Nach den Vorwürfen der Sportgymnastin Katerina Luschik gegen ihre beiden Ex-Trainerinnen am Bundesstützpunkt in Schmiden laufen die Untersuchungen. Zumindest Beleidigungen scheinen keine Ausnahmen zu sein.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Schmiden - Wenn die Rhythmische Sportgymnastik (RSG) in den Medien überregional Beachtung findet, dann bedeutet das nichts Gutes. Denn eigentlich führt die Sportart ein Dasein jenseits der bundesweiten Beachtungsgrenze – selbst bei Welt- und Europameisterschaften oder Olympischen Spielen. Doch seit Kurzem ist die RSG ein deutschlandweites Thema. „Turn-Mädchen in Trainingscamp gequält?“, titelte etwa die „Bild“-Zeitung unlängst.

 

Der Auslöser dafür war ein offener Brief von Katerina Luschik, den das Internetportal „Gymmedia“ am vorvergangenen Sonntag veröffentlichte. Die 16-Jährige aus Halle/Saale erhebt darin schwerwiegende Vorwürfe gegen ihre zwei Ex-Trainerinnen am führenden deutschen Bundesstützpunkt und Landesleistungszentrum in Schmiden, an dem sie bis Anfang Mai für ein paar Monate Teil der Nationalgruppe war. Überdies erstattete ihre Mutter bei der Polizei wegen angeblicher Körperverletzung und unrechtmäßiger Medikamentenvergabe Anzeige (wir haben berichtet).

Das Kultusministerium schaltet sich ein

Es geht bei den Anschuldigungen von Katerina Luschik um einen „schmerzhaften Schlag ins Gesicht“ beim Grand Prix in Thiais, ein ihr dargereichtes „russisches, aber verschreibungspflichtiges Antibiotikum“, Verweigerung von Essen und Beleidigungen wie „Du bist so fett, dass du dich kaum noch bewegen kannst“ oder „Du Schlampe hast ganz Deutschland blamiert“. Ihre Ex-Trainerinnen streiten die Vorwürfe ab, Athletinnen stützen die beiden. Wohin die Ermittlungen führen, ist offen.

Katerina Luschik hat aber auf jeden Fall eine Welle ins Rollen gebracht. Gestern Nachmittag fand ein internes Treffen von Vertretern des baden-württembergischen Kultusministeriums mit Vertretern des Deutschen Turner-Bundes (Arbeitgeber der Trainerinnen) und des Schwäbischen Turnerbundes statt. Thema waren die Probleme in Schmiden.

In dem aktuellen Fall geht es nicht nur um eine einzelne Athletin, sondern um die allgemeinen Gepflogenheiten in der Nationalgruppe. Der Drill im Kampf um die perfekte Figur und die perfekte Übung ist hart, der Umgangston in der Halle rau. Zu rau: Offenbar geht es bisweilen über harsche Worte, die im Leistungssport auch in anderen Disziplinen durchaus dazugehören mögen, hinaus. Das war auch schon zuvor intern Thema.

Die Suche nach der Wahrheit

Von Beleidigungen und Beschimpfungen in überdrehter Lautstärke ist die Rede, nichts für zarte Gemüter das Ganze. Außer Schweißtropfen fließen dann auch mal Tränen. Pädagogisches Einfühlungsvermögen ist rar. Wer etwas sagt, muss Retourkutschen befürchten. Aus Angst um den Platz im Team sagt dann in der Regel lieber niemand etwas. Für ihren großen Traum von den Olympischen Spielen, der Belohnung für bis zu 40 Stunden Training in der Woche, nehmen die Sportlerinnen in Schmiden viel in Kauf. Nur Aussteigerinnen artikulieren immer wieder mit Abstand Kritik – so wie nun Katerina Luschik.

Der Deutsche Turner-Bund hat bereits Anfang Juni, als die Hallenserin schriftlich mit ihren Vorwürfen an ihn herantrat, eine Untersuchung eingeleitet. In der einzigen Pressemitteilung des Verbandes zu dem Fall heißt es am Ende: „Der Deutsche Turner-Bund wird jetzt eingehend prüfen, welche Maßnahmen am RSG-Nationalmannschaftszentrum Fellbach-Schmiden zu ergreifen sind, um derartige Konfliktfälle zukünftig frühzeitiger zu erkennen und einer umgehenden Klärung zuführen zu können. Ebenfalls ist mit den handelnden Personen vor Ort zu überprüfen, an welchen Stellen das trainingspädagogische Konzept des Nationalmannschaftszentrums verbessert werden kann.“ Der Handlungsbedarf ist erkannt. Es wird aber nicht genügen, den Trainerinnen vorzuschreiben, die Übungseinheiten künftig auf Deutsch und nicht mehr auf Russisch zu leiten.

Thomas Schütte ist seit 2012 als Stützpunktleiter eine führende handelnde Person am Bundesstützpunkt und Landesleistungszentrum in Schmiden. „In meinen 20 Jahren am Stützpunkt habe ich nie einen Fall von körperlicher Gewalt erlebt“, sagt der 45-Jährige, der zuvor als Vertrauensmann der Athletinnen und als Pressesprecher fungierte. „Aber auch Beleidigungen, verbale Tritte unter die Gürtellinie, sind nicht akzeptabel.“ Er ist gerade erst aus dem Urlaub zurückgekehrt und dabei, den Fall aufzuarbeiten. „Ich will viele Einzelgespräche führen und reinhorchen: Wo ist etwas dran an den Vorwürfen?“, sagt Thomas Schütte. „Ich bin daran interessiert, nahe an die Wahrheit dranzukommen, erst dann kann man weitersehen.“