Am Sonntag entscheidet der SPD-Parteitag, ob Koalitionsverhandlungen mit der Union begonnen werden. Der Parteigeneral Lars Klingbeil erklärt im Interview, warum er zuversichtlich ist, dass es ein Ja dafür geben wird.

Berlin - Generalsekretär Lars Klingbeil kündigt zusätzliche SPD-Inhalte in einer Groko jenseits der Sondierungs-Eckpunkte an.

 
Herr Klingbeil, Sie touren durchs Land und werben für Koalitionsverhandlungen mit der Union auf Basis des Sonderungsergebnisses. Wie würden Sie die Stimmung beschreiben?
Für viele Mitglieder ist entscheidend, dass wir mit den SPD- Ergebnissen aus den Sondierungen das Leben der Menschen konkret verbessern können. Andere treibt um, wie die Sozialdemokratie in der Regierung Stärke zurückgewinnen kann. Und es gibt die große Sorge, dass der dringend notwendige Erneuerungsprozess der Partei bei einer Regierungsbeteiligung unter die Räder gerät. All das diskutieren wir sehr lebendig und fair miteinander. Alle wissen, dass unser Zusammenhalt unabhängig vom Ausgang des Parteitags das Wichtigste ist. Für mich als Generalsekretär steht dabei im Vordergrund, dass die Diskussion über die Erneuerung der SPD konsequent weitergeht, egal was kommt. Dafür wurde ich gewählt, das bleibt meine wichtigste Aufgabe.
Diese angeblich so lebendige, auf Einheit bedachte Partei liegt in Umfragen aber sogar schon unter 20 Prozent.
In der Vergangenheit hat in der SPD häufig die Regierungslogik dominiert. Außerdem gab es ein wildes Themenhopping, so dass unsere Wähler manchmal gar nicht mehr wussten, wofür die SPD eigentlich steht. Eine wichtige Frage ist deshalb, wie die Sozialdemokratie in einer schwarz-roten Koalition sichtbar bleiben kann. Ich bin mir sicher, dass unsere Ergebnisse wieder besser werden, wenn wir die in den Sondierungsgesprächen vereinbarten Punkte schnell umsetzen können. Dazu gehört aber auch, dass wir diese Erfolge selbstbewusst nach außen vertreten.
Wie aber wollen Sie unterscheidbar bleiben, wenn – wie im Sondierungspapier festgehalten – ausnahmslos immer zusammen mit der Union abgestimmt werden muss?
Wir haben durchgesetzt, dass es im Bundestag Orientierungsdebatten über nationale und internationale Fragen geben wird, bei denen jede Fraktion eigenständig auftritt. Die Kanzlerin wird außerdem dem Parlament dreimal im Jahr Rede und Antwort stehen müssen. Es gibt allerdings in der SPD auch eine große Skepsis, wie vertragstreu die Union überhaupt sein kann. In der letzten Wahlperiode wurden von CDU und CSU häufig Vereinbarungen gebrochen. Wir haben zum Beispiel immer noch kein Recht auf Rückkehr in eine Vollzeitbeschäftigung, obwohl es im Koalitionsvertrag stand. Deswegen haben wir jetzt mit der Union vereinbart, dass wir in einer Halbzeitbilanz bewerten, ob die vereinbarten Schritte auch umgesetzt wurden. Wir sollten in möglichen Koalitionsverhandlungen außerdem einzelne Gesetze mit konkreten Zeitplänen versehen.
Wer wird eigentlich das Halbzeitergebnis bewerten?
Das müssen die Parteien machen.
Ist das eine Groko-Ausstiegsklausel?
Natürlich muss man mit einem Vertrauensvorschuss in eine Koalition gehen. Klar ist aber auch, dass sich die SPD Vertragsbrüche nicht gefallen lassen wird.
Apropos Vertrauensvorschuss: Wie bewerten Sie denn die jüngsten Äußerungen von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt?
Vielleicht möchte Herr Dobrindt mit seiner Selbsteinladung auf den SPD-Parteitag ja mal erleben, wie sich eine lebendige Partei anfühlt – in seiner eigenen herrscht ja eher eine Kultur von Befehl und Gehorsam. Hilfreich für das gegenseitige Vertrauen sind seine Äußerungen jedenfalls nicht.
Belastet ist das Vertrauen möglicherweise auch durch die SPD. Kaum war das Sondierungspapier geschrieben, da wurden in der Führung der SPD schon die ersten Absetzbewegungen in Form von Nachbesserungswünschen laut. Glauben Sie, das wirkt auf Wähler überzeugend?
Wenn das Sondierungsergebnis umgesetzt wird, wird es den Alltag vieler Menschen deutlich verbessern. Wir Sozialdemokraten wollen aber immer mehr – das ist der Geist, der diese Partei prägt. Andere Parteien wollen vor allem Macht, wir wollen vor allem die Welt verbessern. Und deshalb würden wir uns in den Koalitionsverhandlungen natürlich dafür einsetzen, dass da noch mehr geht. Es gibt ja auch viele Themen, über die in diesen kurzen Sondierungsgesprächen noch überhaupt nicht geredet wurde.
Was geht noch, vielleicht die Erhöhung des Spitzensteuersatzes?
Die Bürgerversicherung, die Abschaffung von Arbeitsverträgen, die ohne sachlichen Grund befristet sind, und einen höheren Spitzensteuersatz lehnt die Union sehr hart ab. Da ist nach meiner Einschätzung nicht mehr viel zu machen. Aber nehmen Sie die Ärzteversorgung auf dem Land. Die Frage, wie wir eine verlässliche Ärzteversorgung sicherstellen können, treibt auch die Union um. Darüber haben wir in den Sondierungen noch gar nicht geredet. Oder nehmen Sie ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt: die Digitalisierung. Wir haben zwar eine gute Vereinbarung zum Ausbau der Glasfasernetze, aber viele andere wichtige Bereiche müssen noch mit Inhalten gefüllt werden.
Das Sondierungspapier gilt als solide, aber viele Genossen vermissen sozialdemokratische Leuchtturmprojekte vergleichbar dem Mindestlohn. Haben Sie sich zu billig verkauft?
Überhaupt nicht. Ich finde, dass die Abschaffung des Kooperationsverbotes, das den Bund bisher daran hindert, den Kommunen bei der Finanzierung ihrer Schulen zu helfen, ein Meilenstein ist. Auch die Rückkehr zur gleichberechtigten Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung entlastet die Arbeitnehmer spürbar und ist keine Kleinigkeit. Das verbessert den Alltag der Menschen. Und dafür wurden wir gewählt.
Eine funktionierende Mietpreisbremse könnte ebenfalls vielen Menschen helfen…
Das Sondierungspapier ist kein Koalitionsvertrag, das ist klar. Und wir werden über vieles noch reden müssen.
Juso-Chef Kevin Kühnert sagt, ein Nein zur Groko erzwänge keineswegs personelle Konsequenzen an der Parteispitze. Ist das nicht ein wenig naiv?
Ich rate davon ab, inhaltliche Fragen mit Personen zu verknüpfen. Wir führen eine sachliche Diskussion und das begrüße ich. Es ist richtig, nicht nur über eine neue Regierung, sondern auch über die Erneuerung der SPD nachzudenken, denn beides hat untrennbar miteinander zu tun.
Sigmar Gabriel meint, die Delegierten mit dem Hinweis unter Druck setzen zu müssen, dass die Welt nun ungeduldig auf die SPD schaue. Ist das hilfreich?
Die Rückmeldungen von europäischen Staats- und Regierungschef und von unseren Partnerparteien sind eindeutig. Die hoffen auf große Impulse aus Deutschland für Europa, die eine sozialdemokratische Handschrift tragen. Dieses Versprechen können wir mit dem Europakapitel im Sondierungspapier auch geben. Ich bin ganz klar dagegen, Druck auf die Delegierten aufzubauen, aber an der Tatsache, dass am Sonntag aus den europäischen Hauptstädten zum SPD-Parteitag nach Bonn geschaut wird, kommt man nicht vorbei.
Wer in Europa etwas zu sagen haben will, sollte entweder Kanzlerin oder Finanzminister sein. Beansprucht die SPD das Finanzressort?
Die im Sondierungsergebnis verabredete Europapolitik ist ein sehr klarer Bruch mit der Spardoktrin von Wolfgang Schäuble. Denn die war falsch für Europa. Die Frage, wer welches Ministerium führt, steht jetzt aber nicht an.
Was tippen Sie, wie geht es aus am Sonntag?
Es gibt zwei realistische Alternativen: Koalitionsverhandlungen oder Neuwahlen. Wenn das jeder Delegierter für sich reflektiert und in diesem Lichte das Sondierungsergebnis bewertet, dann bin ich optimistisch, dass es grünes Licht für weitere Verhandlungen geben wird. Diejenigen, die gegen Koalitionsverhandlungen sind, müssen am Ende auch argumentieren können, weshalb das, was wir in den Sondierungen für die Menschen erreicht haben, dann doch nicht kommt. Bei Neuwahlen würden wir vieles von dem fordern, was wir jetzt schon in einer schwarz-roten Koalition haben könnten. Das wäre schwer zu vermitteln.
Warum sollten die Genossen glauben, dass man gestärkt aus einer Groko hervorgehen kann? Sie haben 2013 so viel erreicht und sind trotzdem abgestraft worden…
Ich glaube nicht, dass das an der Koalition lag. Wir haben in der SPD mehr über die Ausnahmen vom Mindestlohn gestritten als überhaupt mal die Tatsache zu feiern, dass er eingeführt wurde. Wir haben uns länger darüber gezofft, für wen die Rente mit 63 nicht gilt, statt auf diese Errungenschaft stolz zu sein. Wir müssen da selbstbewusster werden und wenn man sich auch mal solche Momente gönnt, dann nehmen uns auch die Menschen anders wahr.