Die Kritik am Geschäft mit Agrarrohstoffen zeitigt Wirkung: Mehrere Finanzdienstleister bauen ihre einschlägigen Fonds um. Doch selbst Kritiker räumen ein, dass Börsen ohne Spekulanten nicht funktionieren können.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Stuttgart - Die Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam schlägt Alarm: „Die Zahl der Hungernden droht sprunghaft anzusteigen, wenn die Getreidepreise anhaltend hoch bleiben und die Politik nicht schnell und entschlossen handelt“, warnte jüngst die Oxfam-Agrarexpertin Marita Wiggerthale. Ausgelöst wurde der neuerliche Preisanstieg durch die extreme Trockenheit in den USA. Doch er heizt auch die Debatte über die Spekulation mit Agrarrohstoffen an.

 

Selbst Kleinanleger können auf steigende Lebensmittelpreise wetten – etwa indem sie in Fonds investieren, deren Wertentwicklung an die Kurse von Agrarrohstoffen gekoppelt ist. Nach heftiger Kritik an solchen Angeboten haben mehrere Banken reagiert: Diese Woche machte die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch bekannt, dass die Commerzbank alle Lebensmittel aus ihrem Rohstoff-Fonds ComStage ETF CB Commodity EW Index TR aussortiert hat.

LBBW will Fonds bis Jahresende umstellen

Bereits Ende Juni hatte die baden-württembergische Landesbank LBBW eine Umstellung ihrer Rohstoff-Fonds bis zum Jahresende angekündigt. Auch die Fondsgesellschaft der Sparkassen, die Dekabank, will Agrarrohstoffe noch in diesem Jahr aus ihren Finanzprodukten verbannen. Die Deutsche Bank hat ihre bestehenden Fonds bisher nicht angetastet, will aber vorerst auf die Schaffung neuer Anlageprodukte auf Basis von Grundnahrungsmitteln verzichten – was Foodwatch als unzureichend wertet.

Dabei ist der Organisation nicht daran gelegen, jegliche Aktivität von Banken auf den Rohstoffmärkten zu verdammen. Man habe keine Einwände dagegen, wenn beispielsweise die Commerzbank Landwirten weiterhin Absicherungsgeschäfte gegen Preisschwankungen bei Weizen ermögliche, sagte ein Foodwatch-Sprecher der Stuttgarter Zeitung. Solche Absicherungsgeschäfte bietet auch die LBBW nach Angaben ihrer Pressestelle weiterhin an.

Terminkontrakte sind Ursprung des Rohstoffhandels

Diese Geschäfte sind der Ursprung des Handels mit Agrarrohstoffen an den Finanzmärkten. Will ein Bauer im Frühjahr sicherstellen, dass er für seinen Weizen zum Zeitpunkt der Ernte im August einen Mindesterlös bekommt, kann er einen sogenannten Terminkontrakt abschließen. Mit diesem Vertrag verpflichtet er sich, nach der Ernte beispielsweise 100 Kilogramm Weizen für 100 Euro zu verkaufen.

Interessant wäre ein solches Angebot etwa für eine Brotfabrik, die für August einen höheren Weizenpreis erwartet. Behält der Fabrikbesitzer recht und die Kurse steigen auf 125 Euro, bekommt er das Getreide trotzdem für 100 Euro. Dem Bauern entgehen dann 25 Euro Gewinn. Auf der anderen Seite kann er aber schon im Frühjahr mit stabilen Einnahmen kalkulieren – denn wenn die Preise fallen sollten, bekäme er trotzdem 100 Euro ausgezahlt.

An solchen Geschäften können sich auch Investoren beteiligen, die weder Produzenten noch Abnehmer sind. Hier kommen die Banken ins Spiel. Rechnet ein Banker mit steigenden Getreidepreisen, kann er genau wie die Brotfabrik Terminkontrakte zum Kauf von 100 Kilogramm Weizen abschließen – obwohl er gar kein Getreide braucht. Um die offene Bestellung zu annullieren, muss der Banker zum Liefertermin ein Gegengeschäft abschließen: einen Kontrakt über den Verkauf von 100 Kilogramm Weizen. Ist der Preis bis dahin gestiegen, kassiert die Bank die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis.

Ganz ohne Spekulationen geht es nicht

Das Engagement der Banken ist also spekulativ – erfüllt aber nach Ansicht von Foodwatch durchaus eine wichtige Funktion: Erzeuger und Abnehmer von Agrarprodukten fänden an den Börsen nämlich nur dann genug Geschäftspartner, wenn sich auch Finanzinvestoren am Handel beteiligten, heißt es in einem Bericht der Organisation vom vergangenen Herbst. Spekulanten seien „in einer gewissen Anzahl unverzichtbar, damit Börsen überhaupt funktionieren können“.

Nach Auffassung der Verbraucherschützer hat die Spekulation aber exzessive Ausmaße erreicht. Inzwischen hätten „80 Prozent der Anleger in dem Bereich mit physischen Rohstoffen nichts zu tun“. Foodwatch fordert deshalb unter anderem, Versicherungen, Fondsgesellschaften und Stiftungen den Handel mit Agrarrohstoffen zu verbieten. Über ihre Lebens- oder Rentenversicherung profitieren auch viele Verbraucher indirekt von Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln – allerdings meist ohne es zu wissen.