Spitzenklubs der Handball-Bundesliga, internationale Top-Akteure der Branche: das Marktplatzturnier in Esslingen hat bundesweit einen glänzenden Ruf als einziges Freiluftturnier mit hochkarätiger Besetzung. Jetzt findet es zum fünfzigsten Mal statt.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Der Esslinger Marktplatz versprüht an Samstagen, wenn die Marktbeschicker aus der Umgebung ihre Stände aufgebaut haben, einen wunderbaren Charme. Es ist das Angebot an frischem Obst und Gemüse, und es ist das Flair des Ortes, der den Einkauf zum Erlebnis werden lässt: die Umrahmung mit wunderbaren Fachwerkhäusern samt der altehrwürdigen Stadtkirche St. Dionys. An diesem Wochenende aber weichen die Landwirte und Händler einem republikweit einmaligen Spektakel: das Handball-Marktplatzturnier, das sich zu einem Stelldichein deutscher und internationaler Topmannschaften entwickelt hat – und das nun zum fünfzigsten Mal stattfindet.

 

Der Sportplatz ist außergewöhnlich. Denn in aller Regel findet Handball heutzutage in der Halle statt. Vor allem die Profis aus der ersten und zweiten Bundesliga scheuen Experimente unter freiem Himmel, wo das Wetter unbeständig ist und das Verletzungsrisiko auf nicht optimalen Böden groß sein kann. Umso bemerkenswerter ist es, dass erstklassige Spitzenteams wie Frisch Auf Göppingen, der Aufsteiger TVB 1898 Stuttgart, aber auch die ambitionierten HSV-Handballer aus Hamburg und gar die Füchse Berlin als amtierender Europapokalsieger zur Vorbereitung auf die neue Saison den Weg in die einstige Reichsstadt finden. Zum Jubiläum ist das Teilnehmerfeld erlesener denn je.

Die Kunde von einem für den rauen Ballsport einmaligen Event ist schon vor Jahren in die Bundeshauptstadt gedrungen. Und spätestens nach den positiven Erfahrungen beim ersten Gastspiel kommen die Füchse gerne wieder. Deren Manager Bob Hanning schwärmt von der „einmaligen Atmosphäre“ auf dem Spielfeld mitten in der City. Da sich zudem die Besetzung auf höchstem Niveau bewege, sei das Turnier eine „sehr willkommene Abwechslung“.

Im Schatten von St. Dionys

Die Zuschauer kommen dabei den Stars der Branche so nahe wie sonst kaum. Hier, im Schatten von St. Dionys, entfaltet sich die ganze Dynamik, die Härte, aber auch die Finesse einer Sportart, die nach dem Fußball zu den mannschaftlichen Leibesübungen mit den höchsten Zuschauerzahlen zählt. In Esslingen treten internationale Stars, tritt aber vor allem auch die deutsches Elite an: Nationalspieler wie die Berliner Torhüter-Ikone Silvio Heinevetter oder der Göppinger Tim Kneule, Altvordere wie der Torjäger Pascal Hens mit seiner Irokesenfrisur oder Fabian Wiede, der mit seinen gerade einmal 20 Jahren ein Mario Götze des Handballs ist, ein Hoffnungsträger. Sein Kompagnon Paul Drux hat sich leider schwer verletzt.

Axel Schönhaar sitzt im Café direkt am Marktplatz und lässt den Blick über die wunderbare Kulisse schweifen – vom Kielmeyer-Haus, einem ehemaligen Spital-Keller, hinüber zum Domizil von Kessler, Deutschlands ältester Sektkellerei. Auch wenn viele dieser Gebäude aus dem 15. bis 19. Jahrhundert stammen, hier finden sich die Fundamente dieser mittelalterlich begründeten Stadt. Schönhaar, im Brotberuf Arzt am Klinikum Esslingen, repräsentiert als Chef-Organisator die Arbeitsgemeinschaft Marktplatzturnier, einen Zusammenschluss der insgesamt drei Handballspielgemeinschaften in Esslingen, die das Turnier mit viel Herzblut in Szene setzen. Und er kann für sich reklamieren, die 2007 erfolgte Wiederbelebung des Turniers mit initiiert zu haben.

Dabei reichen die Ursprünge bis 1940 zurück. Die Anfänge im frostigen Kriegsjanuar standen im Zeichen der Zeit, der Erlös sollte dem Winterhilfswerk der Wehrmacht zugutekommen. Brot und Spiele: die Resonanz war so phänomenal, dass aus dem Turnier eine feste Einrichtung wurde – zunächst mit einer einzigen Pause nur: anno 1945.

Die Belohnung für die Gewinner orientierte sich nach dem Krieg an den Bedürfnissen der Menschen, wie Schönhaar weiß: Unter anderem ein Brotkorb, eine Butterdose und 500 Gramm Wolle winkten den Siegern der Turniere, zu denen die Massen strömten. „Das sind wahre Volksfeste des Handballs“, schrieb damals die „Deutsche Handball-Woche“.

Die goldenen Sechziger

Kurt Ostwald, Jahrgang 1944, Mitorganisator und Chef des Handballbezirks Esslingen-Teck, bekommt noch heute Gänsehaut, wenn er an seine eigenen Auftritte als Aktiver beim Marktplatzturnier denkt. Er hat historische Fotos gesammelt und blättert diese durch. Dokumente der Zeitgeschichte sind das, auch aus den 1960er Jahren, als das Turnier den ersten Gipfel erreichte. Meckrezak Zagreb war dabei – mit einem Trainer namens Vlado Stenzel, der Deutschland 1978 zum Handball-Weltmeister trimmen sollte. Und auch Rekordnationalspieler wie Herbert Lübking liefen auf.

Dann irgendwann schlief die Veranstaltung ein. Zu riskant waren die Spiele auf dem Asphalt für die immer professionelleren Akteure geworden, die Organisatoren waren ermattet. Doch aus den Köpfen war das Turnier nie, bis Anfang der 2000er Wiederbelebungsversuche unternommen wurden. Im Juli 2007 gelang unter Mühen der Neuanfang. Der Zeitpunkt einer Reanimation hätte allerdings idealer nicht gewählt sein können: Deutschland war eben Weltmeister geworden, es herrschte Handballeuphorie.

Am heißesten Wochenende des Jahres verlief die Premiere mit Bravour. Für die Profis am wichtigsten: der eigens aus Riesa geholte und auf dem Marktplatz ausgelegte Spezialboden erfüllte die Ansprüche. Drei Tage lang wurde Werbung für den Handball gemacht – mit dem Turnier der Topteams, Esslinger Meisterschaften der Vereinsjugenden und der Schulen sowie einem Aktiven-Turnier örtlicher Vereine. Dieses Konzept, Spitzen- und Breitensport miteinander zu verbinden, gilt bis heute.

Der Aufwand für die Arbeitsgemeinschaft aus den Vereinen SG Esslingen, Team Esslingen und SG Hegensberg-Liebersbronn ist freilich enorm. Ein ganzes Jahr lang arbeitet ein Kernteam an der Vorbereitung; an den Turniertagen selbst sind mehr als 200 ehrenamtliche Helfer engagiert, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren. Thilo Huber, der sein Geld als Anwalt verdient, hat seine Arbeit dann schon erledigt: nämlich die Teilnehmer zu rekrutieren. In den vergangenen Jahren baute er sich republikweit ein Netzwerk auf. Er kennt alle wichtigen Manager und Trainer persönlich. Das allein lockt die Topvereine vor allem aus fernen Gefilden aber nicht nach Esslingen. Das „Gesamtpaket muss simmen“, sagt Huber. Dazu gehört eine Topbesetzung, eine perfekte Organisation und Betreuung, eine gute Unterkunft auf dem Schurwald mit Trainingshalle an der Römerstraße direkt daneben, eine tolle Atmosphäre auf dem Marktplatz selbst, begeisterte Zuschauer, mehrere Tausend im Laufe des Tages – diese Argumente stechen in ihrer Summe. „Wir sind“, sagt Huber, „inzwischen eine sexy Marke.“

Die Wetterprognose macht ist vielversprechend

Beim Wiederbeginn war besonders die HBW Balingen-Weilstetten als Bundesligist mit dem Trainer Rolf Brack prägend. Der heutige Nationalcoach der Schweiz übernahm eine Katalysatorfunktion – wie auch der TV Bittenfeld, der eben den Sprung aus der zweiten Liga ganz nach oben geschafft hat. Der TVB, der jetzt Stuttgart im Namen führt, war 2007 ebenfalls eine Mannschaft der ersten Stunde und ist auch in diesem Jahr mit dabei. „Für uns ist es wichtig, uns vor der eigenen Haustüre zu präsentieren“, sagt der TVB-Geschäftsführer Schweikardt: „Wir wollen unseren Fans etwas bieten.“

Jetzt muss nur noch das Wetter mitspielen, damit nicht in die nahe Schelztorhalle umgezogen werden muss. Denn bei Regen geht nichts im Freien. Die Prognose für das Wochenende jedoch stimmt optimistisch: Es soll weitgehend trocken bleiben. Das freut auch Bob Hanning in Berlin, der mit den Füchsen anreist. Er spricht von Freunden, die man gerne besucht, wenn er an die Organisatoren des Marktplatzturnieres denkt. Ein größeres Lob kann es nicht geben.