Im Zementwerk der Firma Schwenk in Mergelstetten soll künftig CO2 eingefangen werden – der Plan, damit Kerosin zu produzieren, ist aber vom Tisch. Foto: imago images/onw-images
Baden-Württemberg wollte einmal Vorreiter darin sein, aus Kohlendioxid klimafreundliche Treibstoffe zu machen. Doch die beiden geplanten Anlagen werden nicht gebaut.
Vor fünf Jahren war Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) geradezu euphorisch gewesen – in Heidenheim-Mergelstetten sollte aus Kohlendioxid, das in einem Zementwerk entsteht, klimafreundliches Kerosin für den Flughafen Stuttgart hergestellt werden. Kretschmann sagte damals: „Das klingt nach einem schwierigen und außergewöhnlichen Vorhaben. Und das ist es auch. Aber gerade deshalb ist es bei uns in Baden-Württemberg genau richtig.“
So ganz richtig war es nun doch nicht. Denn die Idee, aus schädlichem Kohlendioxid nützliches Flugbenzin zu machen, ist mittlerweile klammheimlich abgeblasen worden. Das liegt aber weder an den beteiligten Zementfirmen wie Schwenk und Heidelberg Materials und schon gar nicht an Winfried Kretschmann, sondern an der EU: Vor zwei Jahren legte eine Verordnung fest, dass bis 2050 E-Fuels 70 Prozent weniger Treibhausgase enthalten müssen als fossile Brennstoffe. Das wiederverwendete CO2 etwa aus der Zementindustrie darf dabei ab 2040 nicht mehr angerechnet werden, weil es nur nochmals als Benzin zwischengenutzt wird – am Ende wird aber gleich viel CO2 frei.
Statt der Produktion von E-Fuels wird das CO2 nur eingefangen
Aus diesem Grund, so erklärt es die Sprecherin Wenke Böhm vom Verkehrsministerium, hätte sich das Projekt in Mergelstetten nicht mehr gerechnet, der Abschreibungszeitraum wäre zu kurz gewesen. Ganz aufgegeben wurde das Projekt „Catch4climate“ aber nicht. Es soll jetzt zumindest eine Pilotanlage zur Abscheidung von CO2 gebaut werden. Ob das Kohlendioxid später irgendwo unter der Erde oder unter dem Meer gespeichert wird oder doch noch irgendwie genutzt wird, ist offen.
Die Dimension der Anlage in Mergelstetten hätte es übrigens in sich gehabt: 50.000 Tonnen Kerosin sollten eigentlich ab diesem Jahr per annum produziert werden. Die derzeit größte Anlage Deutschlands in Höchst bei Frankfurt am Main bringt es auf 2500 Tonnen.
Und auch ein zweites Projekt im Südwesten ist nicht verwirklicht werden. Die Raffinerie Miro in Karlsruhe plante eine gleich große Anlage. Aber die Investitionen seien einfach zu hoch, erklärt Miro-Sprecherin Yvonne Schönemann jetzt; und auch sie verweist auf die schwierigen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Schönemann fügt einen wichtigen Satz hinzu: „Bereits heute sind uns die EU-Nachbarn weit voraus.“
In Brevik in Norwegen ist die weltweit erste Anlage zur CO₂-Abscheidung und -Speicherung im industriellen Maßstab in der Zementindustrie entstanden. Foto: Heidelberg Materials
Immerhin ist in diesem Jahr eine weltweit einzigartige Anlage in Mannheim in Betrieb gegangen. In der dortigen Kläranlage wird Biogas gewonnen, daraus wird das CO2 herausgelöst und in Verbindung mit Strom und Wasserstoff zu „e-Methanol“ umgewandelt. Es wird als Treibstoff für Schiffe verwendet. Bei CO2 aus Biogas gilt das künftige Verbot der EU nicht. Und gleich um die Ecke, in Kirchheim/Teck, hat der umtriebige Bauschuttunternehmer Walter Feeß eine Anlage errichtet, die CO2 in Altbeton bindet. Daneben verweist Wenke Böhm auf einige Forschungsprojekte.
Interessant ist, dass eine der aktivsten Firmen in diesem Segment der CO2-Nutzung für E-Fuels in Karlsruhe ansässig ist, ihre Projekte aber weitgehend anderswo in Deutschland und Europa umsetzt. Das Unternehmen Ineratec ist eine Ausgründung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), die genannte Anlage in Höchst wurde ebenfalls von Ineratec gebaut. Auch dieser Komplex ist erst im Juni, mit drei Jahren Verspätung, eingeweiht worden. Die Sprecherin Isabel Fisch begründet dies damit, dass der Förderbescheid über das Umweltinnovationsprogramm erst Ende 2022 eingetroffen war. Dort wird ebenfalls Biogas als CO2-Quelle genutzt.
CO2 auch im Südwesten im Untergrund speichern?
Insgesamt ist Baden-Württemberg also bei der Nutzung von Kohlendioxid noch kaum in Gang gekommen, und auch bei der Speicherung steht man noch ganz am Anfang. Die Anlage in Mergelstetten ist ein Lichtblick. Dass im Südwesten CO2 im Untergrund gespeichert wird, ist dagegen noch völlige Zukunftsmusik. Vor einem knappen Jahr hat das Land ein Positionspapier herausgegeben, und darin heißt es: „Für Baden-Württemberg liegt aktuell keine fundierte Bewertung der Potenziale der CO2-Speicherung vor.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. Grundsätzlich denkbar seien Speicherorte wie erdöl- und erdgasführende Schichten sowie tiefe salzwasserführende Grundwasserleiter im Oberrheingraben sowie im Molassebecken südöstlich der Donau.
Carola Seelmann beobachtet die Entwicklungen in Baden-Württemberg genau. Sie ist gemeinsam mit ihrem Kollegen Robin Koch bei der Landesagentur für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz für das Carbon Management zuständig. Sie hofft, dass die Bundesregierung jetzt bald das schon länger diskutierte Gesetz zur Kohlendioxidspeicherung beschließt; der Entwurf wurde vor wenigen Tagen abgesegnet. Dann könnten Lagerstätten in der Nordsee erschlossen werden; ob auch welche an Land genutzt werden, entscheiden die Bundesländern selbst. Der Südwesten ist weiteren Prüfungen gegenüber jedenfalls nicht abgeneigt, so Claudia Hailfinger vom Umweltministerium.
Mit dem Bundesgesetz sei jedenfalls sehr viel mehr möglich als bisher, so Seelmann. Nordrhein-Westfalen plane etwa schon eine Pipeline, um Kohlendioxid transportieren zu können – daran müsse Baden-Württemberg möglichst bald angeschlossen werden. Daneben müsse auch die Förderung ausgebaut werden, damit Projekte in die Wirtschaftlichkeit rutschten.
Führend bei der Speicherung ist in Europa Norwegen. Laut dem Global CCS Institute sind dort schon zwei Speichersysteme in Betrieb; pro Jahr können dort zusammen 1,7 Millionen Tonnen CO2 eingelagert werden. Erst im Juni eröffnete zudem eine Anlage in einem Zementwerk in Brevik bei Oslo, die 400.000 Tonnen CO2 pro Jahr herausfiltern kann. Das Werk gehört dem deutschen Baustoffhersteller Heidelberg Materials. Das eingefangene Kohlendioxid macht die Hälfte der dortigen CO2-Emissionen aus; es wird verflüssigt, an die norwegische Westküste verschifft und per Pipeline in eine Lagerstätte unter der Nordsee gepresst. Just dieser Tage wurde die erste Ladung aus Brevik von der Firma Northern Lights in einem Hohlraum 2600 Meter unter dem Meeresboden eingelagert.
Daneben gibt es laut dem Institut in Europa schon eine weitere größere Anlage in Ungarn und zwei kleinere in Island. Zehn weitere sind in Europa in Bau, darunter die Niederlande mit fünf Anlagen und Dänemark mit zwei. Die Hohlräume aus leergeräumten Gas- und Ölfeldern in der Nordsee stehen dabei ganz besonders im Fokus. Deutschland erscheint in den Tabellen des Instituts unter ferner liefen. Es gibt nirgendwo eine „fortgeschrittene Planung“. Nur im Stadium der „frühen Planung“ werden zehn deutsche Projekte erwähnt.
Nur unvermeidbares Kohlendioxid soll gespeichert werden
Grundsätzlich ist es umstritten, ob die Speicherung von Kohlendioxid und die Nutzung für E-Fuels sinnvoll ist. Kritiker sagen, damit nehme man den Druck von den Unternehmen, klimaneutrale Lösungen zu entwickeln. Auch Umweltministerin Thekla Walker (Gründe) findet, die Speicherung soll vor allem jenen Branchen ermöglicht werden, die ihre Emissionen selbst bei bestem Willen und bester Technik nicht ganz vermeiden können. Dazu gehört die Zementindustrie, aber auch die Glasproduktion, Teile der chemischen Industrie sowie Raffinerien. Der Gesetzentwurf des Bundes ist jedoch offener formuliert, auch die Stahl- und Gaskraftwerkindustrie könnten profitieren.
Damit Baden-Württemberg wie geplant 2040 klimaneutral wird, müssten allein bis 2030 rund 4,4 Millionen Tonnen CO2 gespeichert werden, rechnet Claudia Hailfinger vom Umweltministerium vor: „Das ist ein sehr hohes Ambitionsniveau.“ Man könnte auch sagen: Es ist fast unmöglich angesichts des derzeitigen Ausbaustands im Südwesten.