Die Initiative Unsere Zukunft veranstaltet auf dem Marienplatz in Stuttgart-Süd öffentliche Diskussionen. Die jungen Macher wollen die politische Debatte beleben und kultivieren. Und sie wollen die Menschen für die Belange ihrer Stadt interessieren.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Süd - Es ist nicht auf Anhieb ersichtlich, wohin die Initiative „Unsere Zukunft“ will. Es fehlt an plakativen Thesen, und sie fügt sie nicht recht in eine ideologische Schublade. „Unsere Zukunft“ ist subtil, ein bisschen komplex, jung und ziemlich offen. Dabei hat alles mit einer einfachen Frage angefangen: „Willst du mit mir die Welt retten, Sophia?“

 

Sophia Eißler fiel die Antwort nicht schwer. Die junge Frau hatte gerade nichts Besseres zu tun: Eben erst war sie von einem Hilfseinsatz in der Türkei zurück und hatte noch keinen Plan, was sie als nächstes Gutes tun könnte. Der Weltrettungsvorschlag von Steffen Schuldis kam ihr da sehr zu pass: „Bin dabei!“

Kennen gelernt haben sich Eißler und Schuldis bei der Balkanroute – einem Hilfsprojekt, das Schuldis mit Freunden vor etwa zwei Jahren auf die Beine gestellt hat. Sie brachten Hilfsgüter zu Flüchtlingen, die auf der Balkanroute in Camps gestrandet waren. Eißler half im türkischen Çesme mit, Kleidung zu sortieren, Pakete zu packen und auszufahren. „Es gibt nichts, was mich so erfüllt, wie etwas für benachteiligte Menschen zu tun“, sagt die 20-Jährige. Steffen Schuldis war es irgendwann nicht mehr genug, Hilfsgüter herumzukarren, den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein zu geben. „Wir bekämpfen so nur die Symptome! Man muss den politischen Rahmen verändern. Wir müssen die die Fluchtursachen bekämpfen“, sagt der 30-Jährige. Mit einem politischen Mandat ließe sich mehr ausrichten.

So kam Schuldis auf den Gedanken, bei der Bundestagswahl zu kandidieren. Er erhielt 327 Stimmen, für den Einzug in den Bundestag hat das bei weitem nicht gereicht. Schuldis, der als Innovationsmanager in der Automobilindustrie beschäftigt ist, hatte sich für die letzten beiden Wahlkampfmonate freistellen – obwohl ihm bewusst war, dass er damit seine bislang erfreuliche Karriere im Konzern beerdigen würde: „Wer in einem Cooperate-Umfeld signalisiert, dass er noch andere Spielfelder hat, ist raus.“ Dabei hatte die Initiative schon vor Wochen deutlich gemacht, „unsere Priorität liegt nicht auf Wahlsieg“. Und deshalb werden Eißler, Schuldis und noch eine Hand voll Unterstützer mit der Initiative „Unsere Zukunft“ weitermachen und den öffentlichen Diskurs schüren.

Lässt sich mit all dem die Welt retten? Jein. Eißler und Schuldis ist klar, dass sie mit ihren Speaker’s Corners und den Open-Mic-Veranstaltungen auf dem Marienplatz weder Krieg noch Armut aus der Welt schaffen. Aber sie hoffen so, im lokalen Rahmen aufzeigen zu können, dass Politik ein Prozess ist, in den man sich einmischen kann, dass sich politische Gestaltungsmöglichkeit keineswegs im Urnengang erschöpft und vor allem: dass es sicht lohnt.

In der Tat sprechen die Redner bei den Speaker’s Corners – ob es nun ums Radfahren, um Bildung, oder ums Rosensteiquartier geht – im Kern alle davon, politische Prozesse mitzugestalten. Dieses Prinzip gilt nach Ansicht der Initiative keineswegs bloß lokal, sondern auch, wenn es um die großen Fragen geht – um Rüstungsexporte, Bundeswehrmandate, Zuwanderung. Die Speaker’s Corners ist gewissermaßen die Graswurzel-Variante davon.

Auf den Veranstaltungen der Initiative trifft man auf ein eher links-alternatives Publikum unterschiedlicher Altersstufen, das den Rednern wohlwollend gesinnt ist. Nach Open-Mic, also für alle offenen Mikrofon klingt das nicht. Sortieren die Veranstalter also AfD-Leute und andere Unliebsame aus? „Haben wir nicht, weil sich keiner gemeldet hat. Würden wir aber auch nicht“, sagt Schuldis.

Man pflege eine politische Kultur, in der jeder reden darf, auch ein Rechter, vorausgesetzt, „er hat eine gute Idee, die er präsentieren will“, so Schuldis. Das Zuhören und interessierte Nachfragen sei in der politischen Debatte abhanden gekommen. Natürlich hatten sie schon Pöbler bei Veranstaltungen. Er versuche, diese Wut-Bürger zu verstehen. „Nur so kommen wir auf eine andere Ebene. Wenn du nachhakst, weshalb einer genervt ist von der Stadt, erzählt er dir zum Beispiel, dass er enttäuscht war, weil er als Bürger bei der Gestaltung des Marienplatzes nicht eingebunden wurde. Da ist Vertrauen verloren gegangen. Immerhin erzählt er davon. Der Mann ist nicht verloren, den holen wir zurück!“

Politische Formate im öffentlichen Raum, sagt Schuldis, „sollten in Stuttgart so normal werden – wie das ,Tatort‘-Gucken am Sonntagabend.“ Foren wie Facebook seien kein Ersatz, meint Eißler. „Dort wären die Debatten schnell unter die Gürtellinie gegangen.. Wenn du jemandem in die Augen schauen musst, dann empfindest du einfach mehr Empathie und Respekt.“