Die SPD in Baden-Württemberg forciert nach der desaströsen Wahlniederlage ihren Prozess der Erneuerung – mit einer Basiskonferenz in Böblingen, wie es sie zuvor noch nie gab. Die Genossen können sich voll einbringen. Die Personalfragen freilich sollen erst am Ende stehen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Böblingen - So muss man sich das wohl vorstellen: „Das ist wie bei einer Kneipe“, sagt Judith Vowinkel. „Wenn sie erst runtergewirtschaftet ist, dauert es lange, bis der gute Ruf wieder da ist.“ Sie wird wissen, wie es um die SPD steht. Seit 46 Jahren gehört sie dieser „Kneipe“ an, ihr Ortsverein ist Stuttgart-Stammheim.

 

Wie verlorenes Vertrauen und vor allem die Wähler zurückzuholen sind, ist jetzt die große Preisfrage für die Genossen in Baden-Württemberg. Und man kann – bisher – nicht sagen, dass sich die SPD-Oberen nicht Mühe geben würden, einen wirklichen Erneuerungsprozess anzustoßen. Vor allem die Basis soll eingebunden werden: 600 von 34 600 Sozialdemokraten aus dem ganzen Land sind daher zu einer Konferenz nach Böblingen geladen, wo sie alle Dampf ablassen dürfen. So etwas hat es in der Landes-SPD noch nie gegeben. Alle Aussagen werden stichwortartig auf bunten Kärtchen und Flipcharts gesammelt, wie man es von Umstrukturierungen in Unternehmen kennt. Dahinter steckt wohl auch der Gedanke: Eine Teilnahmekultur schützt vor revolutionären Aufwallungen, die am Ende alle Spitzenfunktionäre wegspülen könnte.

217 Mitglieder seit der Wahlkatastrophe

12,7 Prozent bei der Landtagswahl waren „niederschmetternd“, gibt Landeschef Nils Schmid zu. Nunmehr zählt die Landtagsfraktion nur noch 19 Mitglieder – unter ihnen zwei Frauen und niemand mit Migrationshintergrund. Immerhin: 217 Neumitglieder hat der Landesverband seit der Wahl gewonnen. „Wir leben – wir kämpfen weiter“, gibt Schmid die Parole aus. An seiner Offenheit soll es anscheinend nicht mangeln. Der Vize-Ministerpräsident auf Abruf bietet eine ausführliche Analyse des Niedergangs: Die Partei habe kein eigenes landespolitisches Thema im Wahlkampf setzen können, beim dominierenden Flüchtlingsthema sei ihre Anhängerschaft gespalten – und sie habe zu stark auf reibungsloses Regieren mit den Grünen gesetzt, statt das SPD-Profil zu schärfen.

Es folgt ein „Impuls“ von außen: „Die Wahlberechtigten wissen nicht mehr, was sozialdemokratische Wertehaltung heute bedeutet“, sagt die Politikforscherin Jana Faus. Dann ist die Basis dran: All die Wortmeldungen werden „per Zufallsprinzip aus der Urne gezogen“, wie der Moderator aus einer Beratungsagentur verkündet – wobei der rote SPD-Kasten sichtlich nichts mit den Überresten einer dahinsiechenden Partei zu tun hat. Sodann prasselt es kunterbunt auf die Mandatsträger nieder: Klaus Riedel aus Waiblingen mahnt, die Diskussion um die „Partei der Mitte“ zu beenden. Fortschrittlich zu sein, „heißt, linke Politik zu machen“. Weitere Redner mahnen, „weniger staatsmännisch zu agieren und mehr mit dem Bürger zu reden“ oder mit Wirtschaftskompetenz zu punkten. Barbara Becker fordert eine „professionelle Werbeagentur, die diesen Namen verdient“: für eine „Kampagne, die richtig knallt – damit die Leute merken, wofür die SPD steht“. So äußern sie sich über Stunden: vielfältig, mitunter widersprüchlich.

Das nächste große Ziel ist der Parteitag am 23. Juli

Der weitere Rahmen ist klar gesteckt: Die Ergebnisse der Basiskonferenz werden nun gesammelt und Mitte Mai vom Landesvorstand ausgewertet. Die Reihe der Kreisverbandskonferenzen wird derweil fortgesetzt, so dass im Juni der Landesvorstand und die Landtagsfraktion den Parteitag am 23. Juli mit konkreten Vorschlägen vorbereiten können. „Bis Ende des Jahres“ und damit rechtzeitig vor der Bundestagswahl, sagt Schmid, soll der Neufindungsprozess aber abgeschlossen sein.

Ein Name spielt in Böblingen keine Rolle: Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück, der sich für den Co-Vorsitz ins Gespräch gebracht hat und daher eine Mitgliederbefragung vorschlägt, wird hier nicht gebeten, „den Karren aus dem Dreck zu ziehen“, wie er sagt. Die Personalia sollen am Ende beantwortet werden – insbesondere die Rolle des Generalsekretärs. Amtsinhaberin ist Katja Mast, die in Böblingen wegen der Doppelbelastung zwischen Berlin und dem Südwesten in die Kritik gerät. Auch dieser Teil scheint ergebnisoffen zu sein. Er könnte aber so laufen, dass die bisherigen Verantwortlichen auch die künftigen sind. Vorsorglich hält ein Genosse dem Landeschef Schmid vor, er sei das „Gesicht“ der Wahlschlappe, und der Landesvorstand trage die Verantwortung. „Ihr seid die Fahnenträger des ,Weiter so’ und des Durchwurstelns – so kann es nicht weitergehen.“