Weil Gerhard Hütter aus Plieningen von der SPD enttäuscht ist, ist er jüngst ausgetreten. Das hat zur Folge, dass er kein Bezirksbeirat bleiben kann.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Stuttgart-Plieningen - Leicht war es ganz bestimmt nicht. Wer Gerhard Hütter kennt, kann sich diesen Mann nicht vorstellen in einem Leben ohne Partei, ohne politisches Engagement. Spätestens seit er im Ruhestand ist, hat Hütter aufgedreht. Bei den Sitzungen des örtlichen Bezirksbeirats war der Mann aus dem Steckfeld dem Anschein nach meist derjenige, der am besten vorbereitet war, der sich die meisten Notizen gemacht hatte. Er war so etwas wie das politische Gedächtnis des Bezirks.

 

Und nun also adieu Parteibuch. Es ist bereits verschickt. Empfänger: die SPD-Regionalgeschäftsstelle unten in der Stadt. Hütter hat sich während der vergangenen Jahre so oft über seine Partei geärgert, dass er sich irgendwann fragen musste, warum das überhaupt noch seine Partei ist. Weil er darauf keine Antwort gefunden hat, hat er sich entschieden: Er tritt aus.

Profil seiner Ex-Partei ist über die Jahre verblasst

Hütters SPD-Krise hat vielleicht im Jahr 2007 angefangen, vielleicht auch schon früher. Der engagierte Ehrenamtler hat es nicht glauben können, dass die SPD damals die 67 000 Unterschriften von Bürgern für einen Volksentscheid zu Stuttgart 21 „einfach weggedrückt“ hat. Überhaupt hat er seine Partei in der Stuttgart-21-Debatte kaum wiedererkannt. Und das liegt nicht daran, dass er bei den Sozialdemokraten zu jenen gehört, die Anstecker und Aufkleber gegen das Milliardenprojekt daheim haben. Hütter stellt stattdessen die Diagnose, dass das Profil seiner Ex-Partei über die Jahre verblasst ist und sie nichts dafür getan hat, um ein neues zu finden. Er hat viele Beispiele dafür, sein dringlichstes ist der Stuttgarter Bahnhofsstreit.

„Die Vor- und Nachteile von Stuttgart 21 wurden nie substanziell diskutiert“, sagt Hütter. „Dabei war die SPD immer stark, wenn sie diskutiert hat.“ Sie hätte sich zumindest an eine Mitgliederbefragung trauen sollen. Doch nichts. Hütters Enttäuschung wuchs und wuchs – bis zu dem Tag Mitte Dezember, an dem er das rote Parteibuch in den Briefumschlag steckte – „mit nachdenklichen Grüßen“, wie er schrieb.

Keine SPD mehr heißt gleichzeitig kein Bezirksrat mehr

Damals, ziemlich genau vor 40 Jahren, hat sich der junge Gerhard Hütter für die SPD entschieden, weil es gepasst hat. „Ich bin ein Alt-68er“, sagt er. „Damals gab es eine Aufbruchstimmung.“ Dabei war er nicht von Anfang an ein Sozialdemokrat. Er hat damals in Frankfurt am Main gelebt. An der Hochschule hat er mit Betriebswirtschaftslehre begonnen, „Frankfurt, Bankenstadt“, sagt er knapp zur Erklärung. Doch mit den Semestern reifte in ihm die Erkenntnis, dass die Finanzwirtschaft nichts für ihn ist, „ich wollte etwas Sinnvolles für die Gesellschaft tun“, sagt Hütter. Zunächst hat er bei den Frankfurter Stadtwerken und beim dortigen Verkehrsverbund gearbeitet. Im Jahr 1976 ist er als Gewerkschaftssekretär nach Stuttgart gekommen zur ÖTV, heute Verdi.

Keine SPD mehr heißt in Hütters Fall gleichzeitig kein Bezirksbeirat mehr. „Ich wäre schon gern drin geblieben“, sagt er. Und das glaubt ihm sicher jeder. Da die hiesigen Lokalpolitiker nicht vom Bürger gewählt, sondern von der Partei bestimmt werden, endet Hütters Mandat mit dem Abschied von der SPD. Mit den Plieninger und Birkacher Genossen ist er kurz vor Weihnachten zusammengesessen. „Viele fragen: wieso denn? Warum denn?“ Er wird eine Lücke hinterlassen, für die seine bisherigen Parteifreunde erst mal Ersatz finden müssen.

Hütter sucht indes keinen Ersatz. Gut, er hat schon gegrübelt, welche Partei am ehesten seine wäre. Mit der Erkenntnis: es gibt keine. Er wird daher vor allem in Bürgerinitiativen wirbeln. So wie die Leute es von ihm gewöhnt sind. Denn nichts zu tun, ist seine Sache nicht.