Spitzenkoch aus Baden-Württemberg Längster Drei-Sterne-Koch Deutschlands: Christian Bau über Kindheit und Krisen

Christian Bau ist einer der besten Köche. Was soll da noch kommen? Gerade im Moment seines größten Triumphs wird ihm klar, dass er so nicht weitermachen kann. Foto: Pieter D'Hoop

Längster Drei-Sterne-Koch Deutschlands: Christian Bau, aus Offenburg, spricht über seine instabile Kindheit, den Druck des Erfolgs und wie er sich immer wieder neu erfindet.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Als der Michelin-Chef anruft und ihm mitteilt, dass sein Restaurant mit drei Sternen ausgezeichnet wird, sitzt Christian Bau auf seinem Bett und weint. Er ist 34, der damals jüngste Drei-Sterne-Koch Deutschlands. Euphorie, Glück – und dann die Frage: Was soll da noch kommen? Gerade im Moment seines größten Triumphs wird ihm klar, dass er so nicht weitermachen kann. Das ist jetzt im November genau 20 Jahre her. Seit zwei Jahrzehnten hält Christian Bau die drei Sterne im Restaurant Victor’s Fine Dining – so lange wie kein anderer Koch in Deutschland.

 

Christian Bau, heute 54 Jahre alt, ist eine der prägendsten Figuren der deutschen Spitzenküche. Er hat alles erreicht, was man als Koch nicht nur in Deutschland erreichen kann: drei Michelin-Sterne, Bundesverdienstkreuz, Witzigmann nannte ihn einen „Visionär“. Doch seine Herkunft ist eine andere als die Welt, in der er sich heute bewegt.

Christian und Sarah Bau mit der Kochikone Alain Ducasse. Foto: privat

Christian Bau erlebt eine schwierige Kindheit

Als er in Offenburg geboren wurde, war seine Mutter gerade einmal 17 Jahre alt – und für diese Lebensaufgabe nicht bereit. Sie war als siebtes Kind auf einem Bauernhof aufgewachsen. „Sie musste verheiratet werden, der Hof wurde verkauft“, erzählt Christian Bau. Die Ehe seiner Eltern war zwei Jahre später beendet, die junge Mutter lebte ihr Leben, in dem ein Kind keinen Platz hatte. „Ich bin in Offenburg geboren, war aber nirgends länger“, erklärt Bau. Zu Klassentreffen wird er nicht eingeladen, da er nie lange an einer Schule war. Es war kein Geld da, die Baus fuhren nicht in den Urlaub: „Manchmal wurde ich sogar in meinem Zimmer eingeschlossen, damit meine Mutter feiern gehen konnte“, erinnert sich Bau an seine Kindheit. All das muss man wissen, um zu begreifen, wie und warum Christian Bau zu dem großen Koch wurde, der er heute ist.

Es ist die Gastronomie, die dem jungen Mann Halt gibt. 14 Jahre ist er jung, als er im Hotel Sonne Eintracht, genannt „Götz Sonne-Eintracht“, im baden-württembergischen Achern, nach einem Ferienjob fragt. Der Chef kennt ihn von klein auf, da Baus Mutter dort arbeitete: „Chrischdian, dann kommsch halt mal.“ Die Sache war geritzt. Und Christian erinnert sich, wie es ein gemeinsames Essen am großen Holztisch gab, wie ihm die strikten Hierarchien eine klare Struktur gaben. Die Küchenbrigade wurde zu seiner Familie, gab ihm den Halt, der ihm zu Hause gefehlt hatte. „Das Restaurant war für mich fortan Familie“, erklärt Bau.

„Chrischdian, dann kommsch halt mal.“

Christian Bau in der Ausbildung: Das Restaurant wird zur Heimat

Mit Ausbildungsbeginn im Alter von 16 Jahren zieht Bau von zuhause aus, mittlerweile hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter. „Das Restaurant war für mich fortan Familie“, sagt Bau. Er macht Schulden von 2000 Mark, um sich Kochjacke und Messer anzuschaffen. Sein Monatsverdienst: 242 Mark netto. Sein Ausbilder ist hart zu ihm, sieht es als Erziehungsauftrag, ihn am Ohrläppchen zu ziehen oder ihn den Küchenboden mit einer Zahnbürste schrubben zu lassen. Während seiner Ausbildung lernt Bau seine erste Frau kennen, zwei Kinder haben sie gemeinsam, 24 Jahre sind sie ein Paar. Bau schloss als Jahrgangsbester ab – doch sein Chef fragte nur: „Warum ist da eine Zwei im Zeugnis?“

Bau ist ein geradliniger Mensch und angespornt: Er will immer der Beste sein. Klar, dass er von den Besten lernen will. Dementsprechend folgen Stationen wie das Hotel-Restaurant Talmühle in Sasbachwalden. Seinen Chef Gutbert Fallert bezeichnet er als seinen größten Mentor. Fallert wollte, dass er alles lernte, dass er überall schmeckte, was die anderen machen. So speist Bau eines Abends auch bei Eckart Witzigmann, der später Jahrhundertkoch genannt werden wird. „An mein erstes Abendessen in der Aubergine kann ich mich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen“, sagt Bau mit Hochachtung in der Stimme. Ab diesem Besuch war ihm klar, dass er Sterne kochen möchte.

Christian Bau blickt selbstritisch zurück

Es folgen harte Jahre, auf die Christian Bau selbstkritisch zurückblickt. Etwa auf die Kühlhaus-Gespräche: „Im Kühlhaus gibt es keine Zuhörer, und dann habe ich gesagt, was ich sagen sollte. Es waren andere Zeiten – und ich kannte es nicht anders.“ Erst später, mit seiner zweiten Frau Sarah an seiner Seite, wird sich sein Ton in der Küche ändern.

Bau blickt aber dankbar auf die Stationen wie etwa im Restaurant Le Canard in Offenburg sowie als Souschef unter Harald Wohlfahrt in der Schwarzwaldstube in Baiersbronn zurück. Fünf Jahre war er in der Schwarzwaldstube, eine prägende Zeit. Bau beschreibt die Zusammenarbeit mit Wohlfahrt als extrem intensiv: Sie standen in engem, fast brüderlichem Kontakt, telefonierten auch nach seiner Zeit in der Schwarzwaldstube wöchentlich, teilweise mehrfach. Bau nennt Wohlfahrt einen „großartigen Menschen“, mit dem er jedoch inzwischen keinen Kontakt mehr habe.

Bau ist gerade mal 23, als er Souschef wird. Wohlfahrt erkennt das Talent und die Ambition. Und Christian Bau gibt alles, er möchte zu den Besten gehören. Aber er möchte sich eben auch freischwimmen.

Was sich am stärksten verändert hat? „Ich als Mensch.“

„Es war eine schicksalhafte Fügung, dass ich nach Perl kam“, sagt Bau. Hier im Residenz-Hotel Schloss Berg, das zu Victor’s Group gehört, ist er schon jung Küchenchef. Bau ist fleißig. Selbst bei der Geburt seiner beiden Töchter steht er nach einer Krankenhausstippvisite abends wieder am Pass.

Es gibt wohl kaum einen Koch, der so wie Bau in 28 Jahren noch nie einen Service verpasst hat. Und dennoch hadert er immer wieder. „Ich habe dem Erfolg alles untergeordnet“, erkennt Bau. Und er weiß, dass er etwas ändern muss. Also schwimmt er sich frei: Kein Trüffel, keine Gänsestopfleber mit glacierten Äpfelchen, kein Steinbutt mit Champagnersauce, keine Lackschuhe, keine drei Tenöre als Untermalung im Restaurant. Als er den dritten Stern bekommt, ändert er seinen Küchenstil, und ist der Erste hierzulande, der japanische Zutaten und Techniken in die Spitzenküche einführt.

Christian Bau schafft Kunstwerke auf dem Teller

Heute läuft Elton John oder Paul Kalkbrenner, wenn im weißen Schloss aus dem 11. Jahrhundert oberhalb der Mosel feinste Kreationen aufgetischt werden. Auf dem Teller etwa das japanische Meer: eines dieser unfassbaren, sogenannten Signature Dishes von Christian Bau: Es sind bis zu 80 Handgriffe und Pinzetten-Kunst erforderlich, bis dieses Kunstwerk so präzise auf dem Teller ist. Ein visuelles Wunderwerk! Dass es geschmacklich mit den jodigen Strandkräutern und Seeigeleis aus einer anderen Welt stammt, versteht sich von selbst.

EIner der vielen Klassiker: das „Japanische Meer“. Foto: nja

Und es zeigt auch, wie sich Baus Stil veränderte: weg von der Gänseleber hin zu japanisch inspirierten Gerichten. „Ich wollte zum Revoluzzer werden, wollte mit den Konventionen brechen“, sagt Bau, der seine ganz eigene Handschrift entwickelt hat. Und er wollte von allem nur das Beste: vom Kaviar, Thunfischbauch oder auch Spargel. Die grünen, dicken Stangen lässt er, wenn sie denn Saison haben, von Robert Blanc in der Provence liefern. „Das ist schon was ganz Besonderes, mit solchen Produkten arbeiten zu können“, erklärt Bau. Er ist bekannt für seine Perfektion, für seine Arbeitswut.

Stets an seiner Seite ist Sarah Bau, seine Sous-Chefin und zweite Ehefrau, 22 Jahre jünger als er. Sie sind ein Team, das 24 Stunden, sieben Tage die Woche zusammen ist. Was sich mit Sarah Bau am stärksten verändert hat? „Ich als Mensch“, so Bau. In der Küche wird heute alles gemeinsam entschieden. Dabei weiß er, dass Sarah in ihren Anfangszeiten häufig nach Hause fuhr und sich bei der Mama ausheulte. Irgendwann aber traute sie sich heraus, äußerte Kritik am Chef, an seinem Umgangston.

Gemeinsam reisen sie, schmecken und entwickeln Gerichte weiter. Seit drei Jahren gibt es kein Fleischgericht mehr im Menü. Der Grund ist pragmatisch: Die Schnittmenge an Feinschmecker-Gästen, die auch Sonnora (78 Kilometer entfernt) und Schanz (84 Kilometer) besuchen, ist groß. Die hatten am Abend davor dann schon mal Poltinger Lamm oder eben Reh. Im März wird „Paris Tokyo“ erscheinen, ein Coffee Table-Book, das Bau gemeinsam mit seiner Frau entwickelt hat. Bereits im Handel: Sterneküche für daheim unter dem Titel „Einfach Bau“.

Bau hat alles erreicht, was man als Koch erreichen kann. Und dennoch bleibt er ein Getriebener. Sein Ansporn: „Ich möchte nach wie vor Menschen glücklich machen.“

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