Ohne ihn sähen Spider-Man und Doctor Strange wohl ganz anders aus – falls es sie überhaupt gäbe. Aber der nun im Alter von 90 Jahren gestorbene Comic-Zeichner Steve Ditko ist mit seinen Erfindungen weder reich noch glücklich geworden.

New York - Wie genau der bis heute höchst vitale Superheld Spider-Man im fernen Jahr 1962 erfunden wurde, wird die Welt nie mehr genau erfahren. Unstrittig ist, dass der Zeichner Steve Ditko, der nun im Alter von 90 Jahren in New York gestorben ist, entscheidenden Anteil an dieser Revolution in der Comicwelt hatte.

 

Unstrittig ist auch, dass der Grundeinfall von Stan Lee kam, damals Chefredakteur beim Comicverlag Marvel in New York. Lee schwebte ein Held mit Spinnenkräften vor, ein Typ, der die Wände von Häusern hochlaufen und kopfunter von der Decke hängen konnte. Im Privatleben aber sollte dieses menschliche Krabbeltier kein gestandener Journalist sein wie Superman beim Konkurrenzverlag DC, kein erfinderischer Multimilliardär wie Bruce Wayne alias Batman, ebenfalls für DC im Einsatz, sondern ein ganz normaler Jugendlicher - einer mit Schulpflicht und Hausaufgaben.

Weniger Muskeln, bitte

Lee beauftragte zunächst den Zeichner Jack Kirby, damals der wichtigste Bilderlieferant für Marvel, mit der Ausarbeitung dieser Idee. Kirby war ein Meister der forschen Muskelbepackung, er zeichnete Captain America und andere Kraftpakete so, dass man ihnen das Einreißen von Wänden mit bloßen Händen eben so zutraute wie das bruchfreie Balancieren auf rohen Eiern. Aber für die Spidey-Idee war er der falsche Mann. Sechs Seiten Probezeichnung von ihm machten Lee schlechte Laune. Der fand die Figur nun viel zu heroisch und konventionell. Also vergab er den Auftrag noch einmal an den 34-jährigen Ditko.

Wer welchen Anteil am Kostüm hatte, an der Idee mit den an die Handgelenke geschnallten Düsen, aus denen jene Netzfäden schießen, an denen sich Spider-Man durch die Hochhausschluchten schwingt, wer welche Nebenfiguren wie Tante May zuerst entwarf – darüber sind widersprüchliche Anekdoten im Umlauf. Aber dass Ditko, ein höchst schwieriger Charakter, die Serie entscheidend prägte, darüber besteht kein Zweifel.

Die etwas andere Superwelt

Normalerweise entwickelte Stan Lee Zeichnern mündlich seine Geschichtenideen, die lieferten die Bilder, und Lee füllte die Sprechblasen aus – oder überarbeitete, was Zeichner an Dialogen vorschlugen. Dem kantigen Ditko waren diese Absprachen schon zuviel, er lieferte einfach die Geschichten, die ihm einfielen, fertig gezeichnet und getuscht, und Lee durfte sich die Texte zusammenreimen. Das war aber wohl nicht bloß Ausruck von Antipathie, sondern auch ein Beleg für Ditkos Auffassung, ein Comic solle sich ganz aus den Bildern heraus entwickeln und erklären.

Seine Figuren waren keine kantigen Muskelpakete, sie waren eher schmal, dehnbar, sehnig. Auch Spider-Man bot im Hüpfen durch die Stadt eine Mischung aus agiler jugendlicher Frechheit und einer Verletzlichkeit, einer Zerbrechlichkeit, die neu war im Superhelden-Comic. Dazu kam, dass Ditko mehr Wert auf die Stadtwelt legte als viele andere, dass sein Auge am Film Noir und überhaupt am Großstadtkrimi geschult war, dass die Bilder oft sehr klar machten, wie klein auch ein durch den Biss einer radioaktiven Spinne mit Superkräften gesegneter Held doch war im Vergleich zu der Welt, in der er gegen das Böse antrat. Über 38 Hefte hinweg entwarf Ditko bis 1966 die Welt, die Konflikte, die Charakterzüge von Peter Parker alias Spider-Man. Dann schmiss er hin. Was genau dazu führte, bleibt so unklar wie vieles in seiner Karriere.

Der Wille, zu töten

Interviews hat er fast immer verweigert, öffentliche Auftritte gescheut, und dem Autor Blake Bell verweigerte er jede Mitwirkung bei dessen 2008 erschienener Biografie „Strange and Stranger: The World of Steve Ditko“. Ohne es zu kennen, beschimpfte er das Buch als „Giftstulle“.

Neben „Spider-Man“ ist „Doctor Strange“ wohl seine bekannteste Schöpfung. In der Welt dieses Magiers ist die enorme Spannung zwischen Ditkos Fantasie, seinem Gespür für Welten mit sich auflösenden Grenzen und Ordnungen und seinem strengen, konservativen Glauben an eine glasklare Trennung von Gut und Böse am deutlichsten zu spüren. In seinem Comic „Mr A.“ tötet der Held, ein gesichtloser Vigilant, Kriminelle skrupellos. Da wird die knallharte, durchaus beängstigende Seite von Ditkos Wesen durch nichts als die Geschmeidigkeit der Zeichnungen ausbalanciert.

Einflussreich und einsam

Er hat noch viel im Comicbereich gearbeitet, aber für Spider-Man und Doctor Strange, die im Kino von heute die Kassen klingeln lassen, hat Ditko keine Tantiemen bekommen. Kreative Arbeit für Marvel war damals Taglöhnerarbeit gegen ein Handgeld. Millionen Comicfans und viele Kollegen in aller Welt haben ihn verehrt, aber man darf sich Ditko wohl als einsamen, ziemlich verbitterten Mann vorstellen. Schon am 29. Juni ist er in seiner New Yorker Wohnung vom Hausmeister des Gebäudes tot aufgefunden worden, wie jetzt bekannt wurde. Der „Sandman“- und „American Gods“-Autor Neil Gaiman, die Regisseure Edgar Wright („Shaun of the Dead“), Guillermo Del Toro („Shape of Water“) und Kevin Smith („Clerks“) haben wie viele andere bereits via Twitter bekundet, wie wichtig Ditkos Schaffen für sie war – und dass Spider-Man noch lange leben werde.