Es war eine Zitterpartie bis zum Schluss: Die SPD-Mitglieder haben den Weg für eine große Koalition im Bund freigemacht. In Baden-Württemberg wird das größtenteils positiv aufgenommen - aber auch mit Forderungen verbunden.

Stuttgart - Das Ja der SPD-Mitglieder zu einer neuen großen Koalition im Bund hat im Südwesten größtenteils Erleichterung ausgelöst. „Das Ergebnis fiel deutlicher aus als ich erwartet habe“, erklärte Landeschefin Leni Breymaier am Sonntag. „Ich weiß, die Köpfe der Parteimitglieder wurden erreicht - die Herzen müssen wir zurückerobern.“ CDU-Bundesvize und Landesinnenminister Thomas Strobl bezeichnete den Ausgang des Votums als „Akt der Vernunft“.

 

Nach fünf Monaten politischer Unsicherheit hatten die SPD-Mitglieder am Sonntag den Weg für eine neue große Koalition unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) freigemacht. Beim Votum über den mit der Union ausgehandelten Koalitionsvertrag stimmte eine Mehrheit von 66,02 Prozent der Mitglieder mit Ja. Es wird bereits die dritte große Koalition für die seit 2005 regierende Merkel.

„Die Wahl der Bundeskanzlerin kann jetzt sehr schnell stattfinden - und das ist auch bitter nötig. Deutschland braucht eine voll handlungsfähige Regierung“, betonte Strobl. „Diese große Koalition ist selbstverständlich für niemanden der Traum der schlaflosen Nächte - aber sie wird eine gute, solide und stabile Regierung sein, die Deutschland dient und voranbringt.“

Breymaier sieht innerparteiliche Baustellen

CDU-Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart betonte, der Koalitionsvertrag biete zahlreiche Lösungen für die Zukunft und sei besser „als seine öffentliche Kommentierung“.

Bei der SPD sieht man indes mehrere innerparteiliche Baustellen. „Die Gegenstimmen und die Wortmeldungen vor der Abstimmung nehme ich als Auftrag, am Profil und an der Struktur der Partei, auch in Baden-Württemberg, zu arbeiten“, erklärte Landeschefin Breymaier.

Jedem in der SPD sei klar, dass „jetzt ein umfangreicher interner Prozess zur inhaltlichen, organisatorischen und strukturellen Neuaufstellung der SPD auf allen Ebenen beginnen müsse“, erklärte die Chefin der baden-württembergischen SPD-Bundestagsabgeordneten, Katja Mast. „Da ist auch wieder jedes einzelne Mitglied gefragt.“

Juso-Landesvhef: Klarer gegen CDU positionieren

Nach Ansicht von Juso-Landeschef Leon Hahn müssen sich die Sozialdemokraten klarer gegen die Union abgrenzen. „Die SPD muss sich jetzt den großen Fragen, wie der demografischen Veränderung, dem Klimawandel oder der digitalen Arbeitswelt vor allem langfristig stellen und endlich ohne Scheuklappen Position beziehen, um Profil gegen die Union zu entwickeln, betonte er.

Parteilinke und GroKo-Gegnerin Hilde Mattheis sieht sich und ihre Unterstützer nach dem Votum „nicht als Verlierer“. „Wir haben zum Erneuerungsprozess beigetragen“, sagte die Ulmer Bundestagsabgeordnete der „Schwäbischen Zeitung“ (Montag). „Es sind demokratische Prozesse, die muss man akzeptieren.“

Bei der Union wiederum gibt es bereits Forderungen, jetzt stärker auf sich selbst zu schauen als auf die SPD. „Nach Wochen, in denen die Befindlichkeiten der SPD-Mitglieder so im Mittelpunkt standen, muss es jetzt für die CDU darum gehen, beim Regieren die Sorgen und Interessen von uns Christdemokraten und unseren Wählern in den Fokus zu rücken“, forderte etwa CDU-Landesgeneralsekretär Manuel Hagel.

Bei der Neuauflage der großen Koalition müssen sich die Regierungspartner nach Ansicht der Grünen im Südwesten stärker zusammenraufen. „Es ist gut, dass sich die SPD-Mitglieder für eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen haben“, erklärten die Grünen-Landeschefs Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand. „Wir erwarten von der zukünftigen Regierung aber mehr, als dass die Partner irgendwie miteinander auskommen.“

FDP sieht GroKo-Neuauflage kritisch

Bei den Liberalen sieht man die Neuauflage der großen Koalition eher kritisch. „Es ist fraglich, wie mit den Inhalten des Koalitionsvertrages die Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, bewältigt werden sollen“, erklärte FDP-Landeschef Michael Theurer. „Der Koalitionsvertrag enthält millionenschwere Hypotheken, die zu Lasten künftiger Generationen gehen. Eine solche Spendierhosenpolitik ist äußerst problematisch.“

AfD-Landtagsfraktionschef Bernd Gögel kritisierte, Deutschland werde nun „von den gleichen Versagern regiert, die das Land in die instabile Situation geführt haben, in der wir uns heute befinden.“

Mehr als 463 000 SPD-Mitglieder waren aufgerufen, über den mit der Union ausgehandelten Koalitionsvertrag zu entscheiden. Im Südwesten waren rund 37 800 Parteimitglieder der SPD abstimmungsberechtigt.