Parteidiziplin ist für ihn nicht das höchste Gut. Der SPD-Abgeordnete Nik Sakellariou tanzt gerne mal aus der Reihe – so wie jetzt beim Jagdgesetz und beim NSU-Ausschuss. Prompt setzte es Ermahnungen von Fraktionschef Schmiedel.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Wenn Nikolaos „Nik“ Sakellariou gefragt wird, ob er demnächst zur CDU überlaufe, wirkt er leicht entgeistert. Wie man denn darauf komme? Er sei seit 34 Jahren in der SPD und „Sozialdemokrat durch und durch“, ein Parteiwechsel liege ihm völlig fern.

 

Die Frage hat freilich einen aktuellen Hintergrund. Gleich zweimal in jüngster Zeit vertrat der SPD-Landtagsabgeordnete aus Schwäbisch Hall Positionen der schwarz-gelben Opposition – erst beim Jagdgesetz, dann zum NSU-Ausschuss. Als Mitte November im Plenum über das von Jägern und CDU massiv kritisierte neue Landesjagdgesetz abgestimmt wurde, verließ Sakellariou den Saal. Andernfalls hätte er, anders als seine 68 Koalitionskollegen, dagegen stimmen müssen. „Ich halte das Gesetz für schlecht gemacht, kropfunnötig und eines Gesetzgebungsorgans für unwürdig“, ließ er sich zitieren. Als Jurist könne er mehrere Punkte nicht mittragen, so das Abschussverbot für wildernde Haustiere. Wenn ein Hund künftig ein Reh anfalle, dürfe er erst getötet werden, wenn die Ortspolizeibehörde eine schriftliche Genehmigung erteilt habe. Das Wild müsse unnötig leiden – für Sakellariou eine Perversion des Tierschutzgedankens.

Zweifacher Rüffel vom Fraktionschef

Wenige Tage darauf schoss der Haller Abgeordnete erneut gegen die eigenen Leute. Per Interview ging er den Obmann der Grünen in der NSU-Enquete-Kommission an, der sich inzwischen wegen seines Umgangs mit einem internen Gutachten aus dem U-Ausschuss zurückgezogen hat. Was Hans-Ulrich Sckerl da gemauschelt habe, sei „unparlamentarisch“ und „für die Enquete verheerend“ gewesen. Später bekräftigte er indirekt den Lügen-Vorwurf von CDU und FDP. „Ich bin erschüttert. Vergleicht man, zu welchem Zeitpunkt welche Äußerungen von Sckerl gemacht wurden, kann man nur einen Widerspruch zur Wirklichkeit konstatieren“, sagte er der „Südwest Presse“. Die Grünen schäumten.

Sauer war aber auch der SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. Egal, wie berechtigt Kritik sein mag – öffentliche Attacken auf den Koalitionspartner gelten eigentlich als tabu. Dass einer seiner Leute binnen kurzer Zeit gleich zweimal derart aus der Reihe tanzte, stellte auch Schmiedels Autorität in Frage. Schon beim Jagdgesetz gab es eine interne Ermahnung für Sakellariou. Als der Abgeordnete wenig später auch noch über den Grünen-Geschäftsführer herzog, sprach der gesamte Fraktionsvorstand eine Missbilligung aus. Seine Rechtfertigung half da wenig: er habe geglaubt, mit der Lokalzeitung zu sprechen und nicht geahnt, dass das Interview landesweit veröffentlicht würde. Der doppelt Gerügte habe die Lektion verstanden, glauben Fraktionskollegen, „da wird nichts mehr vorkommen“.

Überzeugung versus Parteidisziplin

Sakellariou selbst bedauert es, dass er Claus Schmiedel („unser bester Mann“) wegen „solcher Gewissenskonflikte“ erzürnen musste. Er habe versprochen, „kein Öl mehr ins Feuer zu gießen“ – nicht aber, keine abweichende Meinung mehr zu vertreten. Die Landesverfassung hat der Anwalt da auf seiner Seite. „Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes“, heißt es in Paragraf 27, Satz 3. „Sie sind nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Faktisch gelten aber auch Partei-, Fraktions- und Koalitionsdisziplin – gerade für jemanden wie Sakellariou, der „kein hundertprozentiger Parteipolitiker“ sein will, ein schwieriges „Spannungsfeld“.

Eine eigene Meinung hat sich der 52-Jährige schon früher zuweilen geleistet. Meist ging es um rechtliche Fragen, für die er als Rechtshistoriker ein besonderes Gespür habe. 2007 stimmte er als einziger SPD-Abgeordneter gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum „Verkauf badischer Rechtsgüter“. Begründung: Die Voraussetzung, nur abgeschlossenes Regierungshandeln dürfe durchleuchtet werden, sei nicht erfüllt. Der Staatsgerichtshof sah es später genauso. Ein Jahr darauf setzte er sich auch mit seinen Zweifeln an der Wahlrechtsreform durch: der einmütig beschlossene Plan, bei der Auszählung der Zweitmandate auch die Wahlbeteiligung zu berücksichtigen, wurde wieder aufgegeben.

Als Bürgermeister-Kandidat abgeblitzt

„Der Nik“ sei halt ein Überzeugungstäter, sagen Parteifreunde, weniger ein Stratege. Das habe sich auch im Sommer bei seiner eher spontanen Kandidatur als Bürgermeister in Gaildorf gezeigt. Wenn ein altgedienter Abgeordneter in einer Kleinstadt mit 12 000 Einwohnern antritt, sollte er eigentlich gewinnen. Doch mit gut 35 Prozent der Stimmen hatte Sakellariou keine Chance auf den Chefsessel im Rathaus. Auch sein Vorname half da nichts. Das griechische Nikolaos heiße „der Volkssieger“, von Nike wie Sieg und Laos, das Volk, erläuterte er jüngst zum Nikolaustag.

Eher unstrategisch agiert er übrigens auch auf Facebook. Dort postete der Rechtsanwalt kürzlich einen nicht ganz taufrischen Juristenwitz. Der ging so: Woran erkenne man, dass ein Anwalt lüge? „Seine Lippen bewegen sich“.