Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Der Gruselfaktor ist es aber nicht alleine, der den Rundgang durch die Praxis lohnenswert macht, die Richard Schmelzle erst 1998 im hohen Alter von 88 Jahren aufgab – ein Jahr zuvor war sein 1936 zugelassenes Röntgengerät nochmals durch den Tüv gekommen. Sein Sohn, der sich dem Erbe der Arztfamilie verpflichtet sieht, ist auch ein gewitzter Erzähler, der historische und aktuelle Fakten zur Zahnheilkunde unterhaltsam mit Bietigheimer Historie kombiniert. Etwa, wenn er im alten Wartezimmer – in dem noch die „Constanze“ und das „Burda-Modeheft“ vom Frühling/Sommer 1960 liegen – erzählt, wie sich ebendort beim langen Warten Ehen anbahnten oder auf welcher Lederbank Gebhard Fürst, heute Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, einst seiner Behandlung harrte. Überhaupt ging in der Praxis die Bietigheim-Bissinger Society ein und aus.

 

„Pazifistisch-marxistische Einflüsse“

Schmelzle senior, der seine erste Praxis 1936 im Haus nebenan eröffnete, hatte es zunächst nicht leicht, sich eine Position zu erkämpfen, in den Deutschen Zahnärztebund aufgenommen zu werden und eine Kassenzulassung zu erhalten. Die Nationalsozialisten drehten ihm einen Strick daraus, dass er als Schwiegersohn des angesehenen, nicht regimekonformen Arztes Friedrich Laggai dessen „pazifistisch-marxistischen Einflüssen“ verfallen sei. Die im Museum gezeigten Schriftwechsel dazu lesen sich spannender als jeder Krimi.

Dass auch die Zahnbehandlung anno dazumal manchmal einem Krimi gleichkam – wer wüsste das besser als Rainer Schmelzle, der im hohen Norden in die Fußstapfen seines Vaters trat? „Mancher Schrei“, sagt er im Wartezimmer mit Gespür für Theatralik, „ist noch nicht verhallt.“