Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Wann findet die SPD mal ein potenzielles Gewinnerthema in diesem Wahlkampf?
Ich bin dafür, dass wir bis zum 24. September bei unseren Themen bleiben. Wir sollten gelassen bleiben. Unser Thema „Zukunft gestalten“ hört sich zunächst abstrakt an, doch es geht um Rente, Gesundheit und Investitionen. Allein die schwarze Null als Programm zu haben wie die Union, ist völlig daneben. Wir brauchen Investitionen in Bildung, Forschung, Straßen und Schienen, Antriebe. Plus ein soziales Europa.
Die Sommerferien sind keine günstige Zeit für Wahlkampf. Schaffen Sie es, die Begeisterung nach draußen zu tragen?
Kein Mensch braucht verzagte Politiker. Wir sind alle motiviert. Wir wollen den Wettbewerb um die besten Zukunftsideen gewinnen. Unsere Veranstaltungen sind sehr gut besucht – die Menschen kommen zu allen möglichen Uhrzeiten. Da passiert etwas.
Vielfach zeigt sich, dass den Menschen nicht der Sinn nach mehr Europa steht?
Ich merke in vielen Gesprächen: Je jünger die Wähler sind, desto selbstverständlicher ist es für sie, Europa zu verteidigen, es solidarischer und sozialer machen zu wollen. Hier ist ein viel größeres Gespür als in der Vergangenheit vorhanden, wie sehr gerade wir ein starkes Europa brauchen.
Die Strategie der SPD ist es ja, die eigenen Themen durchzusetzen, was schwer genug ist. Darf man dann aber den Flüchtlingsstreit für Wahlkampfzwecke nutzen?
Ich rede derzeit viel mit haupt- und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern. Alle sagen mir: Das Thema Abschiebung hat Priorität für diese Landesregierung – und es besteht kein Interesse mehr an Integration. Sorgen macht mir, wenn die Ehrenamtlichen richtig sauer gefahren werden. Die kümmern sich mit Herzblut, doch dann wird zum Beispiel der Kontakt von der Behörde erschwert, weil der Flüchtling in eine andere Stadt weiter geschickt wird. Oder der Duldungsstatus erschwert die Aufnahme einer Ausbildung. Wenn wir wieder mehr Flüchtlinge bekommen, was nicht ausgeschlossen ist, dann werden wir in Baden-Württemberg nicht mehr die ehrenamtliche Unterstützung haben, die wir mal hatten.
Schulz hat Merkel in der Flüchtlingsfrage einst verteidigt – macht er jetzt eine Kehrtwende?
Es ist absehbar, dass neue Probleme auf uns zukommen werden. Im Mittelmeer ertrinken die Menschen noch immer – und Italien kann die Neuankömmlinge kaum mehr aufnehmen. Wenn sich nun einige Länder in Europa weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, dann ist das leider so. Niemand will die Menschen in ein vergiftetes Klima schicken. Dann finde ich es aber auch richtig, diesen Regierungen zu sagen: Wenn ihr euch unsolidarisch verhaltet, bekommt ihr am Ende weniger Geld von der EU – damit etwa Italien oder Griechenland mehr bekommen. Darüber darf man reden. Vor lauter Angst vor Rechtspopulisten sollten wir es uns nicht ersparen, über diese Dinge zu sprechen.
Die Juso-Vorsitzende fordert Schulz auf, eine große Koalition auszuschließen, um den Politikwechsel deutlich zu machen. Ist der Verdruss an dieser großen Koalition so groß, dass man lieber in die Opposition geht?
Den Umfragen zufolge werden große Koalitionen geschätzt, vermutlich weil sie so berechenbar und gemütlich sind. Ich finde sie einfach unzureichend. Sie sind kein Hort des Fortschritts. Und mit einer ständig auf Sicht fahrenden CDU kriegen wir keine großen Projekte mehr hin. Da bin ich zunächst mal froh, dass die SPD keine Koalition mit demokratischen Parteien ausgeschlossen hat. Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme für die große Koalition.
Hat der frühere Parteichef Franz Müntefering Recht: Ist Opposition Mist?
Ich will auch lieber regieren und gestalten.
Sehen Sie noch eine Machtoption?
Ja, sicher.
Gibt es absehbar genug Gemeinsamkeiten mit Grünen und Linkspartei?
Bei der Investitionspflicht, der Bürgerversicherung und der Rentenpolitik sind Grüne und Linkspartei doch sicher dabei. Und es können in einer Koalition nicht von jeder Partei sämtliche Blütenträume erfüllt werden. Selbstverständlich wird die SPD keinen Koalitionsvertrag abschließen, in dem an der Nato herumgefingert wird.
Martin Schulz hat gerade gesagt, dass er SPD-Chef bleiben wolle – egal wie die Wahl ausgeht. Wäre er der richtige Mann?
Ich schätze an ihm, dass er in großen Hallen, kleinen Runden und Vier-Augen-Gesprächen immer die richtige Tonlage trifft. Ich glaube, dass er wirklich ein guter Repräsentant der Sozialdemokratie ist und ein starker Spitzenkandidat. Die Partei hat ihn getragen wie noch keinen vorher in jüngster Zeit. Er hat den Laden bislang gut geführt und wird ihn weiter führen. Am liebsten als Kanzler.