Kameras und GPS-Geräte finden immer mehr den Weg in die unteren Fußballligen. Entscheidet künftig die beste Analyse über Sieg und Niederlage?

Stuttgart - Abdullah Sener zieht ein Gummiband über die Brust. Dann schiebt der Innenverteidiger des Bezirksligisten Türkspor Stuttgart ein Gerät hinein, etwa so groß wie eine Streichholzschachtel. Es ist ein GPS-Sender, ein sogenannter Tracker. Dieser wird während des Spiels gegen die Spvgg Cannstatt jeden Schritt von Sener aufzeichnen. Daten sammeln, die danach sein Trainer analysieren wird. Was hat der Innenverteidiger gut gemacht, was nicht? Was früher in der Bezirksliga an der Taktiktafel besprochen wurde, sollen nun Zahlen am Computer belegen.

 

Die Profivereine der Bundesliga setzen schon länger auf umfassende Spielanalysen durch Tracker und Videos. Heute nutzen auch immer mehr Amateurvereine die digitalen Hilfsmittel. „Technische Systeme benutzen ab der Verbandsliga fast alle, ab der Oberliga alle Mannschaften“, sagt Heiner Baumeister vom Württembergischem Fußballverband. Selbst in den untersten Fußballklassen kaufen Vereine Kameras und GPS-Systeme in der Hoffnung, einen Vorteil zu erlangen. Das Schlagwort Big Data erobert den Amateurfußball.

Türkspor-Trainer Arslan und Spieler Sener blicken auf Zahlen und Diagramme. Das Ligaspiel gegen Cannstatt haben sie mit 1:2 verloren. Die Grafiken zeigen, dass Sener 6,4 Kilometer gelaufen ist. Er ist zwölf Mal gesprintet und hat eine Geschwindigkeit von 29 Kilometern in der Stunde erreicht. „Das überrascht mich“, sagt Sener. Er dachte, er sei langsamer. Doch die Daten zeigen: Er gehört zu den schnellsten im Team. Darauf aufbauend will Arslan seine Taktik ändern.

Neue Trainergeneration lernt Datenanalyse

Ob Amateure die Technik einsetzen, liegt in erster Linie am Trainer. Gerade die neue Generation Fußballlehrer setzt neben Waldläufen auf Kameras und GPS-Sender. In der Sportschule in Ostfildern-Ruit lernen sie viel über die digitalen Hilfsmittel. Die Nachfrage nach neuem Wissen steigt.

„Wir sind überbucht“, sagt der Ruiter Ausbilder Steffen Sekler. Er machte als einer der ersten in Deutschland die Computeranalyse zum wichtigen Teil der Fußballlehrer-Lizenz. Trainer aus Dortmund und Köln pilgerten zu ihm. Mittlerweile gibt es überall in Deutschland Studiengänge und Fortbildungen, die sich mit dem Zusammenspiel aus Technik und Leistung im Sport auseinandersetzen.

Vier Mal im Jahr sitzen bei Sekler in der Ruiter Schule 20 Schüler und studieren Grafiken, analysieren Videos. Das Ziel, frei nach Jürgen Klinsmann: den Amateurtrainern das Werkzeug an die Hand geben, jeden Bezirksliga-Kicker besser zu machen. „Das individuelle Training wird immer wichtiger, der Fußball immer athletischer und schneller“, sagt Sekler.

Durch Tracker und Kameras sollen Trainer die Belastungsgrenzen der Spieler erkennen, die Ausdauer- und Sprinteinheiten dosieren und Verletzungen vorbeugen. Nach der Ausbildung sollen sie wie TV-Experten den Spielern in Video-Sequenzen mit Pfeilen und Animationen erklären, welcher Pass, welcher Laufweg besser ist.

Tracker werden immer billiger

Der andere Grund, warum digitale Technologie im Amateurbereich immer populärer wird, sind die fallenden Kosten und die immer einfachere Handhabung der Systeme. Das finnische Unternehmen Polar rüstet seit mehreren Jahrzehnten Profivereine mit Technik aus, nahezu jeder Bundesligist nutzt die aufwändigen Geräte mit Trackern und Herzfrequenzmessern.

Jetzt kommen auch Amateurvereine dazu. „Mit jedem Jahr schwappt die Technikwelle eine Liga nach unten“, sagt Marc Meurer, der Polar-Geräte in Deutschland vertreibt. Die Geräte, die früher für Regional- und Oberligisten unerschwinglich waren, kosten heute knapp 5000 Euro. Das können sich auch Amateurvereine leisten.

Kerem Arslan von Türkspor ruft auf dem Computer eine sogenannte Heatmap auf. Darauf sind die Bereiche rot hervorgehoben, in denen sich sein Spieler Sener hauptsächlich bewegte. Arslan will, dass der Verteidiger beim nächsten Spiel mehr seine Geschwindigkeit nutzt. Die Mannschaft soll höher stehen und so mehr Druck auf den Gegner ausüben. Und wenn der Gegner kontert, kann Sener sie mit seiner Schnelligkeit ablaufen.

Es entsteht auch viel „Datenmüll“

Marc Meurer von Polar beobachtet, dass die Systeme in den unteren Klassen oft umfangreicher genutzt werden als bei den Profis. Der Gedanke dahinter: Wenn schon für viel Geld angeschafft, dann sollen die Geräte auch genutzt werden. Proficlubs verfügen dagegen über eine so große Vielfalt an Analysen, dass sie sich nur auf einige Kennwerte beschränken müssen.

Vereine wie der VfB Stuttgart verfügen über große Analystenteams. Und die beschäftigen sich mit nichts anderem als der Auswertung von Videos und individuellen Spielerdaten. Im Anschluss stellen sie diese dem Trainerstab zur Verfügung. Die Analysen reichen bis hin zum Schlafrhythmus oder der Körpertemperatur der Spieler – es geht um jedes Detail.

Amateure können sich diesen Aufwand nicht leisten. „In den unteren Ligen entsteht viel Datenmüll“, sagt Trainer-Ausbilder Sekler. Oft seien die Zahlen der Bezirksligisten ungenau oder Trainer könnten sie in keinen Kontext stellen. „Was bringt die Laufleistung eines Stürmers, wenn die Laufwege nicht vergleichbar sind?“, fragt Sekler. Trainer müssten aufpassen, welche Daten nützlich sind und welche ihnen einfach die Zeit rauben.

Trotzdem scheint die digitale Welle im Fußball unaufhaltsam. Immer neue Unternehmen und Geräte drängen auf den Markt. Vereine sind zunehmend bereit, für Technik Geld zu bezahlen. Bestimmen in Zukunft Nerds und Computerspezialisten über Sieg und Niederlage?

Über den Einfluss der Geräte sind sich Experten uneinig. „Es wird nicht der Verein mit der besten Analyseabteilung Deutscher Meister werden“, sagt etwa Mathias Munz, Chefanalyst des VfB Stuttgart. Technologie sei neben Spielern, Trainern, Taktik oder Glück nur ein Aspekt. Amateurtrainer wie Kerem Arslan sind dagegen schon heute überzeugt: Digitale Helfer wie GPS-Tracker könnten die Leistung eines Teams um bis zu 15 Prozent verbessern. Er sagt: „Das kann am Ende über die Meisterschaft entscheiden.“