SPD-Landeschefin Leni Breymaier steckt im Krisenmodus: Einerseits muss sie die Groko gegen die Partei-Linken verteidigen – andererseits muss sie sich im eigenen Landesverband eines Herausforderers von rechts erwehren. Dem Ausgang des Machtkampfes sieht sie mit Zuversicht entgegen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - An diesem Freitag beginnt das Mitgliedervotum in der baden-württembergischen SPD über den künftigen Vorsitz. Die Amtsinhaberin sieht gute Chancen gegen ihren Herausfordererg Lars Castellucci.

 

Frau Breymaier, sind Sie froh, dass Angela Merkel als Parteichefin abtritt?

Ich glaube, dass sie dadurch als Kanzlerin geschwächt ist. Aber dies zeigte sich ja schon bei der Wahl des neuen Fraktionsvorsitzenden. Die Reihen der CDU sind nicht so geschlossen, wie man auch an der Kandidatenlage für die Nachfolge sieht. Insofern wird der Fokus der Betrachtung in den nächsten Wochen eher bei der CDU liegen, sodass wir vielleicht relativ geordnet unsere Arbeit machen können.

Eröffnet dies der SPD neue Spielräume, wieder mehr eigenes Profil zu zeigen?

Das ist die parteipolitische Betrachtung, dass es Freiräume gibt für klarere linke Positionen. Gesellschaftlich kann es nicht gewünscht sein. Wenn Friedrich Merz aus der Versenkung aufsteigt, setzt die CDU auf marktradikale Ansätze. Das sind nicht die Antworten, die diese Gesellschaft braucht. Der Markt regelt keine sozialen oder ökologischen Notwendigkeiten.

Entscheidet die Wahl des CDU-Vorsitzenden über die Zukunft der großen Koalition?

Der Koalitionsvertrag wurde unionsseitig ganz oben von Angela Merkel und Volker Kauder unterschrieben. Wir haben somit im Dezember zu klären: Welche konkreten Projekte, die wir verabredet haben, sind dann noch möglich. Ich gehe natürlich davon aus, dass die Union vertragstreu sein will.

Wäre die Koalition bei einer Kür von Friedrich Merz gefährdet?

Das müssen Sie ihn fragen, ob er bereit wäre, die Inhalte mitzutragen und die Bundestagsfraktion hinter sich zu bringen. Wenn er das nicht wollte, ja dann ist Ende Gelände. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass die CDU den 62-jährigen Merz entstaubt und ins Schaufenster stellt. Er ist der fleischgewordene Finanzkapitalismus und außerhalb von allem, wofür diese Koalition steht. Aber das muss die CDU auch selbst entscheiden.

Jens Spahn wäre besser?

Abgesehen davon, dass er ab und zu verbal danebengreift und noch nicht so richtig das Gespür dafür entwickelt hat, wie die Beschäftigten ticken, so ist er aktuell Gesundheitsminister. Auch er arbeitet den Koalitionsvertrag ab – und im Bereich Pflege ist echt Musik drin.

Warum soll es die SPD noch bis zur geplanten Inventur Ende 2019 in der Groko aushalten, wenn die Fliehkräfte jetzt schon so groß sind?

Da sind so wichtige Sachen im Koalitionsvertrag, die möchte ich gerne umgesetzt wissen. Wenn wir ausstrahlen, dass wir am liebsten Opposition machen wollen, warum soll uns dann noch jemand wählen? Ich will gestalten. Wenn wir es aber überhaupt nicht mehr vermitteln können, was wir da tun oder wenn wir merken, dass da nicht mehr viel geht, dann müssen die Dinge früher beerdigt werden.

Muss die SPD Neuwahlen nicht unbedingt vermeiden?

Die Umfragen sind nicht rosig. Dennoch sage ich: die SPD muss jederzeit bereit sein. Die Welt ist ja so schnelllebig. Umfragen sind Momentaufnahmen. Alles vermeiden, nur damit es keine Neuwahlen gibt, ist nicht mein Ansatz – und es ist auch nicht der Ansatz meiner Partei. So leidenschaftlich wir diskutieren über Personal oder Inhalte – wenn es in Wahlen geht, wird der Buckel durchgedrückt, und dann marschiert man los.

„Zu sehr damit beschäftigt, den Laden zusammenzuhalten“

Das Mitgliedervotum in der Landes-SPD hat begonnen. Haben Sie aus den ersten Auftritten heraus ein Gefühl dafür bekommen, wem die Mitglieder eher zuneigen?

Lars Castellucci und ich erleben gut besuchte Veranstaltungen. Aber damit erreichen wir vielleicht zehn Prozent der 36 000 Mitglieder. Am Ende entscheiden eher die, die nicht zu den Veranstaltungen kommen. Ich glaube, dass ich gute Chancen habe, das Mitgliedervotum zu gewinnen – gehe aber nicht überheblich in die Abstimmung und nehme die Gegenkandidatur ernst.

Worauf will Ihr Herausforderer hinaus – außer auf mehr Zusammenhalt?

Das müssen Sie ihn fragen. Nach verschiedenen Veranstaltungen zeigt sich, dass er inhaltlich doch sehr vage bleibt. Es sind viele Überschriften drin. Das SPD-Mitglied hat es da gerne etwas konkreter. Am Schluss ist das alles auch eine Machtfrage.

Welche Fehler haben Sie in den vergangenen zwei Jahren gemacht?

Wir haben in vergangenen zwei Jahren tüchtig geackert und sind da ganz gut aufgestellt. Natürlich sehe ich, was man alles hätte noch machen können. Aber ich glaube, wir haben da schon weitgehend richtig priorisiert. Allerdings habe ich im Landesvorstand auch keine strukturelle Mehrheit für meine Positionen. Da kannst du nicht perfekt sein. Was ich mir vorwerfe ist, dass ich auf der Strecke vielleicht zu sehr damit beschäftigt war, den Laden zusammenzuhalten.

Wäre ein häufigeres Machtwort besser gewesen, um Ihre Autorität zu sichern?

Die Partei braucht keinen autoritären Führungsstil. Aber die SPD sollte damit aufhören, es immer allen Recht machen zu wollen. Wir müssen auch mehr zuspitzen. Ich habe nicht den Anspruch, bei jedem Thema 90 Prozent der Menschen zu vertreten. Die Leute sind viel weiter, wie wir an Umfragen sehen: 51 Prozent aller SPD-Wähler sind zum Beispiel für Fahrverbote in Stuttgart. Da muss man auch mal klar sein und sich entscheiden. Wir haben uns über mehr Sachen Gedanken zu machen als über die Fahrverbote 2019 – Mobilität ist die soziale Frage der Zukunft. Es geht am Ende nicht um die innere Verfasstheit der Partei. Es geht um unsere Demokratie, um Europa, um den sozialen Zusammenhalt, um das Klima. Parteien sind kein Selbstzweck.

Ihnen wird vorgeworfen, landespolitisch zu wenig Flagge gezeigt zu haben?

Wir tun miteinander das Beste, mit den Landesthemen durchzudringen. Auch ich. Wer auf der Stuttgarter Königstraße kennt denn zum Beispiel die Grünen-Landesvorsitzenden? Ich bin jetzt zwei Jahre Vorsitzende. Meinen Bekanntheitsgrad und meine Kontakte etwa zu den Verbänden habe ich mir ja über viele Jahre erworben. Ich bin im Land bestens vernetzt. Ein im Land völlig unbekannter Nachfolger bräuchte viel Zeit, sich dies alles zu erarbeiten.

Sie loben öffentlich die gute Zusammenarbeit mit der Fraktion – im Ernst?

Das ist mein voller Ernst. Ich komme mit den einzelnen Leuten ganz überwiegend gut aus – auch mit der Spitze Andreas Stoch und Reinhold Gall – wir sind wechselseitig immer auf dem aktuellen Stand der Diskussion und Information.

Können Sie sich vorstellen, mit Sascha Binder als Generalsekretär zusammenzuarbeiten?

Meine Generalsekretärin heißt Luisa Boos – es wäre eine Illoyalität ihr gegenüber, wenn ich hier verkünden würde, dass ich mir das vorstellen kann. Ich gehe davon aus, dass der Parteitag meinem Vorschlag folgt und mache mir heute keine Gedanken über eine Arbeit mit Sascha Binder als Generalsekretär.

Erhebt er nicht zu Recht den Anspruch des professionellen Umgangs miteinander?

Alle, die in der SPD Verantwortung haben, müssen diesen Anspruch haben.

Anders als vor zwei Jahren koppeln Sie Ihren Verbleib im Amt nicht mehr das Schicksal von Luisa Boos?

Damals wollte ich mir nicht gleich meine allererste Personalie kaputt reden lassen. Dann hätte ich gar nicht erst anzutreten brauchen. Da habe ich einmal im internen Kreis gesagt, dass es uns nur im Doppelpack gibt. Luisa Boos hat einen völlig anderen Politikansatz, der der Partei gut tut. Sie macht eine hoch engagierte, gute Arbeit. Ich wünsche sie mir weiter als Generalsekretärin.

Wenn Sie und Boos gewönnen, gäbe es ein Lager der Unterlegenen. Dann käme niemals Ruhe rein?

Aber es ist dann trotzdem klar. Wir sind keine 100-Prozent-Partei wie in China, sondern Teil einer lebendigen Demokratie. Am Ende wird sich jeweils eine Personalie durchsetzen. Dann gibt es Sieger und Unterlegene. Und dann gehe ich davon aus, dass diejenigen, deren Meinung sich nicht durchgesetzt hat, damit professionell umgehen, um bei dem Wort zu bleiben. Wenn man mal zu Ergebnissen kommt, müssen diese auch tragen. So kenne ich das von den Gewerkschaften: Man ringt intern, steht aber nach außen zu der dann gefundenen Haltung. Das ist offenbar bei der SPD noch nicht so, und das war anfangs einer meiner Denkfehler – es würde der Partei aber echt gut tun.