Junge Migrantinnen, die vor ihrer Familie fliehen müssen, weil sie Gewalt erfahren oder eine Zwangsverheiratung fürchten müssen, finden bei der Evangelischen Gesellschaft eine Zuflucht.
Es gibt Töchter, die vor den eigenen Eltern und Geschwistern flüchten müssen. So wie die junge Frau D. Ihrer Arbeitgeberin hatte sie vertraulich erzählt, dass sie mit ihrem Cousin zwangsverheiratet werden sollte und nicht mehr aus noch ein wisse. Die Chefin recherchierte und fand so die bundesweit einmalige Einrichtung Nadia, die in Stuttgart unter dem Dach der Evangelischen Gesellschaft junge Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 27 Jahren in solcher Zwangslage wie Frau D. für drei Monate Schutz gewährt. So lange, bis sie in eine Einrichtung der Jugendhilfe übersiedeln können oder mit sozialpädagogischer Unterstützung auf eigenen Beinen stehen können.
Die frühere Chefin verhalf zur Flucht
Frau D. hatte in einem anderen Teil Deutschlands bei ihrer Familie gelebt. Sie machte ihr Abitur, doch die Familie verweigerte ihr, die Ausbildung zu beginnen, die sie sich ausgesucht hatte. Stattdessen musste sie einen Minijob annehmen. Das alles ließ sich die junge Frau noch gefallen. Aber als die Familie beschloss, dass sie mit Anfang 20 nun verheiratet werden solle, war Schluss.
Mithilfe ihrer Chefin kam sie nach Stuttgart. Bei Nadia versuchen die Mitarbeiterinnen mithilfe der Arbeitgeberin, dass Frau D. ihre Papiere von der Ausländerbehörde bekommt, dass sie ihr Abiturzeugnis zugeschickt bekommt. „Das ist ein Riesenproblem: Die jungen Frauen und Mädchen kommen oft hier an und haben nichts außer den Kleidern, die sie am Leib tragen. Dann müssen wir herausfinden, ob es irgendjemand in ihrem Umfeld gibt, der so vertrauenswürdig ist, dass er die Papiere besorgen und schicken kann“, berichtet Aischa Kartal, die die Einrichtung leitet.
Ein Kopftuch kann verräterisch sein
Für die Soforthilfestation Nadia mit ihren sechs Notfallplätzen hat die Evangelische Gesellschaft nun um eine Spende in Höhe von 1200 Euro für einen Koffer mit Utensilien zum Verkleiden gebeten: Perücken, Hüte, Tücher und Brillen sollen gekauft werden. Damit wird nicht etwa Theater gespielt, sondern das alles dient den jungen Frauen zur Tarnung. Mithilfe der Mitarbeiterinnen verändern sie ihr Äußeres, wenn sie das Haus verlassen. „Wir wollen niemand das Kopftuch absprechen, aber manche Art, es zu tragen, wäre schon verräterisch“, weiß Aischa Kartal. Auch eine Vollverschleierung wäre eine heiße Spur für die Familien, die ihre Töchter versuchen aufzuspüren, denn eine Vollverschleierung fällt im deutschen Straßenbild auf. Die jungen Frauen leben ausnahmslos unter anderem Namen hier – übrigens auch die Mitarbeiterinnen nennen nicht ihren Namen auf ihrer Dienststelle und sind nirgendwo auf Fotos abgebildet, denn auch sie wären sonst in höchster Gefahr.
Flucht quer durch Deutschland
Neben der Notaufnahme Nadia, in der die Bewohnerinnen erst einmal zur Ruhe kommen sollen und ungestört Zeit bekommen, sich über ihren weiteren Lebensweg Gedanken zu machen, gibt es die Einrichtung Rosa, in der 30 zwölf- bis 15-jährige Mädchen mit sozialpädagogischer Betreuung leben. Auch sie kommen aus der ganzen Republik, und für sie es klar, dass sie niemals wieder zu ihren Familien zurückkehren werden.
Der Leidensdruck durch die Schläge, die Bevormundung, die Angst vor einer Zwangsehe und die Furcht, im Namen der vermeintlichen Ehre womöglich ermordet zu werden, ist so hoch, dass sie trotz aller Ungewissheiten die Flucht antraten. „Sie übergeben sich dem Schicksal – so aussichtslos ist ihre Lage, dass sie sich uns anvertrauen, obwohl sie uns gar nicht kennen“, umreißt Aischa Kartal, was in ihnen vor sich geht. Etwa vier Jahre lang können sie in der Einrichtung Rosa wohnen, zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen. Finanziert wird dies von der Jugendhilfe. Die Bewohnerinnen erhalten nur rund 120 Euro Taschengeld im Monat.
Hin und wieder erreicht „Hilfe für den Nachbarn“ für die eine oder andere dieser jungen Frauen eine Spendenanfrage, wenn zum Beispiel für die Schule ein Laptop benötigt wird oder ein Handy gekauft werden muss. Das Mitgebrachte muss sofort nach der Ankunft vernichtet werden, weil es den Aufenthalt verraten würde. Über solche Fälle kann an dieser Stelle nie berichtet werden, denn zu groß ist die Gefahr, dass die junge Frau trotz aller Bemühungen, sie zu verfremden, doch erkannt werden könnte.
Das Spendenkonto
Iban: DE53 6005 0101 0002 2262 22
Baden-Württembergische BankBic/Swift: SOLADEST600 Kennwort Hilfe für den Nachbarn
Bitte vermerken Sie auf der Überweisungunbedingt, ob Ihr Name in der StZveröffentlicht werden soll.
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