Mit seinem Kinofilm „She’s gotta have it“ um eine junge Frau und ihre drei Liebhaber gelang Spike Lee 1986 der Durchbruch. Nun hat er daraus die Netflix-Serie „Nola Darling“ gemacht. In der will er alles auf einmal, zum Beispiel üble Diskriminierung beklagen und unbeugsame afroamerikanische Frauen feiern.

Stuttgart - Falls jemand bloß romantisch sein möchte, Nola Darling hat eine Unterbrechung parat. Gleich in der ersten Folge von Spike Lees zehnteiliger Netflix-Serie „She’s gotta have it“, die in Deutschland „Nola Darling“ heißt, spricht die junge afroamerikanische Künstlerin aus Brooklyn direkt in die Kamera: „Black lives matter“, sagt sie, „Schwarze Leben zählen“. Das ist nicht nur eine Aussage, sondern Motto einer sozialen Bewegung, die fortdauernde Diskriminierung anklagt.

 

Spike Lee ist seit drei Jahrzehnten der wichtigste schwarze Filmemacher der USA. Und sein Durchbruch kam 1986 mit dem in Optik, Charakteren, Sprache originellen und welthaltigen Schwarz-Weiß-Film „She’s gotta have it“. Der erzählte von einer lebensfrohen Frau, die drei Männer in ihrem Leben jongliert, den Künstler und Narzissten Greer Childs, den bürgerlichen Jamie Overstreet und den Vollnerd Mars Blackmon. Dass Lee den Stoff nun neu aufbereitet, scheint nach Nolas Worten ein Akt akuter politischer Einmischung: Ein Prunkstück nicht nur des schwarzen Autorenkinos wird für die Kämpfe von heute mobilisiert. Aber der Fall ist komplexer.

Bloß kein schwarzer Woody Allen

Den spindeligen kleinen Schnellsprecher Mars Blackmon, der kompensationshalber eine fette Goldkette mit seinem Namen trug, spielte einst Lee selbst. So stellten die Kritiker damals fast unisono und beglückt fest, ein neuer, afroamerikanischer Woody Allen sei erstanden. Kokette Selbstironie des Regisseurs, Erkundung des Konzepts Liebe, romantische Verklärungsbeziehung zu New York, Schwelgen in Musik: alles da.

Aber Lee wollte eben nicht das gettogewiefte Soulbrother-Gegenstück zum jüdisch-intellektuellen Allen sein. Er erwies sich als kantig, widerborstig, hochfahrend, fordernd, streitlustig, wurde in „Do the right Thing“ und „Malcolm X“ schmerzhaft politisch, zog in Filmen wie „Mo’ better Blues“ und „Jungle Fever“ bewusst eine Yuppie-Ästhetik in die schwarzen Leben ein, als Forderung nach Teilhabe am weißen Wohlstand. Auf seinem langen Weg hat er viele Grüppchen und Individuen zeitweise oder dauerhaft mit Positionen und Bildern verprellt, die nicht zum jeweiligen Anspruch an einen afroamerikanischen Schrittmacher passten.

Alle Widersprüche auf einmal

„Nola Darling“ will nun alle Widersprüche unter einen Hut bringen. Die einkommensschwache Nola, königlich stolz gespielt von DeWanda Wise, lebt in einem makellos designten Apartment, nach dem sich Investmentbanker die Finger lecken würden, im angesagten Quartier Fort Greene. Dafür ist ständig die Rede davon, die Gentrifizierung bedrohe dieses angeblich einfache Leben. Garderobe und Frisuren der armen Künstlerin sind makellos, die Kamera malt beständig ein urbanes Aufsteigeridyll, und in pfiffigen, Vignetten setzt Lee Elementen des schwarzen Großstadtlebens Denkmäler.

Sehen Sie den Trailer zur Serie hier:

Manche Szenen wirken wie Videoclips, mit denen Lee den jeweils unterlegten Songs huldigen will. Danach wird wieder mit zugespitzten didaktischen Dialogen dieses oder jenes Problem gegeißelt, wobei erstickende männliche Ansprüche an Frauen im Mittelpunkt stehen. Lee hat da etwas abzuarbeiten. Der alte Film nutzte Nola vor allem, um die Männertypen herauszustellen. Nun hat Lee sich Drehbuchautorinnen geholt, um diese Perspektive zu korrigieren. Es geht tatsächlich um Nola, so sehr, dass man diese Ermächtigungsperspektive auch Hochglanzegoismus nennen könnte.

Mode und Entrechtung

„Nola Darling“ wird durch Widersprüche und Scheitern spannend. Lee will ein Musterbild souveränen schwarzen Lebens entwerfen und zugleich Entrechtung anklagen, die unbeugsam starke Frau feiern und die Übergriffe der Männer verdeutlichen, in Konsum schwelgen und Kapitalismus verdammen, das freie Künstlerleben preisen und bürgerliche Sicherheiten einfordern, Integration und Sonderstatus verklären. Das ist spannend unmöglich – und doch geht einem auch ein wenig auf die Nerven, dass die Bilder immer wieder in eine Modezeitschrift passen könnten.

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