Die SPD hat die Briefe zum Mitgliedervotum verschickt. Der StZ-Autor Armin Käfer hält Teilhabe für ein löbliches Prinzip. Aber Basisdemokratie, wie die SPD sie pflege, sei auch ein Zeichen von Verunsicherung, meint er.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart/Berlin - Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit. So steht es im Grundgesetz. Das ist stark übertrieben. Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz etwa, eine von 42, die bei der Wahl im September um das Wählervertrauen warben, kam auf 0,8 Prozent der Stimmen, sie eroberte kein Mandat, ihr Einfluss ist auf die kleine Minderheit ihrer Anhänger beschränkt. Eine ebenso kleine Minderheit wird über die künftige Regierung in Deutschland entscheiden: jene 0,7 Prozent des Wahlvolks, die neben dem deutschen Pass auch ein SPD-Parteibuch besitzen.

 

Schon an diesem Beispiel wird deutlich, dass Basisdemokratie eine zwiespältige Angelegenheit ist. Im Falle des Groko-Votums handelt es sich um ein demokratisches Paradox: Wer nicht bloß wahlberechtigt ist, sondern auch noch SPD-Mitglied, der darf zweimal abstimmen, wie es weitergeht im Land. Gewöhnliche Bürger wählen die Abgeordneten, Sozialdemokraten entscheiden auch über die Regierungspolitik.

Natürlich ist es legitim, wenn eine Partei sich bei ihren Mitgliedern rückversichert, ob sie regieren oder lieber die Oppositionsbänke drücken soll. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher keinen Grund erkannt, daran Anstoß zu nehmen – was aber überwiegend formale Gründe hat. Für Parteien, die so in ihren Grundfesten erschüttert sind wie die SPD, mag diese Art der Selbstvergewisserung naheliegen. Im besten Fall erwächst der Groko daraus eine breite Basis. Partizipation ist ein probates Mittel gegen Politikverdrossenheit. Aber müssen es gleich zwei Parteitage und obendrein noch eine Abstimmung sein?

In einer parlamentarischen Demokratie spielen Parteien eine Nebenrolle

Basisdemokratie ist keine bessere Form der Demokratie, sondern oft nur eine Verlegenheitslösung. Die Rückversicherungsmanie, die in der deutschen Politik um sich greift, zeugt von Unsicherheit. Politische Führung erfordert Autorität und Vertrauen. Doch diese Ressourcen werden rar. Das Prinzip der Repräsentation, Fundament unserer Republik, leidet am wachsenden Misstrauen derer, die sich nicht angemessen vertreten fühlen. Indem sie ihre Basis abstimmen lässt, erkauft sich das verunsicherte Führungspersonal Legitimation.

In einer parlamentarischen Demokratie spielen Parteien nur eine Nebenrolle. Sie wirken bei der politischen Willensbildung mit, mehr nicht. Souverän sind die Wähler, nicht die Parteimitglieder. Bei der SPD dürfen jetzt Leute über die Zukunft des Landes entscheiden, die nicht einmal ein Wahlrecht besitzen. An sie wird eine staatspolitische Entscheidung delegiert, die nur gewählten Abgeordneten zusteht. Die vertreten das ganze Volk, nicht nur Interessen einzelner Parteien. Was ist, wenn die Regierung Dinge entscheiden muss, die im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen sind? Will die SPD dann auch erst ihre Mitglieder befragen? Teilhabe ist ein löbliches Prinzip. Doch es kann die Regierungsfähigkeit hemmen. Das wiederum schadet dem Ansehen der Politik. Auch ein Übermaß an Demokratie kann die Demokratie gefährden.