Der SPD-Parteichef Gabriel setzt der Kanzlerin eine klare Frist. Im Frühjahr müssen die Flüchtlingszahlen deutlich sinken, sagt er. Schon jetzt sieht er zum Beispiel die Schulen am Rande der Überforderung.

Berlin - Wenn sich Angela Merkel in der Flüchtlingskrise in der Koalition auf jemanden verlassen konnte, dann war dies die SPD. Stets sprangen ihr die Genossen zur Seite, wenn Horst Seehofer der Bundeskanzlerin Ultimaten stellte oder wenn sich in der CDU-Bundestagsfraktion Widerstand gegen Merkel formierte. Das ist nun vorbei.

 

Auf der SPD-Vorstandsklausur im brandenburgischen Nauen vollzog SPD-Chef Sigmar Gabriel endgültig den Kurswechsel. Zwar fordern die Genossen weiterhin keine Obergrenzen, weil diese rechtlich gar nicht durchsetzbar seien, aber dennoch setzt jetzt auch die SPD der Kanzlerin eine Frist. „Wir brauchen eine Verringerung der Zuwanderungszahlen, weil wir mit Sicherheit im laufenden Jahr nicht noch einmal eine Million Menschen gut integrieren können“, sagte Gabriel zu Beginn der Klausur und stellte klar: „Ich glaube, dass wir das in diesem Frühjahr, im Frühsommer, schaffen müssen.“ Gabriel nannte als Beispiel für die drohende Überforderung die Situation an den Schulen. 300 000 Schulkinder seien 2015 gekommen. Das bedeutet, dass schon jetzt bis zu 25 000 zusätzliche Lehrer notwendig wären. Das dürfe sich dieses Jahr nicht wiederholen.

Offenbar wäre die SPD bereit, die Grenzen zu schließen

Der SPD-Chef deutete auch an, was passieren wird, wenn die Zahlen nicht sinken. „Wir werden auf Dauer offene Grenzen in Europa nur erhalten können, wenn die Außengrenze geschützt wird. Das muss man denen sagen, die sich daran zu wenig beteiligen.“ Man kann das getrost als Hinweis werten, dass die SPD bereit wäre, eine Schließung der Grenze mitzutragen, wenn Europa weiter blockiert. In SPD-Kreisen wird die Wiedereinführung von Grenzkontrollen nicht mehr ausgeschlossen. Die Erwartung ist, dass Merkel kurz vor den Landtagswahlen am 13. März die Reißleine zieht. Merkel habe oft genug bewiesen, dass sie zur abrupten Kehrtwende fähig ist, heißt es. Damit ist für Merkel die Gefechtslage klar. Sie muss auf europäischer Ebene liefern. Spätestens auf dem Gipfel im Februar muss sie die anderen EU-Länder von Kontingentlösungen und der Notwendigkeit eines besseren Schutzes der Außengrenze überzeugen. Gelingt das nicht, kann sie auch auf die SPD nicht mehr setzen.

Gabriel hatte die Genossen nach dem Jahreswechsel und den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht mit dem unabgestimmten Ruf nach Gesetzesverschärfungen überrascht. Am vergangenen Dienstag versuchte er, die Bundestagsfraktion auf eine harte Gangart einzuschwören, weil auch die SPD-Wähler kein Verständnis dafür hätten, wenn Seriendiebe unter den Flüchtlingen nicht außer Landes geschafft werden könnten. Allein mit Willkommenskultur sei die Herausforderung nicht zu bewältigen, so Gabriel.

Für seine harte Linie muss Gabriel auch Kritik einstecken

Für diese harte Linie hat Gabriel intern auch Kritik einstecken müssen. Beifall ernte er mit einer übertrieben harten Gangart nur bei Wählern, die sowieso nicht SPD, sondern gleich AfD wählen würden, meinen Vertreter des linken Flügels. In Telefonaten und bei einem gemeinsamen Essen des Vorstands am Dienstag wurde versucht, ihn zu bremsen. Am Wettbewerb, wer Flüchtlinge am schlechtesten behandle, dürfe sich die SPD nicht beteiligen.

Gabriel mäßigt seitdem den Ton, bleibt aber hart in der Sache. Afrikanische Länder wie Algerien und Marokko könnten nicht finanzielle Unterstützung erwarten, wenn sie sich weigerten, abgelehnte Asylbewerber wiederaufzunehmen. „Wir sind bereit, mehr zu tun in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die Voraussetzung dafür sind aber faire Rücknahmeabkommen“, sagte Gabriel. Auch der Vorschlag der Union, Flüchtlinge aus Marokko und Algerien ebenso kompromisslos abzuweisen wie Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern, fällt bei ihm auf fruchtbaren Boden. Einer Gesetzesänderung, die eine schnellere Abschiebung straffälliger Flüchtlinge ermöglichen würde, will sich Gabriel ebenfalls nicht verschließen. Die Forderung nach einer Haft im Herkunftsland oder die Andeutung, Kriminelle könnten womöglich auch nach Syrien abgeschoben werden, wiederholte er aber nicht.