Schönheit liegt im Auge des Betrachters - auch scheußliche Spinnen und stinkende Maden haben ihre Eleganz: Diese Erkenntnis will die Nürnberger Ausstellung „Ganz schön eklig“ vermitteln.

Nürnberg/Freiburg - „Schön weich“, entfährt es der 18-jährigen Nuria Stengel aus Hof. Im Bionicum im Nürnberg Tiergarten hat ihr gerade Zoopädagoge Christian Dienemann die Vogelspinne Linda auf die Hand gesetzt. „Angenehm“ und ein „schönes Gefühl“ berichtet sie ihren Mitschülern von der Fachoberschule. Ekel spürt sie nicht. Der Biologie-Zweig ihrer Schule ist auf einem Rundgang durch die Ausstellung „Ganz schön eklig“.

 

Manche der Jugendlichen zucken zurück und lassen anderen den Vortritt. Auch an der Station, an der frittierte Mehlwürmer und Heuschrecken zum Probieren angeboten werden, sind nicht alle begeistert. Andere beißen vorsichtig auf die knackigen Insektenkörper.

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Eigentlich ist Ekel eine biologische Schutzfunktion, erklärt Dienemann. Die Evolution habe es so eingerichtet, dass der Mensch beispielsweise bei verdorbenem Essen würgen müsse. Heute allerdings sei „Ekel anerzogen“. Wenn er mal zweijährigen Tiergartenbesuchern die behaarte Vogelspinne auf die Hand setze, überwiege die Neugier. „Da sehe ich keine Angst.“ Die werde eher von Eltern oder Freunden in das kindliche Verhaltensrepertoire vermittelt.

Sonderausstellung „Ganz schön eklig!“

Die Sonderausstellung „Ganz schön eklig!“ wolle zeigen, dass „alle Insekten einen Platz im Ökosystem“ haben, erklärt Eva Gebauer, die Projektmanagerin des Bionicums. „Sie erfüllen bestimmte Funktionen und stehen in wechselseitigen Abhängigkeiten“. Mit dem provokanten Ausstellungskonzept habe man einen Volltreffer gelandet: „Die Resonanz ist super.“

Die etwa sechs Zentimeter lange Madagaskar-Fauchschabe ist ein Krabbel- und Kletterinsekt, das mit seinen langen Fühlern nicht gerade zum Kuscheln einlädt. Allerdings, weiß Dienemann, in New York würden solche Schaben schon mal mit Sherry überspritzt und frittiert - um dann für bis zu 50 Dollar das Stück verkauft zu werden.

Nach Meinung des Stuttgarter Zoologen Sebastian Lotzkat vom Naturkundemuseum Stuttgart ist Ekel heutzutage eher eine Frage der Erziehung und Sozialisierung. Im Prinzip sei Käse auch nichts anderes als vergammelte Milch, findet er. Je nach Geruch wende sich aber mancher mit Schrecken ab. Das gelte umso mehr, wenn es zum Beispiel um den sogenannten Milbenkäse gehe. Die achtbeinige Käsemilbe ist nur 0,5 Millimeter groß, bis zu 50.000 Artgenossen besiedeln ein Stück Käse und sollen für einen außergewöhnlichen Geschmack sorgen.

Im südamerikanischen Ecuador hat der Biologe mal aus Neugier fingerdicke Käferlarven an einem Marktstand gekauft, erzählt er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auf die Frage, wie sie typisch zubereitet würden, sei ihm erklärt worden: Man beiße das Hinterteil ab und sauge dann das lebendige Insekt aus. Da sei auch bei ihm eine Grenze erreicht worden, „denn die Larve krabbelt noch im Mund“.

Botanikerin: „Ekel ist Unwissenheit“

Grundsätzlich aber ekele er sich nicht, sagt Lotzat. Auf seinen monatelangen Forschungsreisen in Lateinamerika begegnet er Blutegeln und Plattwürmern, Skorpionen und Spinnen, Kröten und Schlangen. Wenn er im Regenwald sein Zelt aufschlägt, sind darin viele Insekten. Der Herpetologe, der sich mit den Tierklassen beschäftigt, kann sich da begeistern. Er habe schon mal zehn Insektenstämme im Zelt gehabt, sagt er.

„Ekel ist Unwissenheit“ sagt auch die Botanikerin Olga Speck von der Uni Freiburg. Man müsse genau hinsehen, dann entdecke man „Schönheit und Eleganz“. Denn im Laufe der Evolution hätten sich die Lebewesen in ihrer jeweiligen Umwelt optimal entwickelt, „da ist nichts zu viel und nichts zu wenig“. Schon in ihrem Biologiestudium habe sie so viel gesehen, dass sie das Wort Ekel gar nicht mehr benutze. Speck arbeitet als wissenschaftliche Koordinatorin im „Freiburger Zentrum für interaktive Werkstoffe und bioinspirierte Technologie“ (FIT) für Phänomene in der Natur.

Da geht es interdisziplinär etwa mit Ingenieuren darum, Eigenschaften, die man nur bei lebenden Geschöpfen findet, technisch nachzubilden. Gerade der Blick aus unterschiedlichen Perspektiven habe ihr bewusstgemacht, die „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“.