Ein freundlicher Professor, der Beamte ausbildet – für die AfD ist Jörg Meuthen Gold wert. Aber der bürgerliche Spitzenkandidat steht als Garant auch für fragwürdige Forderungen und Mitstreiter.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Am Vorabend in Stuttgart, bei der ersten Sechserrunde der Spitzenkandidaten, musste Jörg Meuthen noch reichlich einstecken. Von allen Seiten prasselten Vorwürfe auf den Frontmann der Alternative für Deutschland (AfD) ein. Außer Angstmache und übelster Demagogie habe seine Partei nichts zu bieten, Teile seien sogar offen rassistisch, Anständige könnten nicht AfD wählen – Meuthen geriet ziemlich in die Defensive und erbat wenigstens „Fairness im Umgang“.

 

Nun, 24 Stunden später im proppenvollen Backnanger Bürgerhaus, ist man unter sich, im Kreis von Anhängern und Interessenten – und Meuthen keilt kräftig zurück. „Haltloser Quatsch“ seien alle Vorwürfe, sagt er und knöpft sich seine Kritiker vor. Erst geht es gegen den SPD-Chef Nils Schmid, „meinen speziellen Freund“. Nur noch „drittklassige Demagogen“ – dazu zählt er nebst Schmid auch den Vorsitzenden Sigmar Gabriel – habe die einst so stolze Partei aufzubieten. Dann bekommen die Grünen ihr Fett ab: Außer Kretschmann mit seiner „großväterlichen Attitüde“ gebe es da niemanden. Bringe er die Amtszeit nicht zu Ende, folge ihm „wahrscheinlich Cem Özdemir“. Dass das eher unwahrscheinlich ist, dürfte Meuthen gut wissen – aber das Szenario (Igitt, ein Türke!) wirkt verlässlich, sogar ein „Pfui“-Ruf ertönt im Saal. Für die FDP, die in ihrer Kritik an der Kanzlerin neuerdings auf AfD-Pfaden wandelt, hat der Spitzenkandidat nur ein verächtliches „Wetterfähnchen“ übrig, der CDU bescheinigt er amüsiert einen Zustand „höherer Wirrnis“. Das Publikum ist begeistert.

Mit 16 kurz bei der Jungen Union aktiv

Allein gegen alle – an dieser Rolle hat der 54-jährige Wirtschaftsprofessor, der an der Verwaltungshochschule Kehl angehende Bürgermeister unterrichtet, sichtlich Gefallen gefunden. Die anderen, das sind für ihn wahlweise die „Altparteien“, die „Kartellparteien“ oder die „Einheitsparteien“; Unterschiede zwischen ihnen gebe es ja kaum noch. Früher hat Meuthen, der sich als wirtschaftspolitisch liberal und gesellschaftspolitisch konservativ einstuft, noch selbst mit ihnen sympathisiert: Mit 16 gründete der früh für die Politik Entflammte in seinem Pfälzer Wohnort sogar einen Ortsverband der Jungen Union, hatte aber bald genug von den Umarmungsversuchen der CDU-Granden. Später wählte er nach eigenem Bekunden mehrfach FDP, bereute es aber jedes Mal.

Erst jenseits der 50, zur Bundestagswahl 2013, engagierte er sich wieder in der Politik. Seit vielen Jahren sah er den Euro kritisch – und sagte das auch seinen Studenten – , also wurde die AfD seine politische Heimat. Die Abspaltung des Professoren-Lagers um Bernd Lucke, zu dem er einst selbst zählte, katapultierte ihn Mitte vorigen Jahres als Co-Bundessprecher an die Spitze der Partei. Seither hat sich sein Leben, das vor allem aus Beruf und Familie – samt fünf Kindern aus zwei Ehen – bestand, gewaltig verändert. Parteiveranstaltungen, Diskussionsrunden, Medieninterviews: rastlos ist Meuthen im Einsatz, überall wird er als Gesicht der Partei, zumal in Baden-Württemberg, gebraucht. Wenn er spätnachts müde heimkommt, muss er noch Mails beantworten; einen eingespielten Apparat, der ihm das Organisatorische abnimmt, gibt es noch nicht.

Als Garant für die Harmlosigkeit unterwegs

Aber Meuthen ist Gold wert für die AfD – und das weiß er wohl auch. Hätte sich die Landespartei einen Spitzenkandidaten backen können, er sähe aus wie er. Ein Beamter, der Beamte ausbildet, durch und durch (bildungs-)bürgerlich, mit Doktor- und Professor-Titel, auf erfrischend unpolitikerhafte Weise eloquent, mit einem verbindlichen, zumindest vordergründig gewinnenden Auftreten – wer könnte besser um Vertrauen werben? Ganz persönlich inszeniert sich Meuthen als Garant dafür, dass die Partei mitnichten so schlimm sei, wie sie von vielen dargestellt werde. Wäre die AfD tatsächlich rechtsextrem oder gar rassistisch, versichert er landauf, landab, würde er sich nie und nimmer für sie hergeben. Er ein Ausländerfeind, gar ein rassistischer Hetzer? Und das bei fünf afrikanischen Patenkindern? Da erübrigt sich für ihn die Antwort. „Hetze ist überhaupt nicht meins“, beteuert er treuherzig.

Aber für wen und was bürgt der so seriös erscheinende Professor? Gibt er den Biedermann, der die Brandstifter hinter ihm verdecken soll? Dieser Verdacht wird vielfach artikuliert: Wolf im Schafspelz, trojanisches Pferd, bürgerliche Fassade . . . Meuthen sei „viel gefährlicher als die restliche AfD-Truppe zusammen“, meint ein ehemals von ihm begeisterter Student, der heute als Wahlkampfberater erfolgreich ist. Wie viele Weggefährten wundert er sich über den politischen Weg des gebürtigen Esseners. Selbst dessen einstiger Doktorvater äußerte sich befremdet über das AfD-Engagement; als jungen Wissenschaftler hätte er Meuthen eher bei den Grünen verortet.

Eine Gegnerin nennt ihn einen „Feigling“

Nun scheint der mit einer Arbeit zur Kirchensteuer promovierte Volkswirt jedenfalls zum Erfolg entschlossen. Nichts soll den Einzug der AfD in den Landtag (und seine Wahl zum Fraktionschef) stören – dafür gibt er den großen Relativierer. Ob es um Passagen im Programm geht oder um grenzwertige Äußerungen von Parteifreunden: alles nicht böse gemeint, versichert er, allenfalls missverständlich. Die Kanzlerin locke Hunderte Millionen Flüchtlinge nach Deutschland? Nun ja, die Zahl immerhin sei nicht aus der Luft gegriffen. Die Medien seien gleichgeschaltet, ein Naziwort? Seine Ausdrucksweise wäre das nicht, aber von den öffentlich-rechtlichen Anstalten fühle man sich schon unfair behandelt. Einen „Feigling“ schalt ihn jüngst eine Verbandsfunktionärin, weil er, sobald es brenzlig werde, stets zurückweiche.

Von verbalen Ausfällen à la Björn Höcke distanziert sich Meuthen gerade so weit, wie es unbedingt geboten erscheint: für ihn sei der Thüringer, trotz seiner Bemerkungen über den Fortpflanzungsdrang der Afrikaner, kein Rassist. Feinsinnig unterscheidet er zwischen Abgrenzung und Ausgrenzung. Selbst ein Heißsporn wie der in Villingen-Schwenningen kandidierende Chef der Jugendorganisation, Markus Frohnmaier, darf noch mit väterlicher Nachsicht rechnen. Nach Attacken gegen die Grüne Claudia Roth, die er für die Übergriffe von Köln mitverantwortlich machte, und einem Stammel-Interview im Fernsehen hält sich Frohnmaier nun erst einmal von den Medien fern, angeblich aus freien Stücken. Jedes weitere Wort von ihm würde nur die Chancen der AfD schmälern. Als störend galt auch der Angriff von Meuthens Co-Sprecherin Frauke Petry auf die Kirche („verlogen“). Inzwischen dürfte man ihr klargemacht haben, dass derlei in Baden-Württemberg gar nicht gut ankommt.

Genervt von den vielen Distanzierungen

Zunehmend genervt reagiert Meuthen in diesen Tagen, wenn ihm wieder einmal eine Distanzierung abverlangt wird: hat er nicht alles x-mal kommentiert, bis hin zum „Quotenneger“, wie ein Freiburger Parteifreund den US-Präsidenten titulierte? Gerne vergleicht er die AfD mit den Grünen der Anfangsphase: auch da habe es Realos und Fundis gegeben. Bei der „Alternative“ habe man ebenfalls ein gewisses Spektrum, aber die gemäßigten Kräfte würden sich auf Dauer durchsetzen. Welche Kandidaten sich in der künftigen Fraktion finden werden, ist indes schwer kalkulierbar. Nicht alle sind jedenfalls so geschmeidig wie der Spitzenkandidat, der als Vorsitzender als gesetzt gilt – wenn er denn in Backnang das Mandat holt.

Dass es die AfD in den Landtag schaffen wird, steht für Meuthen angesichts stabiler Umfragewerte fest; offen sei nur, „in welcher Stärke“. Er freue sich schon („Sie ahnen gar nicht, wie“) auf den 13. März, feixte er in Backnang: „Das wird ein richtig schöner Wahlabend“ – nicht nur wegen des erwarteten eigenen Erfolges, sondern auch wegen des Abschneidens anderer.