Sind die jungen Menschen auf dem Sprung in den Beruf nicht mehr so fit wie früher? Die Bundeswehr reagiert auf diesen Befund. Ob er auch auf die baden-württembergische Polizei zutrifft, darüber sind sich Innenministerium und Gewerkschaft uneins.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Bundeswehr hat schon Konsequenzen gezogen: Die Grundausbildung der Rekruten will sie in den ersten sechs Wochen künftig vor allem dem Aufbau der körperlichen Fitness widmen. Im Einvernehmen mit der Sportwissenschaft lautet der Befund, dass die jungen Männer und Frauen den Anforderungen des Dienstes heute körperlich nicht mehr so gewachsen sind wie vormals gewohnt.

 

Die Deutsche Polizei-Gewerkschaft (DPolG) in Baden-Württemberg sieht darin ein Problem auch für die Ordnungshüter: „Der Anteil der Polizeischüler, die beim Sport durchfallen, nimmt deutlich zu“, sagte der Vorsitzende Ralf Kusterer unserer Zeitung. Ziemlich viele kämen nicht durch die Ausbildung, weil sie den 5000-Meter-Lauf nicht in der geforderten Zeit schafften. „Es gibt Leute mit hervorragenden Theorieleistungen, die im Sport durchfallen – da muss man schauen, wie den Problemen zu begegnen ist, und Angebote machen.“ Trainingspläne zum Beispiel.

Innenministerium sieht keinen Handlungsbedarf

Das Innenministerium hält die Lage für weniger dramatisch: Bei den 2016 eingestellten Auszubildenden im mittleren Polizeivollzugsdienst hätten im Durchschnitt 1,6 Prozent der Auszubildenden bisher die Leistungsanforderungen im Sport nicht erfüllt, heißt es. Konkret mussten von 759 Auszubildenden zwölf aufgrund ihrer sportlichen Leistungen die Ausbildung beenden. Im gehobenen Polizeivollzugsdienst desselben Jahrgangs wiederum hätten 0,56 Prozent die sportlichen Kriterien nicht erfüllt – zwei von 360 Auszubildenden mussten deswegen aufhören.

„Handlungsbedarf sehen wir aktuell nicht“, betont ein Sprecher des Ministeriums. „Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Prozesse nicht fortlaufend evaluiert würden.“ Wegen des regelmäßigen Trainings während der Ausbildung sei in jedem Fall eine deutliche Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit festzustellen.

Kritik an rascher Wiederholung der Prüfung

Kusterer bemängelt das unter dem früheren Innenminister Reinhold Gall (SPD) geänderte Verfahren, wonach bei nicht erbrachten Leistungen in einem Ausbildungsabschnitt binnen vier Wochen eine Wiederholung der Prüfung möglich ist. „Im Sport funktioniert das nicht“, sagt Kusterer. „Wer bei 5000 Metern deutlich das Limit verfehlt, etwa wegen Krankheit, wird nicht in der Lage sein, so kurz danach diese Prüfung zu bestehen.“ Dies führe zum Ausscheiden etlicher Polizeischüler. Es müsse möglich sein, die Leistung später zu erbringen, sonst sei die Wiederholung sinnlos.

Die allgemeine Quote der vorzeitig ausgeschiedenen Auszubildenden bei der Polizei Baden-Württemberg betrug laut dem Innenministerium von 2011 bis 2017 durchschnittlich 6,6 Prozent. Gründe können das Scheitern etwa in den Fächern Sport oder Deutsch, mangelnde Eignung oder der Wechsel in eine andere Länderpolizei sein. Kusterer weiß von „zig Rechtsschutzverfahren“ durchgefallener Schüler und wirft der Führung vor, die Gründe des Ausscheidens nicht zu erforschen. „Da muss man genauer hinschauen“, mahnt er.

Sportabzeichen in Silber als Eingangskriterium

Das Ministerium mag auch der generellen Klage nicht folgen, wonach mangelnde Fitness junger Menschen eine immer größere Hürde schon beim Aufnahmetest darstellt. Der „Großteil der Bewerber“ erfülle die sportlichen Mindestanforderungen zur Einstellung in den Dienst, heißt es. Von diesen wird verlangt, neben dem Deutschen Sportabzeichen in Silber einen Schwimmnachweis über 200 Meter in einer Mindestzeit zu erbringen. Werde das Sportabzeichen nicht vorgelegt, sei am Tag des Auswahltests die Leistungsfähigkeit durch einen 3000-Meter-Lauf nach den Kriterien des Sportabzeichens in Silber zu absolvieren. Hierbei würden „vereinzelt“ Bewerber ausscheiden. Derzeit werde an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg das Deutsche Sportabzeichen in Silber als Einstellungshürde untersucht. Mit einer Fertigstellung der wissenschaftlichen Arbeit sei bis Ende Oktober zu rechnen.

Sportwissenschaftler verlangt Mindestlevel

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat dem Thema in der jüngsten Ausgabe ihrer Mitgliederzeitschrift einen umfangreichen Beitrag gewidmet. Darin bezweifelt der Kölner Sportwissenschaftler René Lingscheid, der schon Kampfpiloten trainiert hat, dass Polizeibewerber ausreichend auf ihre Sportlichkeit getestet werden. Er fordert, bei dem Einstellungsverfahren einheitliche und wissenschaftlich fundierte Mindestanforderungen für alle Bewerber aufzustellen. In manchen Bundesländern läge die Messlatte mittlerweile deutlich tiefer. „So reicht dem Land Nordrhein-Westfalen lediglich ein Nachweis über das Deutsche Sportabzeichen in Bronze“, sagt er.

Alle Länder und die Bundespolizei sollten dafür an einem Strang ziehen. Mit einer groß angelegten Feldstudie müssten die tatsächlichen Belastungen des Polizeialltags ermittelt werden. rät Lingscheid. Viele Länder wie Frankreich, Schweden oder Großbritannien bemühten sich, realitätsnah herauszufinden, wie die Dienstpraxis aussehe – in Deutschland hingegen existierten keine vergleichbaren Arbeiten.