Michael Hartmann hat Drogen genommen und vielleicht den Edathy-Untersuchungsausschuss belogen. Seit vielen Monaten ist er krank geschrieben. Nun will er zurück in den Bundestag. Doch über dem SPD-Abgeordneten liegt ein Schatten.
Berlin - Schon seit über einem Jahr ist kein normaler Abgeordneter mehr. Zwei Mal ging er in dieser Zeit in die Knie. Erstmals im Juli 2014, als sein Drogenmissbrauch bekannt wurde, dann nur wenige Monate später, als er den Verdacht nicht aus der Welt schaffen konnte, er habe seinen Parteifreund Sebastian Edathy vor Kinderpornografie-Ermittlungen der Polizei gewarnt. Nach der Drogenbeichte sah es so aus, als habe Hartmanns Karriere nur einen Knick abbekommen. Eine menschliche Schwäche, nichts weiter. In ein paar Jahren vergessen. Hartmann zahlte eine Geldauflage und ließ über seinen Anwalt erklären, die Sache sei nun erledigt. Die sozialdemokratische Familie nahm ihn wieder in ihre Mitte. Seine weiße Weste hatte aber Flecken bekommen.
Der gebürtige Pirmasenser hatte sich die synthetische Aufputschdroge Chrystal Meth bei einer Dealerin in einer Berliner Gartenlaube besorgt und später konsumiert. Er wollte leistungsfähiger sein, begründete Hartmann sein damaliges Verhalten. Drogenabhängig sei er laut dem von ihm vorgelegten psychologisch-medizinischen Gutachten nicht.
Die Selbstsicherheit auf einen Schlag weg
Genossen schüttelten den Kopf, was für eine Geschichte! Aber bei seiner Rückkehr klopfte man ihm auf die Schulter: Wird schon wieder, Michael. Parteichef Sigmar Gabriel setzte sich demonstrativ im Fraktionssaal neben Hartmann. Wir sind bei Dir, sollte das heißen. Damals schien ein Neuanfang keine große Sache zu sein. Hartmann hatte zwar das wichtige Amt des innenpolitischen Fraktionssprechers verloren, doch egal. Das Leben in der Politik sollte weitergehen, wenn auch künftig im unbedeutenden Europa-Ausschuss. Die strafrechtliche Seite des Falls war zu vernachlässigen, Hartmann konnte sich daran machen, seine zweite Chance zu nutzen.
Doch dazu kam es nicht.
Als sein Parteifreund und gelegentlicher Rivale bei der Vergabe wichtiger Fraktionsposten, Sebastian Edathy, im Untersuchungsausschuss auf Hartmann deutete und ihn als seinen Informanten benannte, da versagten die Systeme des umsichtigen und intelligenten Politikers Hartmann. Seine Souveränität, seine Selbstsicherheit, seine Jovialität – alles weg. Er, der stets beteuerte, über Ermittlungsschritte gegen Edathy nichts gewusst zu haben, stand im Verdacht, Edathy auf dem Laufenden gehalten zu habe über die Aktivitäten des Bundeskriminalamtes in Sachen Kinderpornografie. Schon wieder war Hartmann ein Fall für die Staatsanwaltschaft geworden: Verdacht der uneidlichen Falschaussage. Schon wieder verbarrikadierte sich Hartmann hinter einem Rechtsanwalt, der „Presseunterweisungen“ verschickte und auch sonst unmanierlich auftrat.
Der SPD-Politiker aus Rheinhessen türmte aus dem Bundestag, verschanzte sich daheim und blieb viele Antworten schuldig. Hartmann wurde krank, „Burn out“, hieß es. Der 52-Jährige verbrachte viel Zeit in einer Klinik, kehrte zurück in seinen Wohnort Wackernheim bei Mainz. Zuerst hieß es, im März wolle er wieder nach Berlin zurückkehren, dann wurde erklärt: nach der parlamentarischen Sommerpause. Schließlich folgte eine erneute Krankmeldung bis 7. Oktober und noch einmal eine weitere bis 20. November. Dann endlich will Hartmann endgültig wieder in das politische Leben einsteigen, will wieder ein normaler Abgeordneter sein.
Gute Wünsche von seinen Genossen
Hartmann weiß, dass er dann in aller Öffentlichkeit ein schweres Paket mit sich herumschleppen wird: Er hat sich nicht an die Regeln gehalten, war alles andere als ein Vorbild, hat Illegales getan und möglicherweise einen Untersuchungsausschuss belogen. Hat man damit noch eine politische Zukunft? „Ich hoffe und wünsche es mir, dass Michael Hartmann wieder Fuß fassen kann“, sagt Gustav Herzog, der Vorsitzende der rheinland-pfälzischen SPD-Gruppe im Bundestag.
Doch der Fall Edathy liegt wie ein riesenhafter Schatten über dem politischen Schicksal Hartmanns. Denn seine Parteifreunde nehmen es ihm übel, dass er im Edathy-Ausschuss nach den schweren Vorwürfen über seine mögliche Informantentätigkeit geschwiegen hat. Das wirkte – obwohl ihm dieses Recht zustand – wie ein Schuldeingeständnis. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der nach der Drogensache so fürsorglich Hartmann den Rücken gestärkt hatte, war sauer: „Hartmann soll sagen, was er weiß!“ Und in der rheinland-pfälzischen SPD sprach man von einer großen Chance zur Aufklärung, die Hartmann durch sein Schweigen „vertan“ habe. Der „Spiegel“ spekulierte bald, der Mainzer SPD-Mann solle den Bundestag spätestens 2017 verlassen. Es stelle sich nur noch die Frage nach dem besten Zeitpunkt, wollte das Magazin in Parteikreisen erfahren haben. „Über Hartmanns politische Zukunft haben wir bislang nicht gesprochen“, erklärte die Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht dieser Tage auf Anfrage.
Wie bei allen Abgeordneten trifft die Entscheidung über die politische Zukunft die Basis im Wahlkreis. Wenn Hartmann zuhause nicht wieder als Kandidat für die nächste Bundestagswahl aufgestellt wird, erübrigt sich jede weitere Debatte. Beruflich wäre das nicht sein Ende. Weil Hartmann vor seiner Bundestagszeit im rheinland-pfälzischen Landesdienst als Pressesprecher tätig war, dürfte er dorthin ein Rückkehrrecht haben.
Derzeit bereitet sich der Abgeordnete auf seine Rückkehr ins Parlament vor, indem er sich „langsam herantastet“, wie es Herzog ausdrückt. Hie und da ein paar Termine, bei denen er „nicht im Brennpunkt der Öffentlichkeit“ stehe, gelegentlich auch ein Besuch im Berliner Abgeordnetenbüro, mehr oder weniger durch die Hintertür.
Hartmanns Homepage, die lange abgeschaltet war, ist wieder im Netz abrufbar und wird neu gestaltet. „Sie werden sich hier bald wieder über mich und meine politische Arbeit informieren können“, liest man jetzt. Schon jetzt sind neue Fotos von ihm zu sehen: Hartmann in den Wandelgängen des Reichstags und vor einem Kampagnenbus in seinem Wahlkreis, mal lässig mit offenem Hemd, mal mit Krawatte und Jackett. Ganz der Alte, möchte man meinen. Doch so ist es nicht: Michael Hartmann lehnt ein Gespräch über seine berufliche Zukunft ab, er will keine Fragen beantworten, er ist misstrauisch, selbst gegenüber Menschen, die er lange kennt. Doch den Fragen wird er nicht ausweichen können, wenn er wieder ein ganz normaler Abgeordneter sein will. Parteifreunde wünschen ihm Glück. Er wird es brauchen.