Klaus Steinbach hat Olympische Spiele als Sportler, als Teamarzt und als hochrangiger Funktionär erlebt – und dabei erfahren, dass sich Sport und Politik immer wieder ins Gehege kommen. Der 68 Jahre alte Ex-Schwimmer bedauert diese unheilvolle Gemengelage: „Die olympische Bewegung will sich dagegen intensiv wehren, aber sie schafft es in der Regel nicht.“
Herr Steinbach, wie ist der erste Gedanke, wenn Sie an München 72 denken?
Das ist die Freude, die ich damals empfunden habe, weil nicht nur ich, sondern auch meine Schwester Angela nominiert worden war. Die Erinnerung, als wir gemeinsam ins Olympiastadion einmarschiert sind bei der Eröffnungsfeier.
Sie hatten Ihre Schwimmwettbewerbe in der ersten Woche und durften so die unbeschwerten Spiele erleben.
Diese Fröhlichkeit und Freiheit prägten die Tage, wir sind vom olympischen Dorf zu Fuß durch die Touristenzone zu unseren Wettkämpfen gelaufen und waren dann wieder in den Sportstätten im Athletenbereich. Schon in Montreal vier Jahre später war das Thema Sicherheit ein anderes, heute ist Hochsicherheit Standard: Man möchte so etwas wie das Attentat in München tunlichst vermeiden.
IOC-Präsident Avery Brundage sagte bei der Trauerfeier für die getöteten Geiseln: „The games must go on.“
Wir Sportler waren im Olympiastadion bei der Trauerfeier anwesend. Als Brundage diesen Satz sagte, hatte er das vorher begründet – dass die olympische Bewegung vor einer solchen Geiselnahme nicht kapitulieren kann, worauf der Satz folgte: Die Spiele werden fortgesetzt, weil die internationale Sportbewegung stärker ist als der Terror. Ich habe das auch für erforderlich gehalten. Wir waren zwar noch sehr jung, aber wir waren überzeugt, dass nicht ein paar geistig Entgleiste, die keine Menschenrechte akzeptieren, die Macht über friedliche sportliche Begegnungen bekommen dürfen.
Schwierige Entscheidung
Die politischen Probleme bei Olympia haben damit erst begonnen.
Acht Jahre später war wieder eine schwierige politische Entscheidung zu fällen – ob Deutschland die Spiele in Moskau boykottieren sollte. Wir Sportler waren machtlos, weil alles komplett politisiert worden war. Es hätten meine dritte Olympischen Spiele sein sollen, ein schöner Abschluss der Karriere. Viele Sportler haben argumentiert: Lass uns hinfahren, lass uns die Probleme thematisieren – aber lass uns nicht einfach fortbleiben, denn so werden wir ausgeblendet.
Heute hat ein Boykott als politisches Werkzeug ausgedient.
1976 in Montreal reisten alle afrikanischen Sportler wieder ab, weil Südafrika ein Rugbyspiel gegen Neuseeland ausgetragen hatte – es ging um die Apartheid in Südafrika. Dieses ständige Drohen mit Boykott hat meine sportliche Karriere begleitet, angefangen mit dem Terrorakt in München bis hin zu Moskau 1980, wo die Bundesdeutschen nicht antraten, aber zahlreiche andere westliche Staaten ihre Mannschaften entsandten. Es folgte 1984 der Gegenboykott des Ostblocks in Los Angeles. Dann hatten sie das alles durchdekliniert, und man erkannte die Sinnlosigkeit solcher Boykotte.
Sie haben von 1972 bis 2008 Olympische Spiele erlebt – als Schwimmer, als Mannschaftsarzt, als Chef de Mission und als NOK-Präsident. In welcher Rolle haben Sie sich am wohlsten gefühlt?
Als Athlet. Den Sport auszuüben, das ist immer noch am schönsten. Aber es ist auch schön, wenn man Erfahrungen gemacht hat und man diese einbringen kann – und das Gefühl bekommt, diese Erfahrungen werden angenommen, erkannt und geschätzt. Das klappt nicht immer, es gibt immer junge Leute – so war ich früher manchmal auch –, die mindestens so schlau sind wie die alten.
Friedliches Zusammenkommen
Hat sich Olympia aus Ihrer Sicht in die richtige Richtung entwickelt?
Es ist unheimlich schwer für die olympische Bewegung, ihre Botschaften anerkannt zu bekommen. Die wichtigste ist das friedliche Zusammenkommen und das sportliche Messen der Jugend der Welt – manche sagen, das sei altbacken, ich finde aber, dass es ein eherner Ansatz ist. Auf der einen Seite sagt die olympische Bewegung, sie sei nicht politisch, auf der anderen wird sie als politisches Instrument benutzt. Das habe ich beim Boykott 1980 gemerkt, als wir Sportler zu Hause bleiben mussten, die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen aber weitergeführt wurden. Der Missbrauch des Sports durch die Politik: Dagegen will sich die olympische Bewegung intensiv wehren, aber sie schafft es in der Regel nicht. Das ist das Traurige daran.
Sport und Politik sind untrennbar.
Solange bei Siegerehrungen Nationalfahnen hochgezogen werden, sind wir Botschafter unserer Länder als Sportler – dadurch positionieren wir uns auch zu unserem Land und zu der Art, wie es regiert wird.
Olympia öffnet Staaten eine Chance, sich zu inszenieren und ihre Politik zu preisen – siehe Peking 2008 und 2022.
Es ist die Benutzung der Spiele – ich will nicht sagen: der Missbrauch. Man hat sie als Staat ja finanziert, hat Sportstätten gebaut und stellt die Organisation, so sieht jeder Ausrichter darin einen Anspruch und erwartet, dass seine Botschaften kommuniziert werden. Aber die stehen nicht immer mit unseren demokratischen Werten im Einklang.
Eine Herausforderung
Aber wir müssen damit leben.
Es ist tatsächlich eine Herausforderung, dass die Welt nicht nur aus Demokratien besteht, sondern dass Olympische Spiele auch in anderen Ländern stattfinden. Aus unserer Sicht mag das nicht wünschenswert sein, und wir werden uns mit den Spielen in Paris 2024, Los Angeles 2028 und Brisbane 2032 in demokratischen Staaten bewegen. Aber den absoluten Anspruch darf man nicht setzen, sondern muss sich als IOC fragen: Wie gehen wir mit Autokratien um?
Solche Staaten setzen Spiele leichter um, weil sie das Volk nicht fragen.
Das ist ein großes Problem aus Sicht der demokratischen Staaten, aber aus der Sicht der Autokratien fragen die natürlich: Was wollt ihr denn? Sie haben einen anderen Ansatz – aber anders heißt nicht automatisch falsch. Wir aus den westlich geprägten Demokratien dürfen nicht den Anspruch setzen, dass alles, was keine Demokratie ist und wie dort verfahren wird, als falsch anzusehen ist.
Muss nun das IOC über die Vergabekriterien nachdenken – auch in Bezug auf Nachhaltigkeit und Kosten?
Mittlerweile ist das IOC so weit, dass bekannt ist, wie wichtig das Thema der Nachhaltigkeit ist – in Paris 2024 wird hoffentlich deutlich gemacht, wie viele vorhandene Ressourcen für diese Spiele genutzt werden. Ich war bei der deutschen Olympiabewerbung für 2012 Aufsichtsratsvorsitzender, als Stuttgart, Hamburg, Leipzig, Düsseldorf und Frankfurt teilnahmen. Damals hatten wir in der Ausschreibung und Intention schon besonderen Wert auf Nachhaltigkeit gelegt – doch hat das Thema noch nicht genug sensibilisiert. Heute wäre das Konzept, das wir für Leipzig 2012 entwickelt hatten, wesentlich mehr akzeptiert als 2004/2005.
Einfach ärgerlich
Es wird nicht immer honoriert, wenn man seiner Zeit voraus ist.
Ärgerlich war, dass man uns nicht mit in die Kandidatenphase genommen hatte, sondern dass wir in der Bewerberphase geblieben waren. Das hat uns enttäuscht, denn wir hatten eine nachhaltige Bewerbung vorgelegt.
Aber eine erneute deutsche Olympiabewerbung wäre generell doch zu begrüßen, oder?
München hatte eine fantastische Bewerbung für die Winterspiele 2018 mit Garmisch-Partenkirchen, Oberammergau und Königssee. Die Frage in Deutschland lautet ja nicht: Können wir das? Sie lautet: Wie ist die Akzeptanz in der Bevölkerung? München wäre ideal gewesen mit vorhandenen Ressourcen und traumhaften Sportstätten, aber die Bevölkerung in allen Städten hat, wenn zum Teil auch sehr knapp, Nein gesagt. Gegen etwas zu sein, darin sind wir Deutschen Weltmeister – aber sich zu etwas zu bekennen fällt uns ziemlich schwer. Und das wirkt beim IOC natürlich nicht sonderlich förderlich, das macht es für uns nicht einfacher.