Verdreckt und einsam – das pädagogische Personal reagiert zunehmend sensibler auf Signale von Vernachlässigung von Kindern. „Hilfe für den Nachbarn“ unterstützt Kinder aus prekären Familien.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Mitten in der Nacht brachten die Polizisten ein kleines Mädchen – verdreckt, verlaust, hungrig und müde. Manuela Hausmann hatte Dienst. Als Erstes schmierte sie dem Kind ein Nutella-Brot, nebenbei ließ die Sozialarbeiterin Badewasser ein. Schließlich brachte sie das satte und saubere Kind ins Bett. „Es war ein typisches Alkoholikerkind mit dickem Bauch und schwarzen Zähnen“, berichtet sie. Die Geschichte spielte in Stuttgart und sie ist kein Einzelfall.

 

In der stationären Notaufnahme des Jugendamtes werden oft bei Nacht und Nebel Kinder abgegeben, die zum Beispiel wegen häuslicher Gewalt aus ihrer Familie herausgeholt werden müssen oder die völlig unzureichend gekleidet aufgegriffen werden. Die Eltern? Haben Suchtprobleme, sind psychisch krank oder kümmern sich aus anderen Gründen schlichtweg nicht um ihren Nachwuchs.

Statistik ist alarmierend

Die Meldungen von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und häuslicher Gewalt, einschließlich der Verdachtsfälle, haben 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 105 auf 1445 zugenommen, berichtet das Jugendamt. 85 Fälle und Verdachtsfälle auf sexuellen Missbrauch gingen 2018 ein. Alarmierend sind die Zahlen der Inobhutnahmen, weil die Eltern nicht in der Lage oder nicht bereit dazu sind, sich um ihre Kinder zu kümmern. Wurden 2014 noch 106 Kinder vom Jugendamt aus ihren Familien genommen, nahm die Zahl stetig zu und hatte mit 179 im Jahr 2107 ihren Höchststand erreicht. 2018 wurden 170 Kinder in Obhut genommen. Insgesamt sei eine Zunahme von Kindeswohlgefährdungen zu beobachten, so das Jugendamt – ein trauriger Trend, der laut Statistischem Bundesamt für das ganze Land gilt.

Teenager alleine zurück gelassen

Hilfe für den Nachbarn e. V. kann mit einer Geldspende helfen, wenn es an allem fehlt, denn Armut und Vernachlässigung gehen oft Hand in Hand. Die Schilderungen der betreuenden Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen über die Zustände, die sie in manchem Haushalt antreffen, sind oft krass: „Die Kinder schlafen auf völlig verschmutzten Matratzen auf dem Fußboden“ oder: „Die Kinder haben keinerlei warme Kleidung.“ Besonders schockierend ist die Geschichte eines Teenagers: „Die 13-jährige wurde alleine in der Wohnung zurückgelassen. Die Eltern sind ins Ausland umgezogen.“

Kinder verhalten sich wie Jugendliche

„Die meisten Eltern wollen das Beste für ihre Kinder“, rückt Armin Biermann, der das Kinderschutz-Zentrum der Caritas leitet, das Bild zurecht. „Dass Eltern emotional völlig reduziert sind, ist eher ein Randphänomen“, weiß er aus Erfahrung. Heute jedoch seien zunehmend Kinder alleine unterwegs – „und sie verhalten sich so, wie es früher Jugendliche taten“, charakterisiert er ein Phänomen, mit dem es die mobile Kindersozialarbeit zu tun hat. Bei solchen Kindern, die durch ihr Verhalten auffallen, werden die Eltern kontaktiert und es wird aufmerksam darauf geschaut, ob Anzeichen für eine Vernachlässigung oder Gewalt vorliegen. „Sollte dies der Fall sein, wird sofort eine Fachkraft hinzugezogen“, betont Biermann.

Youtube zum Einschlafen

In den Neckarvororten, im Hallschlag und im Bezirk Ost, zeige sich in der aktuellsten Auswertung der Einsätze ein Anstieg der Kinderschutzfälle, berichtet Thomas Kuhn, Regionalleiter für die Filderbezirke bei der Stiftung Jugendhilfe aktiv (SJ-aktiv). In diesem Gebiet jedoch seien derartige Vorfälle eher rückläufig. Die SJ-aktiv hat stationäre Wohngruppen und sie betreut auch ambulant. „Die Eltern sind bei uns immer mit im Boot“, betont Kuhn. Tatsächlich werden bei der SJ-aktiv verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche betreut. Manche Kinder und Jugendliche tragen jedoch einen ganzen Rucksack an Problemen mit sich herum, Verwahrlosung kann auch dabei sein.

Dabei hat diese unterschiedliche Spielarten: Neben der körperlichen und erzieherischen ist die emotionale Vernachlässigung besonders gravierend: „Sie kann nicht mit materieller Hilfe kompensiert werden“, so Biermann. Und sie nimmt immer weiter zu.

Handy statt Gute-Nacht-Geschichte

Annika Matthias, die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes, berichtet von einer Achtjährigen, die wegen der Trennung der Eltern zu ihr in die Beratung geschickt worden war. „Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie den ganzen Tag sich selbst überlassen ist, und wenn sie abends nicht schlafen kann, sehe sie sich Einschlafvideos auf ihrem Handy an.“ Gerade bekam sie drei neue Fälle auf ihren Schreibtisch, in denen Erzieherinnen ihren Verdacht auf Kindesmisshandlung und Vernachlässigung schildern. „Einmal gibt es Signale für eine Vernachlässigung, das andere Mal kam die Mutter mit einer Verletzung im Gesicht“, berichtet sie. Dies lege den Verdacht auf häusliche Gewalt nahe. Bevor der Kinderschutzbund eine entsprechende Meldung an das Jugendamt macht, berät sich Annika Matthias mit den verantwortlichen Erzieherinnen, wie zu den Eltern am besten ein Kontakt aufgebaut werden könnte und ob gleich eine Fachberaterin hinzugezogen wird.

Soziale Teilhabe muss gewollt sein

Reagieren die Eltern nicht auf solche Beratungs- und Hilfsangebote, wird das Jugendamt aktiv und der Nachwuchs unter Umständen aus der Familie genommen. Die Kosten für die Unterbringung in einer Einrichtung wie der SJ-aktiv bezahlt das Jugendamt. Hin und wieder wird aber auch für diese Kinder um eine Spende gebeten – so wie für eine Abiturientin, die gar nicht zum Abschlussball gehen wollte, weil sie weder Kleid noch Schuhe hatte und sich deshalb vor ihren Mitschülerinnen schämte. Auch Fußballschuhe und die Gebühr für den Sportverein, eine Klassenfahrt, der Musikunterricht, Nachhilfestunden oder ein Laptop für die Schule sind im Budget für Kinder, die in Einrichtungen aufwachsen, nicht enthalten. Hier kann „Hilfe für den Nachbarn“ mit einer Spende für ein wenig mehr Chancengleichheit sorgen.

Viel schwieriger ist die Situation bei Kindern und Jugendlichen, die isoliert in prekären Verhältnissen zu Hause leben und deren Eltern womöglich keine Notwendigkeit erkennen, ihren Kindern über das soziale Teilhabepaket der Stadt oder über einen Spendenantrag bei „Hilfe für den Nachbarn“ die Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen.

Hilfe für den Nachbarn

Das Spendenkonto:
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Kennwort: „Hilfe für den Nachbarn“

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