SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bleibt nicht nur in der Debatte über Waffenlieferungen in den Irak im Schatten des Parteichefs. Doch lange wird das nicht mehr gutgehen.

Berlin - Thomas Oppermann hat lange geschwiegen. Seit mehr als zwei Wochen schon diskutiert sich Deutschland schwindlig, ob es moralisch geboten und rechtmäßig, verwerflich oder brandgefährlich ist, die Kurden im Norden Iraks mit Waffen zu unterstützen. Wer nach relevanten Spitzenpolitikern suchte, die in dieser Zeit noch nichts dazu gesagt hatten, konnte bis Donnerstag keinen mehr finden – mit Ausnahme Oppermanns.

 

Oppermann hat die Großen machen lassen

Das ist bemerkenswert, denn ein Fraktionschef ist in einer Koalition eigentlich ein mächtiger Mann, nicht minder bedeutend als die Vorsitzenden der regierenden Parteien. Außerdem ist Oppermann – neben dem sozialdemokratischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier – derjenige, der bei der Sondersitzung des Bundestags am Montag vielen zweifelnden SPD-Abgeordneten das Gefühl geben muss, das Richtige zu tun. Sein CDU-Kollege Volker Kauder war da emsiger, reiste persönlich nach Erbil, um sich ein Bild zu machen. Unvorstellbar auch, dass ein Peter Struck in einer solchen Lage sich eine Sendepause gegönnt hätte. Deshalb ist Oppermanns langes Schweigen mindestens so interessant wie das, was er schließlich auf einer Sommerreise mit Journalisten im Gewölbekeller des Hotels „Zum Löwen“ im niedersächsischen Duderstadt zu dem Thema zu sagen hat. Denn das, was Oppermann wissen ließ, klang so, als habe ihn Gabriel zuvor schnell zum Diktat gebeten.

Oppermann war nicht aus der Welt. Urlaub an der Ostsee, Wandern in der Steiermark – er weilte nicht in Welten ohne Mobilfunknetz. Aber der bei vielen als Haudrauf verschriene Niedersachse zog es vor, in Deckung zu bleiben. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Parteichef Sigmar Gabriel sollten für ihn das Feld bestellen. Offenbar hat Oppermann die Sorge, als Fraktionschef noch immer nicht die nötige Muskelmasse aufgebaut zu haben, um in so einer heiklen Situation von seiner Partei, vor allem von der Fraktion, als Autorität anerkannt zu werden. Wenn es um Krieg und Frieden geht, lassen sich die Genossen nicht von jedem was sagen. Also ließ Oppermann erst die Großen machen, weil er sich wohl selbst noch nicht groß genug fühlt.

Vom Katastrophenstart noch nicht erholt

Dafür gibt es Gründe. Denn Oppermann hat sich von seinem katastrophalen Start noch immer nicht ganz erholt. Er wollte ja auch gar nicht Fraktionschef werden. Der 60-Jährige sah während der Koalitionsverhandlungen seine letzte Chance, Minister zu werden, schwinden. Deshalb kämpfte er um das Justizressort. Steinmeier und Gabriel schoben Oppermann mühsam an die Spitze der Fraktion, weil sie keinem anderen den Posten zutrauten. Oppermann gab schließlich nach, musste sich aber fortan nachsagen lassen, den Fraktionsvorsitz als eine Art Billigjob misszuverstehen, was Abgeordnete gar nicht mögen. Es fehlte nicht viel, dann wäre Oppermanns Ära im Februar auch schon wieder beendet gewesen. Als der SPD-Mann Sebastian Edathy in Verdacht geriet, kinderpornographisches Material aus dem Internet erworben zu haben, machte Oppermann öffentlich, dass Hans-Peter Friedrich (CSU) die Genossen noch in dessen Funktion als Innenminister über drohende Ermittlungen gegen Edathy gewarnt habe. Friedrich, im neuen Kabinett Landwirtschaftsminister, musste zurücktreten. Die CSU sann nach Rache und trachtete nach Oppermanns Kopf.

Seitdem leistet Oppermann stille Wiedergutmachung, gibt kaum Interviews, kümmert sich stattdessen um die Mechanik der Macht – und das durchaus mit Erfolg. Unionsfraktionschef Kauder hat Vertrauen zu ihm gefasst – das sagt Kauder jedenfalls. Und die SPD-Fraktion hatte bisher keinen Grund zu murren, natürlich auch deshalb, weil ihr mit Entscheidungen etwa über Mindestlohn und Rente mit 63 fast ausschließlich sozialdemokratische Leckerbissen serviert wurden.

Aber Waffenlieferungen an die Peschmerga-Kämpfer im Nordirak stehen nicht im SPD-Wahlprogramm, und die Unruhe in der Fraktion ist groß. Oppermann will die Gemüter beruhigen, den Abgeordneten das Gefühl geben, dass sie wenigstens gehört werden, wenn schon an ihnen vorbei regiert wird. Deshalb brachte er die Idee, am Montag einen Entschließungsantrag zu verabschieden, ins Spiel. Der wäre zwar für die Regierung nicht bindend. Aber die eigenen Abgeordneten hätten dann wenigstens etwas zu tun.

Oppermann wird in den nächsten Monaten seine Rolle anders definieren müssen. Er wird gefordert sein, jene Stärke zu zeigen, die er sich jetzt offenbar noch nicht zutraut. Denn es wird, davon gehen sie in der SPD fest aus, rauer werden in der Koalition, umkämpfter. Viele Punkte des Koalitionsvertrages sind abgearbeitet. Die Union wird jetzt darauf drängen, eigene Akzente zu setzen, nachdem die ersten Monate von der SPD dominiert wurden. Es wird dann, anders als im ersten Jahr dieser großen Koalition, wieder auf die Fraktionsvorsitzenden ankommen und auf deren Geschick, die eigenen Leute hinter sich zu bringen. Oppermann weiß das, und er arbeitet daran. Viel Zeit wird nicht bleiben.