SPD und FDP fordern Ministerentlassung Lucha wird in die Defensive gedrängt

Minister Lucha reagierte auf den Absetzungsantrag sichtlich angefressen. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Einen Rücktrittsantrag von SPD und FDP gegen den grünen Sozialminister hält Ministerpräsident Kretschmann für „abwegig“. Folgen könnte er trotzdem haben.

Eine leichte Zornesröte war in seinem Gesicht erkennbar und seine Gestik und die Lautstärke seiner Worte sprachen Bände: Manfred Lucha (Grüne), seit sechs Jahren Sozial- und Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, ist angefressen - und das nicht nur wegen einer überstandenen Corona-Erkrankung. Vor der Landespressekonferenz musste er sich am Dienstag zum Rücktrittsantrag von SPD und FDP äußern, den die beiden Landtagsfraktionen am Donnerstag gegen ihn im Parlament stellen wollen. Nicht ob des Ausgangs des Verfahren ist Lucha besorgt – die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit wird selbst mit der AfD nicht zustande kommen – verärgert ist er über die fehlende Anerkennung seiner Arbeit. Er sei mit seinem Team im Ministerium während der Pandemie manchmal sieben Tage rund um die Uhr im Einsatz gewesen, er habe seine Rolle „an der Spitze“ darin gesehen, Identität zu stiften und die Integrität im Hause herzustellen, die Krise zu meistern und ein „sauberes und bedarfsgerechtes Gesundheitssystem“ zu steuern. „Ich bin da Überzeugungstäter“, sagt Lucha.

 

Bald der Dienstälteste unter den Gesundheitsministern

Im übrigen werde er nach dem Ausscheiden von Saarlands Gesundheitsministerin Bachmann der dienstälteste Gesundheitsminister Deutschlands sein, und der Ampel-Koalitionsvertrag trage seine Handschrift bei den Gesundheitsthemen. Ganz so schlecht, so die Botschaft, könne sein Wirken nicht sein, und er habe „Resilienz“ gegen die Kritik entwickelt. Außerdem sagt Lucha: „Solange der Ministerpräsident sagt, schaffe weiter, schaffe ich weiter.“

Ein Fehler in der Kommunikation

In der Tat hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dem Minister kurz zuvor die Absolution erteilt. „Baden-Württemberg hat in der Krise nicht schlechter da gestanden als andere. Der Gesundheitsminister hat einen guten Job gemacht.“ Einer Entlassung müsse ein schwerwiegendes Vergehen zugrunde liegen, ein Fehler, mit dem Schaden angerichtet worden sei. Das sei in dem von der Opposition vorgebrachten Vorwurf – dass Lucha zur Unzeit das Ende der Pandemie ankündigte – nicht der Fall. „Das war ein Fehler in der Kommunikation.“ Der Entlassungsantrag sei abwegig: „Ich werde dem nicht nachkommen.“

Eine Liste der Pannen und Pleiten

Die Opposition sieht das anders. Auf einer Pressekonferenz begründeten die Fraktionschefs Hans-Ulrich Rülke (FDP) und Andreas Stoch (FDP) ihren Antrag: „Die Politik von Lucha ist eine Serie von Pannen, Pech und Pleiten, wie sie in der jüngeren Geschichte des Landes einmalig ist“, meinte Stoch. Es sei das erste mal in sechs Jahren, dass man mit der FDP einen Entlassungsantrag stelle, das sei wohl überlegt gewesen. Es liege dem „eine gewisse Schwere“ des Vorwurfs zugrunde. Lucha habe viele Fehler gemacht, Baden-Württemberg habe eine der schlechtesten Impfquoten, die Altenheime seien ungenügend geschützt worden und ein Brief Luchas an den Bundesgesundheitsminister im März, in dem schon vom Ende der Pandemie die Rede war, „war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“

Der Fachminister tue Dinge, die der Ministerpräsident nicht wisse und sei schon öfter zurückgepfiffen worden. „Lucha hat eine miserable Bilanz, wir brauchen einen, der es besser macht.“ Auch Rülke sieht das so, die FDP-Fraktion habe sich einstimmig für den Entlassantrag ausgesprochen: „In dem Moment, wenn der Ministerpräsident in Berlin für seinen strengen Kurs hofiert, lockern zu wollen, das zeigt nur eins: Lucha hat nicht verstanden, dass der Ministerpräsident die volle Richtlinienkompetenz hat.“ Der Autoritätsverlust Luchas sei so groß, dass die Politik daran schaden nehmen könne. Gleichwohl sagte Rülke, dass die FDP eigentlich froh über den Lockerungskurs sei. „Wir werfen Lucha keine inhaltliche, aber eine politische Fehlleistung vor.“

SPD und FDP listen diverse Versäumnisse Luchas auf: So habe der Minister in der zweiten Welle der Pandemie die Testpflicht in Altenheimen zu spät umgesetzt und die Öffentlichkeit über die Todeszahlen in Heimen falsch informiert. Er sei im Februar für den Ankauf von Millionen fehlerhafter Masken zuständig gewesen. Die Impfkampagne sei von einer „chaotischen Terminvergabe, besetzten Hotlines und kurzfristig abgesagten Terminen wegen ausbleibender Impfstofflieferungen“ geprägt gewesen. Impfzentren seien zu früh geschlossen worden, und Lucha sei verantwortlich für eine mangelhafte Teststrategie in Schulen sowie rechtliche Fehler in Corona-Verordnungen.

Selbst wenn der Entlassungsantrag nicht durchkommt, langfristig könnte er wirken. So erinnerte Rülke daran, wie Andreas Stoch 2013 unter Grün-Rot ins Amt des Kultusministers gekommen war. Dessen überforderte Vorgängerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) war zuvor zurückgetreten. Dem war zwei Wochen zuvor ein Entlassungsantrag der Opposition vorausgegangen, den Grün-Rot zwar niederstimmte, der den Druck auf die Ministerin aber stark erhöhte.

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