Hilfe für den Nachbarn finanziert zum ersten Mal in seiner 52-jährigen Geschichte Lebensmittelgutscheine. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten können viele Menschen nicht mehr auffangen. Aber es gibt auch Tipps für den schlauen Einkauf.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Frisches Obst und Gemüse vermisst Alina (Name geändert) auf dem Speisezettel. „Wir kaufen nur alle zwei Wochen ein, und die frischen Sachen müssen ja schnell verbraucht werden.“ Die 22-jährige Studentin lebt zusammen mit ihren vier Geschwistern bei der Mutter. Von deren schmalem Gehalt als Altenpflegerin lebt die sechsköpfige Familie. Die Kinder haben zwar kleine Jobs, doch das, was sie vorher als Taschengeld hatten, fließt jetzt in die Miete. Zu allem Überfluss hat die Familie gerade jetzt, wo die Nahrungsmittelpreise im Vergleich zum Vorjahr um 20,3 Prozent gestiegen sind, eine Mieterhöhung erhalten.

 

Familien fehlen 50 Euro pro Woche

„Für immer mehr Familien stellt sich die Frage: essen oder heizen?“, sagt Klausjürgen Mauch. Er ist Bereichsleiter für die Jugendsozialarbeit bei der Evangelischen Gesellschaft (Eva). Genau 723 Menschen, die Beratungsangebote innerhalb der Eva-Jugendarbeit wahrnehmen, reicht das Geld nicht mehr, um Essen zu kaufen. Das ergab eine Umfrage, die Mauch kürzlich gemacht hat.

Zwischen 20 und 25 Euro fehlt bei Alleinstehenden pro Woche, bei Familien sind es bis zu 50 Euro. „Wir können nicht die komplette Teuerungsrate ausgleichen, aber wir können einen kleinen Ausgleich schaffen“, betont Mauch. Bei der Caritas ist es das gleiche Bild: Von 1000 befragten Klienten und Klientinnen der Beratungsstellen gaben 737 an, dass sie mit dem Haushaltsgeld nicht mehr auskommen. Bei Menschen mit einer Behinderung schlägt sich das in der gesellschaftlichen Teilhabe nieder. Man bleibt zu Hause, denn das Geld wird für Lebensmittel benötigt. Nachtisch oder Süßigkeiten sind gestrichen, sagt Johannes Rost vom Stiftungsmarketing der Caritas.

Die Tafelläden sind heillos überlastet

Hilfe für den Nachbarn finanziert angesichts der Teuerungsraten in diesem Winter erstmals in seiner 52-jährigen Geschichte Lebensmittelgutscheine für den Einkauf beim Discounter oder im Supermarkt. Die karitativen Partnerorganisationen der Spendenaktion wie die Eva und die Caritas geben sie an diejenigen aus, bei denen das Geld hinten und vorne nicht mehr reicht.

Hilli Pressel, Projektleiterin bei der Schwäbischen Tafel, lobt diese Initiative, denn die Tafeln kommen angesichts des Ansturms nicht mehr nach. Im Sommer waren es wegen des Ukraine-Kriegs doppelt so viele Kunden wie 2021. Die Öffnungszeiten wurden in allen Läden um eine Stunde verlängert, es wurden zusätzliche Kassen eingerichtet, und eingekauft werden kann nur noch jeden zweiten Tag. Die Warenvielfalt in den Tafelläden ist heute bescheidener als früher. „Bei unseren Touren zu den Geschäften bekommen wir weniger Waren“, berichtet Hilli Pressel. „Mal haben wir eine Gurkenschwemme, dann wieder gar kein Gemüse.“ Wem für das Baby die Windeln fehlen, wer Gemüseeintopf für eine Großfamilie kochen will oder Brot für hungrige Teenagersöhne braucht, der würde bei der Tafel unter Umständen umsonst anstehen. Dort gibt es heute dies und morgen das. Mit einem Einkaufszettel kommt man dort nicht weit.

Das Einkaufsverhalten ändern

Zu einem Einkaufszettel rät in der jetzigen besonderen Situation aber die Ernährungsberaterin Andrea Saussele. Sie leitet Kurse in der Straßenuniversität Stuttgart der Neuen Arbeit. Dort erfahren Menschen mit kleinem Geldbeutel, wie sie sich dennoch gesund ernähren können. „Das gehört bei uns in der Mobilen Jugendarbeit jetzt ebenfalls fest dazu, denn viele kommen hungrig zu den Treffen“, berichtet Mauch. Deshalb wird im Treffpunkt in der Hirschstraße gemeinsam eingekauft und gekocht.

Die aktuelle Situation zwingt viele zu einer Änderung des Einkaufsverhaltens, und das kann positive Aspekte haben, findet Andrea Saussele: Auf teure Fertiggerichte verzichten, Grundnahrungsmittel in günstigeren Großpackungen kaufen, Gemüse und Obst der Saison bevorzugen: Karotten, Kohl, Äpfel und vor allem weitgehend auf Fleisch verzichten. „Weniger ist mehr, dann kann man es auch beim Metzger kaufen“, rät sie. Außerdem gibt es verschiedene Apps, über die man umsonst an gute Lebensmittel kommen kann, die sonst im Müll landen würden. Das Portal Too good to go zeigt an, in welchen Restaurants, Cafés und Bäckereien Essbares zum Abholen bereitsteht.

Lebensmittel retten hilft allen

„Ich gehe ab und zu Harrys Bude an der Paulinenbrücke. Dort gibt es gerettete Lebensmittel umsonst“, erzählt Margarethe Kuzzera. Sie wohnt in einer der Frauenpensionen der Caritas und muss von 400 Euro Arbeitslosengeld II alles finanzieren. Alinas Familie geht übrigens stets gemeinsam und mit vielen Taschen zu ihrem Großeinkauf. „Jeder muss dann tragen, weil wir kein Auto haben.“ Das Geld war immer knapp, aber jetzt sind sie trotz aller Sparsamkeit und trotz des Verzichts auf jeglichen Luxus auf die Lebensmittelgutscheine angewiesen.

Hilfe für den Nachbarn

Das Spendenkonto:
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Kennwort: „Hilfe für den Nachbarn“

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