Spinnprojekt in Wernau Wie einst bei Goldmarie und Pechmarie
Mit der Handspindel zu spinnen ist für Kinderhände Faszination und Herausforderung. Das hat die Wernauerin Andrea Dengler mit den „Wurzelkindern“ festgestellt.
Mit der Handspindel zu spinnen ist für Kinderhände Faszination und Herausforderung. Das hat die Wernauerin Andrea Dengler mit den „Wurzelkindern“ festgestellt.
Der Weg vom Schaf zum fertigen Pulli ist weit, so viel steht fest, und zumindest einen Eindruck davon sollen die Vorschulkinder aus dem Naturkindi „Wurzelkinder“ bekommen. Ihr Standort liegt direkt neben der Anlage der Gartenfreunde in Wernau, woraus eine Kooperation entstanden ist. Dabei geht es in erster Linie um Gemüseanbau. Andrea Dengler ist es aber auch ein Herzensanliegen, Kindern den Wert von natürlichen Materialien und vor allem von Wolle vor Augen zu führen.
Sie selbst hat als Achtjährige noch von ihrer Ur-Oma das Spinnen am Spinnrad gelernt. „Damals hat mich das nicht besonders interessiert“, erinnert sie sich. Aber Jahrzehnte später, beim Stricktreff, kam die Erinnerung zurück – und die Handspindel, die ihr eine andere Teilnehmerin mitbrachte, entfachte das Feuer vollends. Die ersten Versuche ließen sich gut an, die Wernauerin spann damals 800 Gramm Wolle selbst und verstrickte sie zu einem Pulli.
Davon sind die fünf Kinder, die sie an diesem Tag besuchen, noch weit entfernt. Die vier Mädchen und ein Junge bekommen eine Kiste mit einer Anfänger-Handspindel, einem Wollknäuel und bereits gewaschener Rohwolle. Ungewaschene Wolle hat Dengler aber auch dabei und lässt sie zum Schnuppern rumgehen, worauf sich einige Gesichter verziehen. Schon klar, warum die „Stinke-Wolle“, wie ein Mädchen sagt, zuerst gewaschen werden muss. Die Rohwolle, die Andrea Dengler am Vorabend eingeweicht hat, schwebt dagegen wie eine weiche, sanfte Wolke im Wasser und alle möchten mal anfassen.
So verläuft ganz langsam und gemächlich an diesem ersten „Kurstag“ die Annäherung an das Naturmaterial mit den besonderen Eigenschaften: Es ist wasserabweisend, nimmt keine Gerüche an und ist schwer entflammbar. Auch eine Exkursion ins Reich der Märchen ergibt sich, zu Goldmarie und Pechmarie, bei denen bekanntlich eine in den Brunnen gefallene Spindel ein Abenteuer verursachte. Wie war das noch gleich? Und warum nochmal ist Dornröschen in einen tiefen Schlaf gefallen? Das sind Fragen, die geklärt werden – ebenso wie die, seit wann die Menschen bereits spinnen. Mit ihrer Schätzung – seit 100 Jahren – liegen die Kinder deutlich daneben. Schon die Steinzeitmenschen hätten Mammutwolle gesammelt und verzwirbelt, sodass Fäden entstanden, erzählt Andrea Dengler. Und erst seit knapp 200 Jahren nehmen Maschinen den Menschen beim Spinnen weitgehend die Arbeit ab. Waschen, säubern, kämmen, spinnen und dann noch verzwirnen sind die Schritte bis zum Garn. Neben Schafwolle eignen sich übrigens auch Hundehaare oder das Unterhaar des Yaks gut für Wolle.
Drei Termine hat Andrea Dengler mit den fünf- und sechsjährigen Vorschulkindern. Das Spinnen mit der Handspindel erweist sich dabei als schwieriger als erwartet, immer wieder reißt der Faden. Aber fürs Spinnrad sind alle Feuer und Flamme, einige möchten gar nicht mehr weg. Faszination und Ehrfurcht, das verbindet Dengler mit Schafwolle. Sie holt sich regelmäßig ihr Rohmaterial bei der Schäferei Hornung in Wernau. „Mir tut es in der Seele weh, wenn ich sehe, dass ein Schäfer nach der mühevollen Arbeit mit den Tieren gerade einmal so viel Geld für das Wollvlies bekommt, dass er den Scherer davon bezahlen kann“, sagt sie. Umgekehrt wissen viele nicht, was für ein schönes, hochwertiges Garn aus dem rohen Vlies der Tiere entsteht. Da habe die moderne Gesellschaft vieles verloren, sagt die Wernauerin. Sie freut sich umso mehr, wenn sie Kindern vermitteln kann, „warum man auf seine Sachen achten soll“. Zwei Mal wurde sie schon auf der Straße auf ihren „Schnupperkurs Spinnen“ angesprochen: Eine Erzieherin erzählte ihr, dass die Kinder ziemlich beeindruckt gewesen seien. Und die Oma eines Kindes freute sich, dass ihre Enkelin jetzt von ihr das Spinnen lernen möchte.
Handwerk
Mit der Spindel werden kurze Fasern zu langem Garn verdreht. Das geschieht, indem die Spindel in Drehung versetzt und dem Faden immer wieder kurze Fasern hinzugefügt werden, die sich verspinnen. Den Faden wickelt man nach einiger Zeit um den stabförmigen Schaft. Als Schwungmasse dient bei der Spindel der Spinnwirtel, ebenfalls aus Holz oder aber aus Knochen, Stein oder einem anderen Material gefertigt.
Tradition
In Griechenland wurden Nachweise von Spinnwirteln aus dem 6. Jahrtausend vor Christus gefunden. Auch an anderen Orten, vor allem aber im Nahen Osten gibt es Hinweise, dass schon vor tausenden von Jahren Fasern versponnen und sogar Stoffe gewebt wurden. Was man dafür verwendete – Pflanzenfasern wie Flachs oder Tierhaare – ist den Wissenschaftlern unbekannt.