Wer regelmäßig Sport macht, kann dadurch sein Risiko senken, am Herzen zu erkranken. Was manche nicht wissen: Auch die Psyche profitiert von körperlichen Aktivitäten. Das zeigt eine aktuelle Studie.
London/Stuttgart - Manchmal war es eine Überwindung, gerade dann rauszugehen, wenn es ihr besonders schlecht ging. Doch das Laufen half, sagt Anna, 27. „Danach habe ich mich jedes Mal besser gefühlt.“ Anna war jahrelang schwer depressiv, mehrmals in der Klinik und in Therapie. Noch heute geht sie joggen, wenn sie merkt, dass sie wieder in ein Tief rutscht. Doch Sport hilft offenbar nicht nur Menschen, die psychisch erkrankt sind: Einer neuen Studie zufolge geht körperliche Bewegung ganz allgemein mit einem besseren psychischen Wohlbefinden einher.
So fühlen sich Menschen, die regelmäßig Sport machen oder anderen körperlichen Aktivitäten nachgehen, mental seltener schlecht. Wer sich drei- bis fünfmal pro Woche etwa 45 Minuten lang körperlich betätigte, fühlte sich an weniger Tagen schlecht, schreiben die Forscher von den Universitäten Oxford und Yale.
Für die Studie befragte das Team mehr als 1,2 Millionen Menschen in den USA über Jahre hinweg mehrfach danach, wie oft sie sich innerhalb der vergangenen 30 Tage schlecht gefühlt hätten. Diese Angaben verglichen die Wissenschaftler mit den Angaben der Teilnehmer zur körperlichen Gesundheit, dem Alter oder dem Beruf. Im Durchschnitt fühlten sich die Teilnehmer demnach 3,4 Tage pro Monat schlecht. Diejenigen Menschen, die regelmäßig körperlich aktiv waren – und dazu zählten neben Sport auch Hausarbeit und Rasenmähen – hatten anderthalb schlechte Tage weniger als jene Teilnehmer, die kaum aktiv waren.
Besonders stark ausgeprägt war der Unterschied der Studie zufolge bei den Menschen, bei denen in der Vergangenheit schon einmal eine Depression festgestellt wurde: Aktive Menschen aus dieser Gruppe berichteten von etwa sieben schlechten Tagen pro Monat, bei den körperlich nicht aktiven Studienteilnehmern waren es knapp elf Tage – ein Unterschied von vier Tagen.
In manchen Studien ist nicht klar, was Ursache und was Wirkung ist
Der Zusammenhang zwischen Sport oder körperlicher Bewegung und seelischer Gesundheit wurde in der Vergangenheit immer wieder untersucht und diskutiert. So veröffentlichte ein Forscherteam der University of New South Wales vor wenigen Monaten eine groß angelegte Studie zu der Frage, ob Sport dabei helfe, Depressionen vorzubeugen. Das Ergebnis: Bereits eine Stunde sportliche Aktivität in der Woche reduziere das Risiko, an Depressionen zu erkranken. Die Wissenschaftler hatten über mehrere Jahre hinweg Daten von mehr als 250 000 Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Altersklassen ausgewertet. Andere Studien zeigten in der Vergangenheit, das moderater Ausdauersport dabei helfen kann, besser mit Stress umzugehen, leichter einzuschlafen und seltener niedergeschlagen zu sein.
Doch ganz so einfach sei es nicht, sagt Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. „Menschen, denen es psychisch schlecht geht, haben häufig nicht den Antrieb, Sport zu treiben.“ Lustlosigkeit und Zurückgezogenheit seien Kernsymptome der Krankheit. Doch in Studien wie jener, die nun veröffentlicht wurde, werde oft nicht klar, was die Ursache und was die Wirkung sei: „Es könnte theoretisch genauso gut sein, dass Menschen, denen es gut geht, insgesamt motivierter sind und deshalb häufiger Sport treiben“, sagt Hegerl.
Zudem müsse man zwischen einer negativen Befindlichkeit und einer tatsächlichen Erkrankung unterscheiden. Denn dass Sport zum allgemeinen seelischen Wohlbefinden beitrage, sei sicher richtig. Ob es aber auch bei Krankheiten wie schweren Depressionen helfe, sei wissenschaftlich schwer zu beweisen. „Es gibt aber Hinweise darauf, dass körperliche Aktivität im Zusammenhang mit Depressionen positive Effekte hat“, bestätigt Hegerl. Er selbst höre durchaus immer wieder von Betroffenen, dass Bewegung ihnen helfe. Man empfehle Patienten daher durchaus, Sport zu treiben, sagt der Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Leipzig.
Nur: Bewegung könne die medizinische Therapie von Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen keinesfalls ersetzen, warnt Hegerl. Eine Depression sei eine ernsthafte, mitunter lebensbedrohliche Krankheit. „Es ist gefährlich zu denken, Sport könne eine medikamentöse Behandlung oder Therapie ersetzen.“ Vielmehr müsse Bewegung bei einer Erkrankung eher ein Zusatz zu einer Behandlung sein.
So ist körperliches Training beispielsweise Teil der Nationalen Versorgungsleitlinien Depression – und wird von Ärzten und Therapeuten deutschlandweit als sogenannte therapiestützende Maßnahme empfohlen. Wichtig ist dabei auch die Regelmäßigkeit. Deutschlandweit haben sich unter dem Dach der Deutschen Stiftung Depressionshilfe regionale Lauftreffs gegründet, zu denen sich regelmäßig Betroffene treffen. Mit positiver Resonanz: „Der regelmäßige Termin gibt Struktur und wirkt gegen Antriebslosigkeit“, sagt eine Sprecherin der Stiftung. „Außerdem wirkt die Gemeinschaft stärkend.“
Der Grund dafür, dass körperliche Aktivität sich ganz allgemein durchaus auf das psychische Wohlbefinden und auf die Stimmung auswirkt, liegt wohl vor allem im Gehirn. Denn beim Sport werden dort bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet – zum Beispiel Serotonin und Dopamin. Diese häufig als Glückshormone bezeichneten Stoffe können dabei helfen, Stress und Angstgefühle abzubauen und die Stimmung aufzuhellen. Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass regelmäßiges Training den Hormonhaushalt des Körpers dauerhaft beeinflusst: Sie soll dazu führen, dass der Botenstoff Dopamin mit der Zeit langsamer abgebaut wird.
Zu viel Sport allerdings, auch das zeigt die neue Studie,ist auch nicht gut: Menschen, die mehr als drei Stunden täglich aktiv waren, fühlten sich demnach häufiger unwohl. Die Forscher vermuten dahinter zwanghafte Züge.