen kommen wird. Oberbürgermeister Fritz Kuhn meint dazu: „Ich bin nicht für den Rasenmäher. Frau Bauer hat ja völlig recht, wenn sie Strukturreformen anstrebt. Aber strukturelles Sparen muss ja nicht heißen, in Mannheim und Stuttgart ganze Studiengänge stillzulegen.“ Man könne auch fragen, „in welchen Fächern haben wir Überangebote, und dann dort reduzieren.“ Summa summarum klingt das nach einem eher mittelfristigen Sparplan – und nach dem allgemeinen Bestreben, die grüne Leitung des Kunstministeriums möglichst unbeschadet aus dem aktuellen Streit hervorkommen zu lassen. Fritz Kuhn macht jedenfalls deutlich, dass der Reformprozess für ihn keineswegs beendet ist: „Ich wünsche mir auch für die Ausbildung in Stuttgart eine Debatte, wie mann diese in Klassik und Jazz noch stärker miteinander verzahnen kann. Ein einfaches Nebenher der Studenten darf es auch hier nicht geben.“

Solidaritätskonzert im Theaterhaus

Eine Debatte, der sich auch die Initiative „Stuttgart braucht jungen Jazz“ sicher nicht entziehen wird. Sie hat auf ihrer Internetseite die unterstützenden Stimmen zahlreicher Prominenter gesammelt und organisiert für den 15. September um 19 Uhr im Theaterhaus ein Solidaritätskonzert, bei dem unter anderem Wolfgang Dauner und der frühere Hochschulprofessor Bernd Konrad auftreten werden.

Man darf annehmen, dass dieses Konzert stattfinden wird, selbst wenn die Schließung des gesamten Studienganges schon jetzt erfolgreich abgewendet scheint. „Die große Tradition Stuttgarts als Stadt des Jazz bleibt erhalten und unsere Club- und Festivalszene kann sich weiter positiv entwickeln“, sagt Fritz Kuhn. „Stuttgart ist auch eine Musikstadt. Wir wollen auf eine lebendige Jazzkultur nicht verzichten“.

Es scheint, die Grünen haben die Notbremse gezogen in einer Debatte, für die sie sonst einen hohen politischen Preis hätten zahlen müssen – ohne mit den so erzielten 4 Millionen Euro für das Gesamtsparpaket des Landes von mindestens 1,5 Milliarden Euro wirklich viel erbracht zu haben.