Beim Gipfeltreffen von 15 Spitzenköchen vergisst Johann Lafer all die nicht, die sich so viel Genuss nicht leisten können. Die Schere zwischen Arm und Reich werde immer größer, klagt er bei Breuninger und fordert, die gesenkte Mehrwertsteuer müsse bleiben.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Er ist einer der umtriebigsten Spitzenköche in Deutschland. Seine Restaurants waren sternegekrönt. Dauergast ist er im Fernsehen, schreibt Bücher und vertreibt Küchenzubehör. Neuerdings bezieht Johann Lafer Rente, müsste gar nicht mehr arbeiten. Doch es macht dem 66-Jährigen immer noch Spaß, am Herd zu stehen, vor allem, wenn er hautnahen Kontakt zu den Fans hat wie beim Gipfeltreffen der Gourmets im Stuttgarter Flagship Store von Breuninger.

 

Innerhalb weniger Stunden waren alle Karten für je 219 Euro nach drei Jahren Coronapause ausverkauft. Für diesen Preis dürfen 1000 Gäste bei „Fashion X Food“ im kulinarischen Schlaraffenland das Feinste vom Feinen an etwa 25 Getränke- und Essensständen schlemmen. Alles ist inklusive. Neun Michelin-Sterne von 15 Spitzenköchen strahlen auf der vierten Etage von Breuninger im drangvollen Paradies der Feinschmecker (mit Alexander Herrmann ist ein Zwei-Sterne-Star dabei).

Als Local Hero ist Björn Boltz dabei

Ein bisschen ist’s wie einst beim Schlussverkauf. Wer sich im Getümmel in engen Gängen bewegt, bekommt schon mal einen Stoß mit dem Ellenbogen verpasst. Die längste Schlange bildet sich vor Lafer, dessen Fans nicht nur seinen vorzüglichen Zander wollen, sondern auch Selfies mit ihm. „Das Stuttgarter Publikum ist einfach unglaublich“, lobt der gebürtige Österreicher, der als Rentner kein eigenes Restaurant mehr hat, aber trotzdem einen vollen Terminkalender (am Sonntag grillt er mit SWR 3). Der Trend, sagt er, geht ganz klar zu veganen Speisen, auch wenn bei Breuninger diese Sparte nur Björn Boltz vom Stuttgarter Restaurant Vhy! als Local Hero vertritt (bei ihm gibt’s vegane „Jakobsmuschel“ vom Kräuterseitling). Und aus der Region müssten die Zutaten kommen, so Johann Lafer.

Besorgt ist der 66-Jährige, weil sich in Deutschland immer weniger Menschen qualitätsvolles und gesundes Essen leisten könnten. Gleichzeitig gebe es viele Reiche, denen die teuren Preise egal seien.

„Die Schere klafft immer weiter auseinander“, klagt er. Das soziale Gefälle werde noch größer, wenn im nächsten Jahr die Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie wieder von sieben auf 19 Prozent angehoben werde – auf den hohen Satz, der vor der Pandemie galt. Noch ist politisch nicht entschieden, wie es weitergehen soll.

„Wenn die Erhöhung der Steuer kommt, gibt es ein Gastro-Sterben“

„Es kann doch nicht sein, dass der Staat für Kondome sieben Prozent Steuer verlangt, aber für eine Pasta 19 Prozent“, sagt Johann Lafer. Auch Maximilian Trautwein von der Möhringer Linde warnt eindringlich davor, den für die Pandemie gesenkten Steuersatz, der nur bis Ende des Jahres gilt, wieder anzuheben. „Wenn die Erhöhung kommt, setzt ein Gastro-Sterben ein“, prophezeit er.

Personalmangel und steigende Kosten erschweren die Arbeit der Wirte. Die Inflation geht zurück, aber die Preise für Lebensmittel sind um 20 Prozent gestiegen, teilten die statistschen Landesämter mit. Wie verkraftet dies die Gastronomie? Wie stark werden Restaurants ihre Preise erhöhen?

„Bei uns überhaupt nicht“, versichert der fränkisch-freche Zwei-Sterne-Koch Alexander Herrmann. Er beziehe seine Lebensmittel von regionalen Bauern, die ihm stabile Preise garantierten. In Stuttgart serviert er „Bubble Tea“ mit Spargelcreme und Schnittlauchöl. Seine Bubbles sind Kaviar vom Saibling. „Eigentlich wollte ich Kaviar vom Stör“, sagt der umlagerte Küchenstar, „aber er war zu teuer.“ Genau müsse man auf Preise achten. Seine Gäste sind begeistert von der Gourmet-Version eines blubbernden Phänomens, das vor allem Schüler begeistert.

Aromatische Wohlgenüsse, überraschende Verbrüderungen von Zutaten – Spitzenköche verlassen gern den Mainstream, um zu verblüffen und allzu oft zu begeistern. Bei der Hamburger Sterneköchin Cornelia Poletto ist das nicht anders. Sie serviert die Ossobuco in der Teigtasche Agnolotti. Der Name kommt aus dem Italienischen. „Osso“ bedeutet übersetzt „Knochen“ und „buco“ heißt zu Deutsch „Loch“ – Ossobuco beschreibt das Aussehen der Hauptzutat, also die in Scheiben geschnittene Kalbshaxe. Poletto sagt, man sollte lieber weniger Fleisch essen, etwa einmal die Woche, dafür aber hochwertiges von regionalen Bauern.

Kochstars wirken anziehend. Dank Breuninger muss man nicht in ihre Sternerestaurants fahren, kann beim direkten Kontakt so manche Kochtipps aufschnappen. Die 1000 Besucher sind im Glück. „Das Gastgeben ist tief in unserer Breuninger DNA verankert“, unterstreicht Joachim Aisenbrey von der Geschäftsführung in Stuttgart. Aus dem eigenen Haus sind Götz Rothacker (Sansibar) und Christina Fiorentino (Karls Kitchen) dabei. Bestens organisiert ist der Abend. So viel Personal schwirrt herum, dass die kleinen Teller, die man braucht, rasch abgeräumt sind – damit Platz ist für Neues.

Die weiteste Anreise hat TV-Koch Alexander Kumptner aus Wien zurückgelegt. Bei ihm gibt’s Ceviche von der Rotgarnele samt Avocado und roten Trauben, eine säuerlich-leichte Köstlichkeit. Der 39-Jährige ist umringt von jungen Frauen und strahlt, weil es ihm sehr gut gefällt in Stuttgart. Ums Geldverdienen gehe es ihm dabei nicht. „Es ist schön, wenn man sich mit Kollegen austauschen kann“, sagt er. Und es ist schön, wenn die Schere zwischen denen, die sich Genuss leisten können, und denen, die davon ausgeschlossen werden, nicht noch größer wird.