Der SPD-Parteitag hat mit knapper Mehrheit für die Aufnahme von offiziellen Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt – zugleich aber zusätzliche Bedingungen dafür formuliert. Nicht nur daran könnte die dritte Groko seit 2005 theoretisch immer noch scheitern.

Bonn - Der SPD-Parteitag hat mit knapper Mehrheit für die Aufnahme von offiziellen Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt . Woran es jetzt noch scheitern könnte, lesen Sie hier:

 
Welche Dinge will die SPD noch durchsetzen?
Im Leitantrag, der den Weg für die Koalitionsverhandlungen frei gemacht hat, heißt es, das Sondierungsergebnis sei in Teilen „unzureichend“. Nachgebessert werden soll in drei Bereichen, zum Beispiel im Gesundheitsbereich, auch wenn die Einführung einer Bürgerversicherung und der damit verbundenen Abschaffung der privaten Krankenversicherung in den Sondierungen nicht durchgesetzt werden konnte: „Wir geben das Ziel, die Zweiklassenmedizin abzubauen, nicht auf“, erklärte SPD-Parteichef Martin Schulz. Unterhalb der Schwelle einer Bürgerversicherung nennt der Leitantrag eine gerechtere Honorarordnung für Krankenversicherte und die Öffnung der gesetzlichen Krankenkassen für Beamte. Die SPD beharrt zudem darauf, dass befristete Arbeitsverhältnisse die Ausnahme sein müssten. Der dritte Punkt betrifft die Flüchtlingspolitik. Die Genossen wollen erreichen, dass es beim Nachzug von Familienmitgliedern subsidiär, also nur vorübergehend geschützter Flüchtlinge noch zu einer Härtefallregelung kommt. Bisher ist im Sondierungspapier eine starre Höchstzahl von 1000 Angehörigen festgeschrieben – im Gegenzug entfällt die freiwillige Aufnahme von Asylbewerbern aus Griechenland und Italien in derselben Größenordnung. „Da muss sich die Union bewegen“, sagte Schulz. „Die Härtefallregelung wird kommen.“
Welche weiteren Ziele verfolgt die SPD?
Die SPD-Führung hat dem Parteitag versprochen, dass die nach der Wahlschlappe zugesagte Erneuerung auch in Regierungsverantwortung weitergehen soll, unter anderem über eine Parteireform im nächsten Dezember. Daneben soll aber auch ein neuer Geist in der neuen Groko entstehen, damit sie nicht ein Abklatsch der alten wird. Dazu soll das Kabinett Martin Schulz zufolge zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern bestehen, zudem sollen die Ministerinnen und Minister viel stärker als bisher das Gespräch mit den Bürgern suchen und „regelmäßig ins Land müssen“, wie der SPD-Vorsitzende erklärte.
Sind das rote Linien?
Der beim SPD-Parteitag beschlossene Leitantrag erhebt weitere Forderungen, erklärt diese aber nicht zu unumstößlichen Bedingungen. Es werden somit keine roten Linien für eine neuerliche Groko definiert, sondern lediglich Verhandlungsziele, die erreicht werden können oder nicht.
Werden CDU und CSU auf diese Forderungen eingehen?
Die Union hat vor dem SPD-Parteitag deutlich gemacht, dass mit ihr keine Neuverhandlung des Sondierungspapiers möglich sein würde. „Herbe Konzessionen“ seien bereits gemacht worden, hatte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel erklärt, möglich sei lediglich, einige Punkte noch „auszubuchstabieren“. Auch andere Christdemokraten stellten klar, dass lediglich noch Leerstellen gefüllt werden könnten bei Themen, die nicht Gegenstand der kurzen Sondierungsgespräche waren.
Warum sind manche in der Union kompromissbereiter als andere?
Auch für die CDU steht sehr viel auf dem Spiel – nicht zuletzt die Kanzlerschaft ihrer Parteichefin, deren unionsinterne Kritiker ihre erneute Spitzenkandidatur bei Neuwahlen infrage stellen könnten. „Wir werden uns bei einem ,Ja, aber‘ der SPD ganz genau anschauen, wie groß dieses ,Aber‘ ist“, hieß es deshalb schon zuvor im CDU-Präsidium. Vor allem die Schwesterpartei CSU, aber auch konservativere Kräfte in der CDU rund um Präsidiumsmitglied Jens Spahn dürften jedoch in der Sache hart bleiben, ohne Rücksicht darauf, was das für Merkels politische Zukunft heißt.
Welche Punkte sind für die Union kritisch?
Alle Fragen rund um das Thema Zuwanderung, bei dem sich CDU und CSU selbst erst nach der Bundestagswahl auf eine gemeinsame Position verständigen konnten, sind für die Union heikel. „Beim Familiennachzug haben wir nach den Sondierungsgesprächen bereits einen detaillierten, ausverhandelten Koalitionsvertragstext vorliegen – da können wir nichts mehr ändern, sonst fangen wir praktisch wieder von vorne an“, erklärt CDU-Vize Thomas Strobl. EU-Kommissar Günther Oettinger, der am Sonntag an CDU-internen Beratungen teilnahm, sieht das ähnlich. „Beim Familiennachzug ist bereits eine konkrete Zahl vereinbart – da können wir die Beratungen nicht neu eröffnen.“ Selbst kleine Schritte in Richtung Bürgerversicherung gelten in seiner Partei als No-Go. „Eine Bürgerversicherung light oder einen Einstieg in die Einheitskasse wird es mit der CDU nicht geben“, so Baden-Württembergs stellvertretender Ministerpräsident: „Wir können in Koalitionsverhandlungen gerne darüber reden, wie wir unser Gesundheitssystem noch besser machen – etwa indem wir die Wartezeiten bei Fachärzten verkürzen oder die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen.“ Am ehesten könnte gegenüber der Union ein Ende sachgrundloser Befristungen durchsetzbar sein – hier gibt es bei den drei genannten Punkten am wenigsten Widerstand.
Kann der SPD-Mitgliederentscheid die Groko noch verhindern?
Die Koalitionsverhandlungen sollen zwei bis drei Wochen dauern, über einen fertigen Koalitionsvertrag sind nun alle rund 460 000 SPD-Mitglieder zur Abstimmung aufgerufen. Etwa drei Wochen soll es dauern, bis das Ergebnis des Votums feststeht. In der Partei galt es als allgemein anerkannte Tatsache, dass der Parteitag die größere Hürde für eine große Koalition sein würde – ausgeschlossen ist ein mehrheitliches Nein der Mitglieder aber natürlich nicht. „Wenn man sieht, wie knapp das Ergebnis war und wie viele Amtsträger der SPD unter denen waren, die mit Ja gestimmt haben, ist eine Mehrheit der Mitglieder noch nicht garantiert“, meint CDU-Mann Oettinger, „da muss die SPD-Spitze noch Überzeugungsarbeit leisten.“ Sollte die Basis wie der Parteitag mit Ja stimmen, soll bis Ostern eine Regierung gebildet werden.