Spektakuläre Überfälle vor 250 Jahren Die Räuber vom Mainhardter Wald

Das Laienschauspiel Mainhardter Wald führt zurzeit das Stück „Der Aufstand im Mainhardter Wald“ auf, das die Vorgeschichte der Räuberbande erzählt. Foto: Gottfried Stoppel

Vor 250 Jahren flog eine der größten Diebesbanden im Südwesten auf. Die Archivarin Heike Krause hat die Hintergründe erforscht.

Der Hunger herrscht seit mehr als zwei Jahren. Missernten setzen den Bauern in dem dicht bewaldeten Gebiet, das seine Bevölkerung ohnehin mehr schlecht als recht ernährt, mächtig zu. Wie Johann Martin Haas versuchen viele, sich mit kleineren Diebstählen über Wasser zu halten. Etwas Dinkel, ein Hemd und eine Flinte – viel mehr ist es nicht, was der junge Haas an diesem Apriltag in Jagsthausen an den Mann bringen will. Diebesgut, das sich der 19-Jährige kurz zuvor im benachbarten Olnhausen unter den Nagel gerissen hat. Doch der Versuch, die Beute zu Geld zu machen, scheitert kläglich. Der Knecht vom Gögelhof bei Mainhardt wird geschnappt und in Arrest genommen.

 

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnt: Johann Martin Haas ist Mitglied einer der größten Räuberbanden, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im territorial zersplitterten deutschen Südwesten ihr Unwesen treiben und als die „Räuber vom Mainhardter Wald“ in die Regionalgeschichte eingehen werden. Seine Inhaftierung bringt 1772, vor genau 250 Jahren, einen Stein ins Rollen, der am Ende 19 von mindestens 68 Bandenmitgliedern den Kopf kostet.

Im Kerker von Maienfels, wohin Haas überstellt wird, gesteht er nicht nur weitere Diebstähle, sondern nennt auch die Namen von rund 60 Personen, die angeblich zur Bande gehören. Um den jungen Mann gefügig zu machen, genügt es, ihn mit den Folterinstrumenten zu konfrontieren. Noch immer gilt die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, die regelt, wie Geständnisse aus Angeklagten zu pressen sind. Bis 1773, so ist in Akten aus dem Hohenlohe-Zentralarchiv überliefert, werden daraufhin 39 „Complices“ in Maienfels und Pfedelbach eingekerkert und wird ihnen der Prozess gemacht.

Überfälle auf Postkutschen

„Die Männer gehören der damaligen Unterschicht an“, sagt Heike Krause, Archivarin in Gaildorf und Mainhardt. Sie hat über die Räuber vom Mainhardter Wald und ihre Vorgeschichte geforscht. Bauern, kleine Handwerker, Knechte, Viehhirten, die nicht selten im Nebenerwerb noch Tagelöhner und vor allem Salzträger im Dienst der nahen Reichstadt Schwäbisch Hall sind. Letzteres ist für die Geschichte des Räuberwesens im Schwäbisch-Fränkischen Wald und in Hohenlohe von großer Bedeutung. „Denn die meisten Räuber wurden über die Salzträger, die weit herumkamen, angeworben“, sagt Krause.

Auch wenn die überwiegende Zahl der Delikte kleinere Viehdiebstähle oder Wildereien sind – auf dem Kerbholz der Mainhardter Räuber stehen auch einige spektakuläre Überfälle auf Postkutschen und Geldboten. „Die Räuber haben ihre Straftaten fast immer in benachbarten Ämtern begangen, weil man sie in ihren Heimatdörfern rund um Mainhardt zu gut kannte“, erklärt Krause.

31 „Maleficanten“ sollen 1768 an einem Postkutschenüberfall an der Cröffelbacher Steige nahe Schwäbisch Hall beteiligt gewesen sein. Die Beute: gut 400 Gulden. Wie so manch anderer Coup der Bande wird auch dieser im Haus des Metzgers, Wirts, „herzoglich-württembergischen Zollers“ und Richters Heinrich Weiß auf dem Waspenhof bei Mainhardt ausgeheckt. Ob der zur Honoratiorenschicht gehörende Weiß tatsächlich der Räuberhauptmann war, wie viele der Angeklagten aussagen, ist laut Krause unklar. „Sicher ist, dass er wie auch der sogenannte Sternen-Wirt als Hehler an den Räubern verdient hat.“ Aufgrund seiner Beziehungen kommt der wohlhabende Weiß ungeschoren davon.

Überfall auf eine Gastwirtschaft

Den nachweislich ersten Mord begehen die Räuber am Schultheiß von Rielinghausen, den Martin Haas zuvor „in Sulzbach schon ganz betrunken angetroffen“ hat. In einem Waldstück zwischen Oppenweiler und Strümpfelbach lauern am Abend des 24. Mai 1768, nur eine Woche nach dem Postkutschenüberfall, die Wegelagerer dem Schultheiß auf. Er trägt 100 Reichstaler bei sich. Doch der Schultheiß zeigt sich stur, weshalb die Räuber Gewalt anwenden und den Betrunkenen in einen Graben werfen. Dort findet man ihn kurz darauf mit dem Kopf nach unten im Morast erstickt.

Weitere Raubmorde folgen: Bei einem Überfall auf einen Geldboten bei Grab erschlagen die Täter das Opfer mit einem Beil. 1769 müssen zwei Metzger bei Sulzbach ihr Leben lassen, 1770 stirbt ein weiterer Mann bei Gaildorf. Am weitesten weg von ihrem Räubernest führt die Bande 1772 der Überfall auf eine Postkutsche bei Germersheim in der Pfalz.

Der erste archivarisch belegte Überfall gilt einer Gastwirtschaft in Tüngental bei Hall bereits im Jahr 1760. Der Raubgeselle Caspar Wieland erklärt nach seiner Verhaftung mehr als zwölf Jahre später, dass an diesem Raubzug bereits 19 Männer beteiligt gewesen seien, „zum Teil mit Gewehren und großen Metzelmessern versehen“. Das Datum ist bedeutend: Denn im Zuge der Arbeit an einer wissenschaftlichen Publikation über die Geschichte Mainhardts hat die Archivarin Heike Krause als Erste die Zusammenhänge zwischen einer Volksrebellion in den Jahren 1746 bis 1755 und dem Auftauchen der Räuber im Mainhardter Wald nur fünf Jahre später aufgezeigt. „Rädelsführer dieser Revolte gegen den Fürsten von Hohenlohe-Bartenstein oder deren Söhne tauchen später wieder als Mitglieder der Räuberbande auf“, sagt Krause.

Der Fürst lässt es sich gut gehen

Was war damals geschehen? Durch Aussterben der protestantischen Linie derer von Hohenlohe-Pfedelbach war die Grafschaft 1728 an die katholische Linie Hohenlohe-Bartenstein gefallen. 1745 übernahm der Geistliche Joseph von Hohenlohe-Bartenstein durch Erbschaft dann die Herrschaft Pfedelbach. „Dieser Fürst, der auch das berühmte Pfedelbacher Fürstenfass in Auftrag gab, führte einen überaus kostspieligen Lebenswandel“, sagt Krause – zulasten der ohnehin immer schon vergleichsweise armen Bevölkerung des Landstrichs. Bereits in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts hatten zudem die Abgaben zur Finanzierung des sogenannten Russisch-Österreichischen Türkenkriegs die Steuerlast empfindlich erhöht.

Als der Landesherr 1745 verfügte, dass statt des üblich zu leistenden Frondiensts jeder Bewohner des Amts Mainhardt ein Dienstgeld zu zahlen hatte, war das Fass voll. Gegen die Geldeintreiber des Fürsten gingen die renitenten Mainhardter zum Teil gewaltsam vor. Es kam in der Folge, so fand Krause heraus, zu ersten heimlichen Zusammenkünften der Revoltierenden. Vergeblich warben die Rebellen sogar beim Kaiser in Wien um ihre Sache einer gerechten Besteuerung. Zuletzt wurde die Revolte 1755 durch Soldaten des Hohenloher Fürsten beendet. Die Folgen waren verheerend: Die Mainhardter, die sich zehn Jahre lang geweigert hatten, Steuern zu entrichten, mussten nun nachträglich eine Geldschuld von fast 11 000 Gulden begleichen. Hinzu kamen die sogenannten Exekutionskosten. „Die Schulden wurden in den folgenden 15 Jahren rigoros eingetrieben“, erklärt Heike Krause. Noch um 1770 schreibt der Amtmann Johann Jakob Steinbauer, die Schuldner könnten nicht bezahlen, da sie so verarmt seien, „daß selbe samt ihren Kindern oft 3 und mehrer Tag kein Brot haben“.

Vor allem aus Akten, die Krause im Archiv der Gemeinde Wüstenrot aufgestöbert hat, wurde deutlich, wie die Obrigkeit mit den in Pfedelbach und Maienfels ab 1772 inhaftierten Räubern verfahren ist. „Mit wenigen Ausnahmen wurden alle 19 später Hingerichteten zuvor gefoltert“, sagt Krause. So berichtete ein bei der Tortur durch den Scharfrichter beiwohnender Richter: „Diese unglücklichen Leute seien so erbärmlich tractiert worden. Der Gögelmännle seie 2mal an Stricken hinaufgezogen und ihm allemal 30 Pfund an jeden großen Zehen gehängt und derselbe so auseinandergezogen worden, daß man ihme das Herze im Leib klopfen sehen und ihm die Zehen heraus gerissen werden sollen.“

Die Täter werden zum Tode verurteilt

Einige der „Maleficanten“ versuchen, durch Selbstmord den Qualen zu entgehen. Andere gestehen auch Taten, die nie begangen wurden. 68 Namen von Bandenmitgliedern werden auf diese Weise aus den Gefangenen gepresst. Nicht wenige der Angeklagten sterben unter der Folter, bevor sie abgeurteilt werden. Die 19 zum Tode durch Enthaupten verurteilten Räuber werden am 9. März und am 18. Oktober in Pfedelbach sowie am 17. September 1773 in Maienfels aufs Schafott geführt. Anschließend werden deren Leichen aufs Rad geflochten und die Köpfe zur Abschreckung auf Pfähle gesteckt. 1773 wird noch nach 26 mutmaßlichen Bandenmitgliedern gefahndet.

Unter den zum Tode Verurteilten findet sich auch Johann Martin Haas wieder, der durch seine Aussage das Ende der Räuber vom Mainhardter Wald besiegelt hat. Der Knecht vom Gögelhof stirbt im Alter von 20 Jahren.

Theater Im Juni und Juli führt der Verein Laienschauspiel Mainhardter Wald das Stück „Der Aufstand im Mainhardter Wald“ auf, das die Vorgeschichte der Räuberbande erzählt. Die Termine finde Sie hier.

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