In der Stuttgarter Liederhalle redet der SPD-Kanzlerkandidat über Investitionen in ein moderneres und gerechteres Deutschland. Den größten Applaus erntet er aber, als er US-Präsident Donald Trumps Politikstil „widerlich“ nennt.

Stuttgart - Um frustriert zu sein, hätte Martin Schulz viele Gründe. Was er derzeit auch versucht, die Meinungsforscher wollen einfach keinen Trend nach oben messen für seine Sozialdemokraten. In den jüngsten Umfragen kommt die SPD weiter nur auf 25 Prozent der Stimmen, während die Unionsparteien CDU und CSU auf 38 Prozent kommen. Angela Merkel scheint unangreifbar – egal, welche Attacken Schulz reitet. Gut gelaunt verspricht Schulz am Montagabend in Stuttgart dennoch, dass er die Kanzlerin noch politisch in die Ecke treiben kann: „Wer mit mir nicht in den Boxring steigen will, dem lauf‘ ich nach und hol‘ ihn rein.“

 

In den Umfragen mag die Faszination verflogen sein, die der Mann aus Brüssel mit seinem Wechsel nach Berlin anfangs verströmt hat – neugierig auf den 61-Jährigen bleiben dennoch viele. Für seinen Auftritt im Rahmen der Reihe „StZ im Gespräch“ am Montagabend in der Stuttgarter Liederhalle hatten sich mehr Leser angemeldet, als in den Beethovensaal mit seinen 1700 Plätzen passen. Befragt von den Chefredakteuren Joachim Dorfs (Stuttgarter Zeitung) und Christoph Reisinger (Stuttgarter Nachrichten) versucht der SPD-Kanzlerkandidat dementsprechend alles, um die Zuhörer für sich zu gewinnen – und vielleicht von Stuttgart aus doch noch die erhoffte Aufholjagd zu starten. Gleich zu Anfang bekennt er, dass das 100-Prozent-Ergebnis für ihn auf dem SPD-Parteitag teilweise auch eine „Last“ gewesen ist für den Beginn der Aufholjagd.

Was halten Leser von Martin Schulz und wie lautet ihre Prognose für die Bundestagswahl? Das haben wir Teilnehmer der Veranstaltung gefragt. Sehen Sie die Antworten im Video:

Schulz übt sich in Trump-Kritik

Der Sozialdemokrat probiert es in der Folge mit Klartext vor allem in außenpolitischen Fragen. Den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan beispielsweise will er als Bundeskanzler „in klaren deutschen Hauptsätzen“ kritisieren. Er bezeichnet die Art und Weise, mit der der neue US-Präsident Donald Trump Politik macht, als „widerlich“. Auf die Nachfrage von StZ-Chefredakteur Dorfs, ob es klug sei, mit dem Staatschef eines verbündeten Landes so reden zu wollen, bleibt Martin Schulz dabei: „Wer die diplomatischen Gepflogenheiten selbst nicht einhält, kann nicht erwarten, dass man ihm mit Diplomatie begegnet.“ Das Publikum dankt ihm diesen Satz mit beinahe frenetischem Applaus.

Ähnlich laut wird es, als Schulz ankündigt, keinem EU-Haushalt zuzustimmen, wenn nicht gleichzeitig ein „europäischer Pakt gegen Steuerflucht und Steuervermeidung“ vereinbart wird. Viel Zuspruch erntet er auch für seinen Vorstoß, parallel zur besseren Ausstattung der Bundeswehr „konkrete Schritte zur Abrüstung, auch zur atomaren Abrüstung“ unternehmen zu wollen – mit den USA und Russland.

„Es geht nicht allen Deutschen gut“

Viel ist an diesem Abend in der Liederhalle auch von Investitionen die Rede – schließlich spielen sie eine Hauptrolle im Zukunftskonzept der SPD, das Schulz erst gerade am Sonntag der Öffentlichkeit präsentiert hat. Ihm geht es dabei, wie er den StZ-Lesern berichtet, nicht nur um die Sanierungen von Schulen oder die Einstellung zusätzlicher Lehrer und Polizisten, er will damit auch eine bessere Wirtschaftsentwicklung in Europa erreichen: „Die Aktivierung der Investitionstätigkeit in Deutschland führt zu Importen, die Wachstum sind in anderen Ländern.“

Obwohl Martin Schulz viel von Innovationen und der digitalen Zukunftsfähigkeit des Landes spricht, hat er sein erstes Thema, das der Gerechtigkeit, nicht vergessen. Er räumt dann aus seiner Sicht mit einem „Ammenmärchen“ auf: „Dass es Deutschland gut geht, heißt nicht, dass es allen Deutschen gut geht.“ Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat erzählt von Menschen, die vielleicht ordentlich verdienen, aber hohe Mieten und Kita-Gebühren zahlen müssen, vielleicht selbst für die Eltern sorgen müssen, da es einen „Pflegenotstand“ gebe in der Bundesrepublik: „Die sagen: Ich könnte mir auch ein leichteres Leben vorstellen.“

Schulz verspricht zwei spannende Monate bis zur Wahl

Zur Gerechtigkeit innerhalb Deutschlands gehört für den Sozialdemokraten neben der groß angelegten Schaffung von zusätzlichem Wohnraum auch, dass Bildungsabschlüsse verschiedener Bundesländer gleich viel wert sind. Unter dem Beifall der Gäste fordert er deshalb eine Abschaffung des sogenannten Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern – wobei der Applaus möglicherweise auch seinem Scherz galt, dass er immer gedacht habe, der Begriff habe „mit der ,Ehe für alle’ zu tun“. Martin Schulz bläst wieder zur Attacke, als es darum geht, warum es auch in den vergangenen Regierungsjahren der SPD beispielsweise kein Recht für eine Rückkehr von der Teilzeit in die Vollzeit gegeben hat. „Das hat Frau Merkel persönlich blockiert.“

Überhaupt versucht er, die Kanzlerin zu stellen, wo er kann. Zwar habe Merkel „durchaus ihre Verdienste“, nun aber habe Deutschland „die Wahl zwischen einer Verwaltung des Status quo und einem in sich geschlossenen Zukunftskonzept für die Bundesrepublik Deutschland“. Die Hoffnung, dass er als Wahlsieger die Chance zur Umsetzung bekommt, will er noch lange nicht aufgeben. Er verspricht zwei spannende Monate bis zur Bundestagswahl.

Zu Koalitionsoptionen, die ihn erst zum deutschen Regierungschef machen könnten, schweigt sich Schulz hingegen aus. Nur eines sagt er in Richtung Linke: Wer die EU oder die Nato in Frage stelle, so Schulz, „kann nicht Minister meiner Regierung werden“. Auch als nachgehakt wird, mit wem er denn ins Kanzleramt kommen will, antwortet er keck: „Mit der SPD.“