Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Wer den Zustand des deutschen Sports sehen will, darf sich auch nicht von Bildern im Fernsehen täuschen lassen, sondern sollte sich zum Beispiel mal mit Sportlehrern unterhalten. Die Klagen über einen erschreckenden Mangel an koordinativen Fähigkeiten sind kaum zu überhören. Eine Rolle rückwärts gilt bereits als Königsdisziplin. Wer im Hallenbad nicht untergeht, geht als guter Schwimmer durch. Das ist natürlich zugespitzt, aber nicht sehr weit weg von der Realität. Das alles ist Ausdruck einer zunehmenden Bewegungslegasthenie der Kinder und Jugendlichen, die sich immer weniger für Vereinssport und Bewegung begeistern lassen. Laut einer Studie der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft kann nur noch jeder zweite Zehnjährige schwimmen. Die DLRG warnt vor einem „Nichtschwimmer-Land Deutschland“. Was wiederum auch an der Schließung vieler kommunaler Bäder liegt. Eines hängt mit dem anderen zusammen. Wenn immer weniger Kinder Sport treiben, wird es mangels Talenten irgendwann weniger Medaillen geben. Wenn immer weniger Kinder schwimmen können, gibt es bei Olympia im Becken einen Untergang mit Ansage.

 

Und wenn es weniger medial wirksame Erfolge gibt, wird es mangels Vorbildern vielleicht noch weniger aktive Kinder geben. Kurz gesagt: Die Spitze gibt es nicht ohne die Breite, die Masse nicht ohne die Klasse. Das ist ja die große Bedeutung des Spitzensports jenseits des Entertainment – dass er nämlich Vorbilder produziert wie kein anderer gesellschaftlicher Bereich. Große Triumphe sorgen zumindest für Aufmerksamkeit – und machen im Idealfall Werbung für Bewegung. Ob im Verein oder selbst organisiert, ob draußen beim Joggen, Radfahren, Wandern oder im Fitness-Studio – das ist am Ende nicht entscheidend.

Beim Deutschen Schwimmverband (DSV) ist das Problem bereits angekommen. Der DSV hat Probleme, die jungen Kaderklassen zu füllen, deshalb wurden Kriterien aufgeweicht. „Als Bundestrainer sage ich: Je weniger Kinder schwimmen lernen, desto weniger Durchlass werden wir nach ganz oben haben“, sagt der Chefcoach Henning Lambertz der „Rheinischen Post“. „Als Elternteil sage ich: Wenn Kinder nicht mehr schwimmen lernen, begeben sie sich in große Gefahren. Es darf keine Frage des Dürfens oder Wollens sein, sondern des Müssens.“

Sport ist Mord? Sport ist Leben!